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Nagoii»er LagoiattDer «sejetrichafter

Samstag, 17. Januar 1931

Der erste Kaiser des geeinten Deutschen Reiches

Kaiser Wilhelm I.

in harter, zäher Arbeit das Werk zur Vollendung brachten: Kaiser Wilhelm I., Bismarck, Moltke.und R o o n.

Bismarck erkannte, daß jedenfalls zunächst eine Eini­gung aller Deutschen einschließlich Oesterreichs nicht mög­lich sei. Dem stand schon die Vielgestaltigkeit der damaligen österreichisch-ungarischen Monarchie, dann aber auch die dynastische Sonderheit des Donaustaats entgegen. Bismarck wollte daher sich auf die EinigungKleindeutschlands" be­schränken und er wollte sie unter monarchischer Führung, als einen Bund der deutschen Fürsten. Dieses eine prak­tische Ziel durch Bedenken grundsätzlicher oder durch theo­retische Rücksicht auf bestimmte Dynastien gefährden zu lassen, lag ihm weltenfern. Er hat kein Bedenken getragen, Fürsten, die sich der Schaffung des einigen Deutschen Reichs in den Weg stellten, wegzuräumen. Deutschland zu einigen, genügte keinegewöhnliche Vaterlandsliebe" und keinhaus­hälterisch Maß von Opferlust". Diese Worte legt Conrad Ferdinand Meyer seinem Jürg Jenatsch in den Mund, und wer die Glut außergewöhnlicher Vaterlandsliebe verstehen will, von der Bismarck beseelt war, der lese den Roman des Schweiger Dichters, worin er sich mit der Erscheinung des größten seiner Zeitgenossen auseinandersetzt. C. F. Meyer hat in Bewunderung demReichsschmied" auch eines seiner schönsten Gedichte gewidmet.

Der Monarchismus sollte, wie gesagt, nach Bismarcks

Gedanken den deutschen Bundesstaat führen. Und solange er selbst die Geschicke leitete, ging alles gut. Am Abend sei­nes Lebens aber hat er schwer unter der Sorge gelitten und er hat es in seinenGedanken und Erinnerungen" mehrfach ausgesprochen, ob der Monarchismus in seiner Spitze imstande fein werde, diese Ausgabe durchzuführen, ob er nicht in den Formen erstarre, die ihm die Reichsgrün­dung gegeben hatte, und ob er nicht anpassungsfähig genug sein würde, die Lebensform des Deutschen Reichs den An­forderungen der Zukunft anzugleichen. Bismarck selbst hat am Ende seiner Tage ausgesprochen, daß er enttäuscht sei- Und so sind wir in den Krieg hineingeschlittert, den zu verhindern, Bismarcks hohe Meisterschaft von 1871 bis 1890 unablässig bemüht gewesen ist, in den Krieg gegen eine über­mächtige Koalition aller derer, denen eine starke Großmacht im Herzen Europas unbequem war. Vier Jahre lang hat das Volk der Deutschen mit seinen wenigen Verbündeten der Uebermacht einen Widerstand entgegengesetzt, wie ihn die Weltgeschichte bisher nicht gekannt hatte. Dann brach

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Der Schmied

Am Ufer drüben seh' aus einem Schlot Ich luft'ge Flammen wirbeln purpurrot.

Und Schmied und Amboß kommt mir in den Sinn, Davor ich einst erstaunt gestanden bin.

Als ein vom Weg Verirrter macht' ich halt:

Es war um Mitternacht im schwarzen Wald.

Ein riesenhafter Schmied am Amboß stand Und hob den Hammer mit berußter Hand.

Zum ersten schlug er nieder, daß es scholl Ringsum im mächt'gen Forst geheimnisvoll.

Und rief: Mach' erster Streich den Teufel fest.

Daß ihn die Hölle nicht entfahren läßt.

Den Hammer er zum andernmale hob,

Den Amboß schlug er, daß es Funken stob.

Und schrie: Triff du den Reichsfeind, zweiter Schlag, Daß ihn der Fuß nicht fürder tragen mag.

Den Hammer hob er noch zum drittenmal.

Der niederfuhr wie blanker Wetterstrahl,

Und lachte: Schmiede dritter, du, die Treu

Und unsre Ehre, unser Reich aufs neu.

C. F. Meyer.

der Widerstand nach völliger Erschöpfung der besten Kräfte zusammen, und das deutsche Volk das unpolitischste aller Völker auf diesem Erdenrund! sah sich über Nacht vor

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Der Schöpfer des Deutschen Reiches

F^rst B smaick

die Aufgabe gestellt, sein Geschick selbst in die Hand zu nehmen.

Der Tag der Ncichsgri'-nkung ist früher n>e recht volks­tümlich geworden. Das Volk feierte den Tag der Entschei­dungsschlacht ron Sedan, aber nicht den 18. Januar. Der 18. Januar ist bis zum Zusammenbruch nie eigentlicker Nationalfeiertag gewc'en. Erst seit das Voll dem Gespenst des neuen Zerfalls in die Augen gesehen hat. beginnt es zu begreifen, was der 18. Januar für seine Geschichte bedeut.t!

H i n d e n b u r g, der letzte Feldherr des Volks in W f- sen, hatte das Beispiel gegeben, als er, der kaiserliche Fe o- marschall, auch unter der Republik am seinem Posten blieb, um die staatliche Einheit nicht zu gefährden. Daß der St-at selbst am Leben bleibe, ist uncht'ger als die Sorge um tue Staatsform. Das ist die Lehre gewesen, die dieses Beispiel allen Deutschen predigte.

Die Zeit ist wahrlich nicht danach, diese Lehre bereits wieder leichtfertig in den Wind zu schlagen! Nicht viel mehr ist uns aus der Glanzzeit des Reichs geblieben als das Er­gebnis des 18. Januar, die staatliche Einheit an sich, Und gröblich würde sich täuschen, wer sie schon für gesichert über jeden Zweifel hielte. Am Tag der Reichsgründung wüsten

wir alle uns geloben: die staatliche Einheit, die letzte, aber köstlichste Frucht Bismarckscher Meisterschaft, von niemand antasten zu lassen.

Eröffnung der Europakonferenz

Genf, 16. Jan. Die zweite europäische Konferenz, zu der 27 europäische Minister und in ihrer Begleitung viele hohe Beamte erschienen sind, wurde heute vormittag in der großen Glasveranda des Völkerbundshauses durck den fran­zösischen Außenminister Briand unter großem Andrang der internationalen Presse eröffnet. In feiner Ansprache wies Briand auf die weiter fortgeschrittene Zerrüttung der europäischen Wirtschaft hin. Dr. Curtius erklärte: Deutschland erstrebe einen Ausgleich der Interessen auf hem Boden der völligen Gleichberechtigung. Unter der Wirtschaftskrise leide Deutchland in beonderem Maß. Deutschland habe 4,3 Millionen Arbeitslose, es leide unter einem außerordentlich starken Kapital­mangel und unter einem Kapitalabfluß (Boung- tribut), für den keine Gegenwerte vorhanden seien. Er sek der gleichen Meinung wie Briand, daß die jetzige Tagung sich vor allem mit den Maßnahmen beschäftigen müsse, die geeignet seien, einen Ausweg aus der Wirtschafts­krise zu finden. Die Konferenz sollte daher zunächst den Vorsitzenden der Wirtschaftskonferenz, Colifn, anhören. Die Völkerbunds-Versammlung habe dem Europaausschuß den Auftrag gegeben, das gesamte Problem einer euro­päischen Einigung zu prüfen. Er bitte Briand, mit­zuteilen, wie die Fragen betr. Erweiterung des Büros, Hin­zuziehung aller europäischen Staaten usw. behandelt werden sollen.

Briand erwiderte, die wirtschaftlichen und agrarishen Fragen seien besonders dringlich. Der italienische Außen­minister Grandi wies auf die Vorbehalte hin, die seine Regierung im Mai des vergangenen Jahrs in dieser Angelegenheit auf die französische Denkschrift vorgebracht habe. Er hoffe, daß alle Nichtmitglieder des Völkerbunds eingeladen werden, an dem europäischen Bund teilzunehmen im eigensten Interesse des Bundes sel­ber, der sonst ein einseitiges Staatengruppengebilde dar­stelle. Die Hinzuziehung von Rußland und der Türkei liege auch im Interesse des Völkerbunds.

Schutz der jugendlichen Arbeitslosen

Berlin. 16. Januar. Das Rsichsardeitsminifierium und die Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung haben, um zu verhindern, daß bei längerer Beschäf­tigungslosigkeit die Jugendlichen in ihrem Willen zu regelmäßiger Arbeit geschwächt, in ihrer Arbeits­fähigkeit geschädigt und schließlich körperlich, geistig und sittlich gefährdet werden, die Landesarbeitsämter und die Arbeitsämter angewiesen, während der kommenden Winter­monate berufliche Bildungsmaßnahmen, ins­besondere für die jugendlichen Arbeitslosen zu treffen und zu fördern. Die Teilnahme an den Dildungsmaßnahmen wird nicht nur den unterstützungsberechtigten Jugendlichen, son­dern auch solchen Jugendlichen ermöglicht, auf die sich nach den gesetzlichen Vorschriften die Maßnahmen der Reichs­anstalt nicht erstrecken können. Für diesen Zweck wurden erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt.

Die Hilfe aller öffentlichen und privaten Stellen wird willkommen geheißen. Die engste Zusammenarbeit mit allen diesen Stellen ist den Arbeitsämtern zur Pflicht gemacht. Den Länderregierungen wurde empfohlen, zweck­dienliche Vorschriften zu erlassen, wonach etwa die für Jugendpflege, Leibesübungen und Lehrgänge noch vor­handenen Mittel für die Betreuung der erwerbslosen Ju­gendlichen zu verwenden wären.

Versammlunclsüberwachunq

Weimar, 16. Jan. Das thüringische Ministerium des Innern veröffentlicht eine Anordnung über polizeiliches Ein­schreiten bei Versammlungen und Kundgebungen, in der besonders auf die erhöhte umstürzlerische Tätigkeit der kom­munistischen Organisationen verwiesen und die Polizei zu entschiedenem Einschreiten im Fall von Mißbräuchen der Versammlungsfreiheit aufgefordert wird. Insbesondere seien Personen sofort sestzunehmen und vorzuführen, die durch Ausrufe eine Unterstützung eines aufgelösten Vereins (Rote- frontkämpserbund) oder eine Beschimpfung der verfassungs­mäßigen Regierung des Reichs oder eines Landes oder einzelner Personen, insbesondere von Polizeibeamten, er­kennen lassen. Rufe wie Bluthund, Arbeitermörder, Nazi verrecke usw. seien dazu angetan, eine erhebliche Störung der öffentlichen Ruhe. Ordnung und Sicherheit herbeizuführen. Solche Auswüchse der Versammlungsfreiheit haben mit dem nach der Reichsvorsassung gewährleisteten Recht der freien Meinungsäußerung nichts mehr zu tun.

Kürzung der Beamten gehakter in Argentinien

Buenos Aires, 16. Jan. Die argentinische Regierung beschloß, zur Ausgleichung des Staatshaushalts die Be­amte ngeh Ater um 10 v. H. zu kürzen. Durch diese Maß­nahme würden 3540 Millionen Pesos eingefpart werden.

Württemberg

Stuttgart, 16. Januar.

Beisitzer am Skaatsgerichkshof. Zum Beisitzer am Staats- aerichtshof für das Deutsche Reich ist Senatspräsident Dr. F e y e r a b e n d - Stuttgart gewählt worden.

Einschränkung des Fastnachkskreibens. Auf eine kleine Anfrage des Abgg. Kling u. Gen. betr. weitere Ein­schränkung des Fastnachtstreibens hat das Innenministerium geantwortet, daß das Fastnachkstreiben auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereits wie im Vorjahr verboten und die Polizeibehörden angewiesen worden seien, die Ver­anstaltungen auf wenige Wochen zu beschränken und allen Auswüchsen entgegenzutreten. Die Anordnungen seien strenger als in den Nachbarländern. Von weitergehenden einschränkenden Vorschriften wurde trotz der verschärften Notlage abgesehen, da damit gerechnet werden darf, daß die Zeitverhältnisse auch ohne polizeilichen Zwang zu einer erheblichen Einschränkung der Fastnachtsveranstaltungen führen werden.

Reue amtliche Karten. Bon dem württembergischen An­keil der neuenDeutschen Karte" 1:50 000 mit Höhenlinien liegen nun 4 Blätter vor. Zu den in den letzten Jahren er­schienenen Blättern Reutlingen, Urach und Blaubeuren ist soeben Blatt Balingen neu hinzugekommen. Gleichzeitig sind von der vierfarbigenWanderkarte von Württemberg" im Maßstab 1:100 000 zwei weitere Blätter, Nr. 4 (Hall LöwensteinGmünd) und Nr. 7 (StuttgartTübingen ReutlingenBalingen) erschienen, so daß die Karte jetzt in 6 Blättern vorliegt. Für das Jahr 1931 ist die Herausgabe des Blatts Geislingen a. d. Steige der Deutschen Karte 1:50 000 sowie der Blätter 3 (HeilbronnStuttgartMaul­bronn) und 10 (SulzSchrambergTuttlingen) der ins­gesamt 15 Blätter umfassenden Wanderkarte 1:100 000 in Aussicht genommen.

Kostenvoranschlag für das Stadion. Die Bauabteilnng des Gemeinderats beriet heute die Pläne für die Aufteilung des Cannftatter Wasens und die Errichtung des Stadions. Es wurde lautSüdd. Ztg." beschlossen, nach diesen Plä­nen erst einen Kostenvoranschlag ausarbeiten zu lassen. Die vorgesehenen Arbeiten sollen aus etwa 4 Milli­onen kommen.

Darlehensschwindel. In letzter Zeit mehren sich dis Klagen über Unternebmungen. die vom Darlehens­schwindel leben. Durch Zeitungsanzeigen oder beson­dere Vertreter, durch Prospekte usw wirdverfügbares Geld in jeder Höhe, schnell und diskret" angeboten. Die Geld­suchenden, die bei den beutigen schwierigen Wirtschaftsver­hältnissen oftmals sich >n äußerster Bedrängnis befinden, greifen nach jedem Strohhalm, ohne sich aber dabei zu über­legen, daß das anlnqesuchende Kap'tal es gewiß nicht not­wendig hat, auf Schleichwegen Abnehmer zu suchen. In der Regel werden dann von den Geldsrubenden die verlangten Provisionsvorschüsse und dergl. eingesandt. wobei es sich nach verhältnismäßig kurzer Zeit berausstellt, daß sie ge­rissenen Schwindlern zum Opfer gefallen sind, die vielfach außer der verdienten Provision über keine Geldmittel ver­fügen.

Tod auf den Schienen. Auf der Strecke Ochsenfurt Würzburg wurde am Donnerstag früh 5.45 Uhr der aus Zell OA. Kirchheim (Württ.) stammende 29jährige ledige Gärtnereigehilfe Adolf Mohrig mit durchschnittenem Körper auf der Bahnstrecke aufgefunden. Der Verunglückte litt längere Zeit an Schwermut.

4500 Liter Wein im Straßengraben Auf der Fahrt aus der Pfalz nach Stuttgart erlitt ein Stuttgarter Kraftwagen einen Achsenbruch. Der Wagen war mit Weinfässern be­laden. Das Auto fiel in den Straßengraben und die Fässer stürzten zu Boden, wobei ein Teil von ihnen platzte und 4500 Liter Wein verloren gingen.

Aus dem Lande

Möhringen a. F. OA. Stuttgart, 16. Jan. Die Fahne -er alten Krieger. Am nächsten Sonntag soll an­schließend an den Vormiktagsgottesdienst, aus Anlaß des Gedenkens der 60jährigen Aeichsgründung, die Fahne der alten Krieger von 1870/71, die nun alle zur großen Armee eingerückt sind, in der hiesigen Kirche über der Namen- Gedenktafel in feierlicher Weise unter Beteiligung der Kriegerkameradschaft zum immerwährenden Andenken auf­gehängt werden.

Mühlacker, 16. Jan. G e f a ng e n en° A u sbruch. Gestern vormittag brachen zwei Schwerverbrecher aus dem Gefangenenwagen, der von Bruchsal nach Ludwigsburg fuhr, während der Fahrt des Zugs bei Oetisheim aus. Der eine schlug den Vegleitlandfäger nieder und sperrte ihn in eine Zelle, so daß er den Vorfall erst in Mühlacker melden konnte. Es gelang jedoch bald, den einen der beiden Ver­brecher, der beim Abspringen den Fuß verstauchte, in Schmie zu fassen. Der andere wurde nachmittags in Knittlmgen gefaßt.

Dörzbach OA. Künzelsau, 16. Jan. Vorsicht auch bei kleinen Wunden. Ein 22jähriges Mädchen von hier ließ kürKch einen Zähn ziehen. Die Wunde wurde irgendwie verunreinigt und es entstand eine Blutvergiftung, an deren Folgen das Mädchen jetzt gestorben ist.

Tübingen, 16. Jan. Eine Präzisionswaage. Ein Wunder der Präzisionstechnik ist in der Werkstätte des physikalischen Instituts der hiesigen Universität fertiggestellt worden. An Feinheit des Gewichtsvermägens wird die dort erstellte Waage von keiner Waage der Welt übertroffen. Sie ist imstande, bis hinunter zu einem Milligramm