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Nr» 68 Gegründet 4826.

Dienstag den 24. Mörz 1925 Fernsprecher Nr 29 99. Jahrgang

Tagesspiegel

Norddeutsche völkische Kreise sind lautM.N.N." be­müht» den General Ludendorff zum Verzicht auf seine Kandi­datur z« veranlassen.

Erstminister Baldwin soll Lord Salisbury, eingeladen haben, an Stelle des verstorbenen Lord Lurzon die Leitung der konservativen Parkei und das Amt des Lordpräsidenten im Geheimen Rat, das bis jetzt Balfour innehat, zu über­nehmen. Balfour würde dann Groh-Siegelbewahrer.

Die LondonerSunday Times" meldet. Warschau Joch habe es sehr übel genommen, daß der Bolschafterrat ein neues Gutachten von ihm einverlangk habe. Foch habe mit seinem Rücktritt gedroht. (?)

DieChicago Tribüne" erfährt, es sei möglich, daß der amerikanische Botschafter in Paris, Herrick, von Präsident Loolidge durch eine andere Persönlichkeit ersetzt werde.

Ehret dre Ahnen!

Biete Deutsche ahmen immer noch das Ausland auf Schritt Und Tritt nach. Besonders Großbritannien hat es ihnen angetan. England aber ehrt und hütet, gerade weil es den parken Zukunftswillen hegt, mit Eifer die Vergangenheit. Lemperatmentvoller noch verehrt, ja vergöttert Frankreich seine Geschichte. Beim Engländer und Franzosen kommt die instinktive Erkenntnis von der Wichtigkeit der Zusam­menhänge hinzu, von der Verwurzeltheit unserer Jahrhun­derte in der Urzeit. Für die englisch-französische Jugend gibt es kein Blatt der nationalen Geschichte, dessen sie sich schämt.

Die deutsche Geschichte ist an prangenden Großtaten reicher als irgend eine andere. Wie viele Male hat es nicht ausschließlich unsere politische Einfältigkeit verhindert, daß die deutsche Weltherrschaft errichtet wurde. Von den Cim- bern und Teutonen angefangen, die sich mitten im Sieges­tauf von den Feinden abwandtm, dann voneinander trenn­ten und bei Aquae Sextiae 102, und Vercellae 101 v. Ehr.

getrennt von den Römern schlagen ließen, über die Staufer bis zur Marnsschlacht: Es ist immer dasselbe Bild. Unsere Jugend könnte unermeßlich viel für die zukünftige Politik Deutschlands lernen, wenn ihr deutsrbe Geschichte eindring­lich und sinnensällig vorgetragsn würde. Wir waren genau über alle Kämpfe der griechischen Stadtrepubliken, genau über das Geschwätz auf dem römischen Forum unterrichtet: weshalb indes alle deutschen Anläufe seit dem Jahr 9 n. Ehr. immer wieder scheitern mußten, weshalb glücklicherweise die Stein und Bismarck durchdrangen, ehe man auch sie beseiti­gen konnte, das haben wir auf der Schule nicht erfahren. Die Deutschen ein unpolitisches.Volk zu nennen, ist vielleicht doch falsch; sie nehmen, wie alles im Leben, so auch die Po­litik sehr ernst und gewissenhaft, fassen sie gründlicher an als andere. Sojen sie überhaupt von ihr hören. Aber was mit den Kenntnissen anfan-aen, wenn keine da sind? Er­fährt doch das Heranwachsende Geschlecht bis ins Tüttelchen in jeder Schulklasse aufs neue, was unser historisches Un­glück gewesen und was an unserem Unglück schuld gewesen ist, dann werden Anno 1935 wenigstens nicht 26 bis 51 Par­teien um Reichstagsmandate ringen und ein Kalbes Dutzend Parteien Reichspräsidentschaftskandidaten aufstellen können.

Der Geschichtsunterrichte sollte in großzügigen, farbigen Bildern darstellen, was sich im einzelnen ohne grimmige Langeweile doch nicht bezwingen läßt; aus dem tausendfäl­tigen, oft wirren Durcheinander vergangener Geschehnisse den grundlegenden Gedanken, die entscheidende Handlung »erauszu'holen; eine Zeitstimmung scharf zu umreißen, durch sie die bedeutende Persönlichkeit klarzumachen, namentlich auch den oft bestimmenden wirtschaftsvolitischen Hintergrund wenigstens in Umrissen darzulegen darauf, nicht aus Zahlen und tote Vollständigkeit des Materials kommt es an. Eine Anekdote hilft da oft zehnmal besser vorwärts, als lange Vorträge. Aus anschaulich ausgebrei­teter Stosfülle läßt sich dann sväter immer noch leicht zur systematischen Ordnung und Einordnung übergehen. In­zwischen ist der Schüler gewonnen, hat statt der geschicht­lichen Gespenster Menschen von Fleisch und Mut, ewig junge, ewig miteinander im Streit liegende Ideen kennen gelernt und wird sich, ist er auch nur einigermaßen ein ge- weckter Bursche, für die eine oder die andere entscheiden. Wird von den Ideen zum Ideal gelangen.

Aus -er deutschen Vergangenheit, ihrem Wollen und ihren Mißerfolgen ist gerade in Tagen des Niedergangs Trost und Stärkung zu schöpfen. Unaufhörlich sprudelt uns der Kraftborn: mögen Uneinigkeit und Zerrissenheit, Eigen­brötelei und Parteisucht dem berufenen Großen immer wie­der in den Arm gefallen sein gang untergekriegt hat uns kein Feind, ganz unteraekriegt haben nicht einmal wir uns selber. Ueberraschend schoß nach tiefstem Sturz und oron- MMster Verwüstung allemal neue Saat in die Halme. Wir hatten dann und wann schon mehr verloren als jetzt, und doch ist es noch keinem, der über uns kam, gelungen, die Brunnen zu verschütten.Geduld, ich kenne meines Volkes Mark." Weder Engländer noch Franzosen hätten sich ein

söstbes Verschwenderleben erlauben dürfen. Aber wie wir !n diesem ungeheuren Ringen Unendliches einbüßten, so habe» wir auch Unendliches aew'nnen. Stets von neuem sind uns ans ihm mächtige Persönlichkeiten erwachsen. Weil wir uns nicht oft genua an der Größe der Vorfahren messen, sind wir klein, sprechen bloß von unseren Rechten, nie von unseren Pflichten, glauben ohne Opfer und Entbehrung, ohne leidenschaftliche, gebefreudige Liebe zum Ziel gelangen zu können. Wie seltsam mutz es die Parlamentarier von heute überlaufen und wie aufschlußreich ist es, Laß im Reichs­tag des Norddeutschen Bundes, den der eiserne Riefe über­schattete, jode Partei schier überreich an erlauchten, noch heute unvergessenen Köpfen war. Bebel. Benniasen, Gneist, Miquel, Möstke, Reickensneraer, Scbulze-Delitzsch. Stumm, Sybel, Twesten, Vincke, Waldeck, Windtborst! Wahrlich, von allen Volksqenossen sollten zuerst die Volksvertreter aus der deutschen Vergangenheit zu lernen trachten.

Kein Volk hat besseren Grund als wir, das Andenken seiner hart kämpfenden Väter in Ehren zu ballen," schrieb der Verfasser der Deutschen Geschichte im 16. Jahrhundert. Gerade weil er mit allen Sinnen der neuen Zeit zuoewandt war, legte er entscheidendes Gewickt auf die Zusammen- bänge und Verbindungen mit -der Vergangenheit. 'Unsere Politiker, unsere Staatsmänner mästen, wenn sie diesen Na­men verdienen wollen, ihm nacheifern. Alle Staatskunst, die allein dom Tage lebt und ihre Antriebe allein aus ihm zieht, hängt in der Luft,Verzweiflung ist ihr Ende". Nicht in Erinnerung schwelgende, auf Erinnerungen tatenlos aus­ruhende Romantik tut uns not, das Heute und seine bunten Neugestaltungen erfordern die ganze Schaffenskraft des ganzen Mannes, aber nur auf die alten Grundmauern läßt sich Neues türmen.

Neue Nachrichten

BeschlußtmsähioM^des Reichstags Berlin, 23. März. Die Sitzung des Reichstags mußte am Samstag wegen Beschtußunfähigkeit dreimal abgebrochen werden. Bei den drei Auszählungen wurden 172, 207 und IM , Karten abgegeben, also jedesmal weniger als die Hälfte der Gesamtzahl der Abgeordnetem Die nächste Sitzung wurde aus Dienstag, 31. März, anbe- vomnt mit der Tagesordnung: Unfallversicherung, Lehrgang der Grundschule, Anträge über Junglehrer.

Keine Regierungskrise

Berlin, 23. März. Gegenüber den Blättermeldungen, daß die Politik des Reichsministers Dr. Stresemann bezüglich des Sicherheitsahgebots im Reichskabinett aus Widerstand gestoßen sei, weil die Vorschläge zu weit gehen und mit dar deutschen Ehre und der deutschen Zukunst nicht zu vereinbar«! seien, schreibt dieZeit" (Blatt Dr. Strese- «anns), sie Kvnne aufs bestimmteste versichern, daß weder von einer Regierungskrise, noch von einer Gefähr­dung des Reichsbtocks, die Rede sein könne.

Ueberrascheader englischer Schritt in Berlin Berlin, 23. März. In den Beratungen des Reichskabimtts Aber die Garantievorschläge und den Eintritt in den Völker- ' bund soll, wie wir erfahren, seit gestern eine unvorher­gesehene Wendung eingetreten sein. Der englische Botschafter, Lord D'Abernon, erschien gestern mittag unerwartet in der Reichskanzlei. Sein Besuch hatte den Zweck, von Deutsch­land eine neue Formulierung des Garantieangebots zu ver­dangen, sowie die Verbindung des Garantieangebots nE dem Aufnahmeantrag Deutschlands in den Völkerbund. Da­durch ist für die Reichsregierung eine völlig veränderte Lage geschaffen worden. Die weitere Entscheidung der Reichs- vrgierung ist dadurch außerordentlich erschwert. Aus diese« Grunde werden wohl auch die für di« neue Woche vorge- kcheuen außenpolitischen Erklärimgen Stresemanas m» Reichstage unterbleiben.

Dr. Schachts Bedenken gegen die Auswertung Berlin, 23. März. Im Verein deutscher Maschinenbau- Angestellten sagte Reichsbank-Präsident Dr. Schacht, die Äufwertungsfrage werde zu wenig mit dem Rechenstift be­handelt. Wenn die gegenwärtige inländische Verschuldung der Privatwirtschaft 40 bis 60 Milliarden Mark betrage, so würde sich bei einer Aufwertung von 25 Prozent eine zinfenpflichtige Schuldenlast von 10 bis 15 Milliarden und dazu bei einer 5prozentigen Verzinsung eine Zinsenlast von 500 bis 700 Millionen Mark ergeben.

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Erst Völkerbund, dann Sicherheitsvertrag London, 23. März. Die auf französischer Seite stehende Daily Mail" weiß zu berichten, der französische Botschafter Fleurtau habe im Auftrag der englischen Regierung mitge- tei-lt, die englische Regierung werde nicht nur einen Fünf­mächtevertrag (Deutschland, England, Frankreich, Belgien, Mächtevertrag (Deutschland, England, Frankreich, Belgien und Italien), sondern auch einem Neunmächtevertrog W- ftimmen, so daß also auch Polen, der Tschechoslowakei, Groß-Serbien und Rumänien ihr gegenwärtiger Besitz­

stand vertragsmäßig sichergestellt werden müßte. Zuer^ müssen die Verbündeten unter sich ein Abkommen getrof­fen haben, ehe sie Deutschland zu den Vertragsverhand­lungen zuziehen, und Deutschland müsse bedingungslos vor­her dem Völkerbund beigetreten sein. Die englische Regie­rung sei der Ansicht, daß auch Deutschlands Gren­zen gegen einen nicht herausgeforderten Angriff gesichert werden sollen. England wolle aber nicht selbst durch mili­tärische Bestimmungen gebunden sein. Deutschland solle bis zu einem vernünftigen und durchführbaren Grad entwaffnet, dann aber das Ruhr gebiet und die Kölner Zone gleichzeitig geräumt werden. Die größte Schwierig­keit liege natürlich in der Frage der deutschen Ostgrenzen.

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Wenn die Meldung derDaily Mail" zutreffend sein sollte, so hat sich -die englische Regierung also wieder ein­mal vollständig dem französischen Willen unterworfen. Darüber täuscht die Lockspeise desAuch-Schutzes der deut­schen Grenzen" gegen nicht herausgeforderte Angriffe und die unbestimmte, gleichzeitigeRäumung" des Ruhr- und Rhein-gebiets nicht hinweg. Wenn Franzosen, Polen usw. einen Einfall in deutsches Gebiet machen wollen, so wer­den sie umvertragsmäßige" Sanktionsgründe künftig ebenso wenig verlegen sein, wie Poincare es am 3. Januar 1923 war. In gleicher Weise wird sich immer ein Grund finden lassen, die Räumung zu verschieben. Auf Unterstützung Englands aber werden wir wie seither vergeblich hoffen, militärisch erst recht nicht, denn England will jamilitärisch! nicht gebunden" sein. Es weiß warum.

Englische Pressestimmen

Die Londoner Blätter teilen mit, Chamberlain werde auf die Verhandlungen mit Frankreich wahrscheinlich ausführlich im Unterhaus eingehen, wenn Fleuriau mit günstigen Nach­richten aus Paris zurückkehre. «Daily Telegraph" behauptet, der Botschafter sei nicht mit englischest Vorschlägen zu Herriot gereist, sondern er sollte dort Erkundigungen für weitere Ver­handlungen einholen, die sich über Monate hinziehen werden. Es werde notwendig sein, eine Menge Nachfragen nach Ber­lin zu richten. Die britische Regierung bleibe dabei, daß die Räumung mit der Sicherheit nichts zu tun habe. Frankreich verlange, daß die Ueberwachung Deutschlands durch Fran­zosen ausgeübt werde: England solle sofort sich auf die Seite Fntnkreichs stellen, sobald Deutschland die Bestimmungen über dieEntmilitarisierung des Rheinlands" verletze. Aber diese Bestimmungen müßten auch für Frankreich gelten. Nach dem sozialistischenDaily Herold" soll Herriot durch diese Vorbe­haltebeunruhigt" sein und er werde noch in dieser Woche noch London kommen.

Der Wauwau

London, 23. März. DieDaily Mail" schildert in den düstersten Farben die Gefahren, denen England entgegen­ginge, wenn es mit Frankreich mit seiner ungeheuren Lust­streitmacht in einen ernsten Streit geriete. Der Zweck der. Veröffentlichungen des in französischem Sold stehenden Blattes ist ohne Zweifel, die englische Regierung zu veran­lassen, in den schwebenden Fragen den Wünschen Frankreich» entgegenzukommen.

Außerordentliche Sicherheitsvorkehrungen für Balfour i» Jerusalem

London, 23. März. Balfour ist heute in Kairo ein­getroffen und wird morgen die Reise nach Jerusalem sort- setzen, um der Eröffnung der jüdischen Universität beizuwohnen. Der britische Oberbefehlshaber in Aegypten stellte Balfour acht Panzerwagen und acht Kraftwagen mit Maschinengewehren zu seinem Schutz in Jerusalem zur Ver­fügung, da ernste Ruhestörungen befürchtet werden.

Die englische Regierung hat das 9. Lanzerregiment, das in Palästina liegt, noch Jerusalem gesandt. Die Er­regung der Araber richtet sich besonders gegen Balfour be­tenden General Allenby aus Kairo, denHenker von rv", wie er in der islamitischen Welt genannt wirb.

DieWestminster Gazette" schreibt, die Beteiligung Bal- fvurs an der Universitätsfeier werde ohne Zweifel große Kundgebungen der arabischen Bevölkerung gegen die jüdische Herrschaft Hervorrufen. So solle ein allgemeiner Streik der Araber in ganz Palästina einsetzen, die auch für Ah das Selbstbestimmungsrecht fordern. Die Stimmung der Bevölkerung gegen die jüdische Verwaltung dürftest auch die Liberalen in England nicht außer Acht lassen. Die Times" meint, eine Gefahr für diese Woche sei es, daß das pamitische Ramasanfest mit den Festtagen in Jerusa­lem Zusammenfalle.

Vom Kvrdenansfiand

Paris, 23. März. Nachrichten aus Angora zufolge ist kn der Nacht -um 18 März ein kurdischer Angriff verlustreich »on den Dirken zurückgeschlagen worden. Der Empörer Schelk SD, soll nach Süden zu entkommen suchen.

Württemberg

Slutkgark, 23. März. Vom Landtag. In einer Nach- traassorderuna aum Staotskausbalt werden tür die De-