schasklirhe Vernichtung war sein letztes und einziges Kriegsziel.
Nun sitzt er im Regiment. Und gleich zum Einstand erklärt er. England müsse in allen Punkten mit den Verbündeten und besonders mit Frankreich einig gehen. Es dürfe/ insbesondere in der Entschädigungsfrage Frankreichs Interessen nicht vernachlässigen.
Ganz denselben Standpunkt will Mussolini ein- aehmen. Schon vor Jahr und Tag wurde ihm nachgesagt, er sei franzosenfremrdlich. Vor einigen Monaten besetzten die Fakten, wie unfern Lesern bekannt, Bozen und verjagten die deutsche Verwaltung. Bozen müsse vom Deutschtum »Möst" werden. Was denn auch geschah.
Nun hat Mussolini die Macht. Der Faszismus hat »aus Ser ganzen Linie gesiegt"'. Kommunismus und Sozialismus sind an die Wand gedrückt, Demokratie und Zentrum in den Hintergrund gedrängt, das Parlament kallgestellt, und der König zum ersten Diener des nationalen Faszisten- siaates in Gnaden befördert Mussolini ist nicht nur Ministerpräsident, er ist Italiens Diktator. Ünd bis jetzt versteht er zu regieren. Seine Anordnungen sind klar und zielbewußt Wer nicht pariert, der fliegt, mag er Graf Sforza oder anderswie heißen. Mussolini weiß, was er will.
Das alles ging Schlag auf Schlag. Die itallenische Press« feierte diesen Umschwung als das größte Ereignis der Weltgeschichte. Das ist starke Untertreibung. Aber immerhin ist es bewundernswert, was dieser Mann mit seinein nationaler Feuereifer in verhältnismäßig kürzester Zeit fertiggebracht hat,
Mögen nun seine Verdienste um die innerpolitische Wiedergeburt seines Vaterlands noch so hoch anzuschlagen sein, uns Deutsche und den deutschen Staatsmann kümmert viel mehr die andere Frage: Wird er zu Frankreich halten oder wird er eine deutschfreundliche Politik treiben?
Offenbar steht er hierin anders als De Facta, auch all Giolitti, erst recht anders als Nitti und als Palamengh- Crrspi. Gerade die beiden letzteren — um zunächst uns aus ihre Zeugnisse zu beschränken — haben in ihren Veröffentlichungen („Das friedlose Europa" von Nitti und „Wer Hai den Krieg verschuldet?" von Erispi) sich nicht geschämt uni sich nicht gescheut, eine Lanze für das überlistete und vergewaltigte Deutschland zu brechen.
Mussolini denkt anders. „Für mich ist der Versailler Vertrag heilig," soll er unlängst erklärt haben. Wer dasagt, ist unser Feind, ist Frankreichs Freund. Er wird nicht wie De Facta, für einen Zahlungsaufschub ^ haben sein: er wird vielmehr Poincares Forderungen, und mögen sie noch so toll lauten, unterstützen. Frankreich wird also in der Ent Mdigungskommission für seine deutschfeindlichen Plänc einen weiteren Fürsprecher haben. !
Es kann aber auch anders kommen. Mussolini ist Nationalist durch und durch. Somit gibt es für ihn keine adriatische Frage. Wer also Italiens „Absichten" an de, Adria, die ein rein italienisches Meer sein soll, nicht unbedingt mitmacht, den wird Mussolini rücksichtslos bekämpfen, und wenn dieser Widerpart — Frankreich sein sollte Frankreich wird also die Adria um des Rheines willen opferr müssen, genau so, wie es demselben Interesse England ir der Orrentfrage Zugeständnisse gemacht hat und in Lausanru erst recht machen wird.
Warten wir ab! Zunächst tun wir jedenfalls gut, wen« wir von Mussolini für unsere Lebensnotwendigkeiten möglichst wenig erwarten. XV. ti.
Neue Nachrichten
Derständigungsbestrebungen in Berlin
Berlin, 14. Noo. Am Montag herrschte in den Frak- lionen der Koalitionsparteien eine Geschäftigkeit, wie sie nur bei ganz ernsten Anlässen vorkommt. Den ganzen Tag ging es zwischen den Parteien hin und her, dazwischen Besprechungen beim Reichskanzler, ohne daß ein Fortschritt erkennbar wurde. Die „bürgerliche Arbeitsgemeinschaft" (Zentrum und Demokratie) wünschte bestimmt die Erweiterung -er Regierungskoalition durch den formellen Beitritt der Deutschen Volkspartei und der Bayerischen Volkspartei. Der Reichskanzler hatte ursprünglich nur eiüe Beiziehung von „Persönlichkeiten" im Auge, die der Deutschen Volkspartei „nahestehen". Das war das Aeußerste, wozu sich die Vereinigten Sozialdemokraten, bei denen der Flügel der Unabhängigen das Schwergewicht erlangt hat, verstehen wollten, eine „offizielle" Beteiligung der Deutschen Volkspartei an der Regierung lehnten die Sozialdemokraten ab. Die Deutsche Volkspartei wolle aber nicht das fünfte Rad am Wagen sein; wenn sie die Verantwortung mittragen solle, so wolle sie auch gleichberechtigt in der Regierung sein. Auf die nachdrückliche Geltendmachung dieses Standpunkts durch die Arbeitsgemeinschaft mußte der Reichskanzler Dr. Wirth die Berechtigung der Forderung anerkennen. Er verhandelte aufs neue mit den Sozialdemokraten. Spät abends erhielt er den Bescheid, daß die Sozialdemokratie mind»stens bestimmte Sicherheiten, namentlich in wirtschaftlicher Bestehung, von der Deutschen Volkspartei verlange; allen anderen Fragen soll die „Festigung der Mar k" durch Kapitalmittel, die den acht ständigen Arbeitstag unangetastet lassen, vorangestellt werden. Die Deutsche Volkspartei reklärte, daß sie mit der Rede Stinnes im Reichs- wirtschastsrat (der den umgekehrten Weg des lOstündigen Arbeitstags und Gesundung des Wirtschaftslebens von inneu heraus durch Mehrleistung und Sparsamkeit gefordert hatte) nicht in allen Teilen einig gehe. Auf diesem Weg hofft man nun heute, wo die Verhandlungen fortgesetzt werden, zu einer Verständigung zu kommen.
Deutscher Reichstag
Berlin, 14. Nov. Gestern nachmittag 3 Ahr trat der Reichstag wieder zusammen. Bei schwacher Besetzung wur
den verschiedene Ausschußberichte gehört und einige kleiner« Gegenstände erledigt. Der Antrag S ch u l z - Bromberc (Deutschnat.), daß die Regierung am Dienstag eine Rrklä- rung über die politische Lage abgeben solle, wurde gegen dic Stimmen der Deutschnationalen, D. Volkspartei und Kommunisten abgelehnt.
Die drei Neichstagsabgeordneten von Gräfe, Henning und Wulle, deren Fraktionszugehörigkeit von der deutschnationalen Reichstagssraktion aufgehoben worden ist hat sich beim Reichstagsbureau nunmehr als „Völkis ch c Gruppe der DFutschnationalen" angemeldet.
Angebot der Reichsregierung an die Enlschädigungs- Kommffsisn
Berlin, 14. Rov. Die Reichsregierung hat der Entschädigungskommission durch eine Note mitgeteilt, die Aeichs- bank sei bereit, sich mit 500 Millionen Mark an der «Festigung der Mark' zu beteiligen, wenn eine Anleihe in gleicher Höhe von ausländischen Banken zu erhalten sei. Es würde aber ein völliger Zahlungsaufschub von zwei bis vier Jahren für Entschädigungen notwendig sein.
Die Reichsregierung erklärt sich ferner bereit, auswärtige Anleihen und eine innere Goldanleihs aufzunehmen, wovon elftere ganz, letztere zur Hälfte zur Abtragung von Bar- und Sachleistungen innerhalb der Zahlungsaufschubzeit verwendet werden sollen. Durch innere Reformen wird Deutschland seine Ausgaben einschränken, alle entbehrlichen Behörden aufheben, die Zahl der Beamten und Angestellten ver- mindern, sowie die Betriebe der Post und Eisenbahn gewinnbringend machen. Ferner wird das Arbeilszeikgeseh unter Belastung des Achtstundentags und Zulassung von Ausnahmen abgeändert, um durch Mehrleistung zu einer Ausgleichung der Handelsbilanz zu gelangen. Qualitätsarbeiten sollen gefördert, Luxuseinfuhr und Verbrauch eingedämmt, der Slkoyolverbrauch eingeschränkt, die Zwaogsbewirkschaskung des Getreides abgebaut werden, ,
Streikausschreitungen tm Rheingebiet
Düsseldorf, 14. Nov. Der Ausstand der Metallarbeiter in den verschiedenen Städten greift noch weiter um sich und nimmt den Charakter von Gewalttätigkeiten an. Hier mußte verschiedentlich die Polizei mit blanker Waffe Vorgehen. Von den Streikenden wurden Kohlenwagen umgeworfen und geplündert. Im Stadtbezirk ist der kleine Belagerungszustand verhängt,
Berlin, 14. Nov. Die Drücker und Polierer der Berliner Netallindustrie sind wegen ständiger Lohnforderungen, die über den Tarif hinausgehen, ausgesperrt worden.
In der Metallindustrie in Bremer; sind 6<W Arbekter sn den Ausstand getreten. »
Es kriselt auch in Frankreich
Paris, 14. Noo. In politischen Kreisen verhehlt man sich nicht, daß die Stimmung in der Kammer und selbst im Senat, wo die Regierung erst kürzlich eine Vertrauensabstimmung erzielte, dem Ministerpräsidenten Poincare gegenüber nicht mehr ganz zuverlässig ist und man glaubt, daß Ueber- raschungen nicht ausgeschlossen sind. Offen wird Lou- cheur oder Vivani als Nachfolger Poincares genannt.
Schwierigkeiten in der Kammer ^
Paris, 14. Nop. Bei der Beratung des Staatshaushalts für 1923 erklärte Finanzminister Lasteyrie, nicht der Fehlbetrag von 4 Milliarden sei beunruhigend, sondern die zurückzuerstattenden 20 Milliarden. Poincare werde mit einem festen Plan über die Entschädigungen zur Brüsseler Konferenz (im Dezember) gehen und er hoffe ihn durchzusetzen. Frankreich wäre aber noch nicht bankrokk, auch wenn Deutschland möglicherweise jetzt einen beabsichkigken Bankrott hätte. Es sei aber sicher, daß Deutschland «in drei bis vier Jahren' bezahlen könne.-
Die Kammer erklärte in einer Entschließung, sie wolle nur über einen ausgeglichenen Staatshaushalt verhandeln und wünsche, daß die Regierung Borschläge einbringe, wie der Fehlbetrag von 4 Milliarden Franken ausgeglichen werden könne._
7. Vollversammlung, der württ. Landwlrischafts- !
kammer s
Stuttgart, 14. November. ?
In der gestrigen Hauptversammlung der Württ. Land- ! wirtschaftskammer begrüßte Präsident Adorno zuerst die anwesenden Gäste und kam dann auf die schlechten Ernteverhältnisse in Württemberg zu sprechen. Er verwahrte sich namens der württ. Landwirtschaft dagegen, daß man die Landwirte für die eintretenden Preissteigerungen verantwortlich mache. Die Landwirte hätten gar kein Interesse an hohen Preisen. Aber ihren Ausgaben für Düngemittel und andere Bedarfsartikel müßten auch Einnahmen in gleicher Höhe gegenübergestellt werden können. Man dürfe die Oesfcntlichkeit nicht darüber im Zweifel lassen, daß die Land- Wirtschaft wieder einer allgemeinen Verschuldung entgegengehe. Auch der erhöhte Umlagepreis bilde durchaus keinen Gegenwert für die Leistungen der Landwirtschaft, ja er sei gemessen an der Geldentwertung und an der ein- getrstenen Preissteigerung für das freie Getreide verhältnismäßig sogar bedeutend geringer als der ursprüngliche Umlagepreis. Wenn man bedenke, daß allein für die Beschaffung der notwendigen Düngemittel die deutsche Landwirtschaft 145 Milliarden Mark aufzubringen habe, so müsse man diesen Umlagepreis als ruinös bezeichnen. Es gebe hier nur einen Wunsch und der sei, daß die deutsche Landwirtschaft einig in den Kampf der Zukunft gehe.
Oekonomierat Dr. Weiß berichteke über Ergebnisse aus der Tätigkeit der Pflanzenschutzabteilung. Es wurde fest- gestellt, daß die württembergischen Böden im allgemeinen kali bedürftig find. Bei der wachsenden Zahl der Züchtungssorten ist die Prüfung der Sortenfrage von größter Wichtigkeit. Die Sortenwahl kann die Rentabilität des Feldbaues geradezu entscheidend beeinflussen. Es wurden zwischen der ertragreichsten und der geringsten Weixeniorte r. B. Unterschiede von 11,3 Doppelzentner Körner pro Hektar festgesteM bei Hafer von 15,3 Doppelzentner. Es kann damit gerechnet werden, daß z. B. bei Brotgetreide der Bedarf der württembergischen Bevölkerung durch eigene E^rzeu<
gunggedeckt werden kann. Der Abmangel verrug m oen Jahren 1918/1920 im Durchschnitt 615 307 Doppelzentner Brotgetreide. Zur Deckung des Fehlbetrags müßte der Ertrag pro Hektar um 3,1 Doppelzentner gesteigert werden. Dies ließe sich durch allgemeine Verbreitung ertragreicher und widerstandsfähiger Sorten im eigenen Land erreichen. Bei Kartoffeln mußten im Durchschnitt der Jahre 1910 bis 1910 jährlich 227 790 Doppelzentner eingeführt werden. Um diesen Abmangel zu decken, müßte der Hektarertrag um 2,27 Doppelzentner gesteigert werden. Durch Verwendung einwandfreien Saatguts, Saatgutwechsel, Staudenauslese, gesunde Aufbewahrung in Verbindung mit der Verbreitung ertragreicher Sorten, könnte eine Ertragssteigerung für den Hektar von mindestens 30 Doppelzentner erzielt werden. Bei 100 600 Hektar Anbaufläche würde sich daraus ein Mchr- crtrog von drei Millionen Doppelzentner ergeben. So ist Anlaß zu der Hoffnung gegeben, daß Württemberg auf allen Gebieten des Pflanzenbaus aus einem Zuschuß-, zu einem U e b e r s chuß g e b i e t wird.
Zur Gestaltung des Haushalts der Landwirtschafts- lammer erstattete Direktor Regierungsrat Ströbel Bericht. Er beantragte den Umlagesatz vom 5. Juli ds. Js. für das Rechnungsjahr 1922 auf 6 Mark für je 100 Mark des erhöhten Steuerkapitals zu erhöhen und den Vorstand zu ermächtigen, Anleihen bis zu 15 Millionen Mark aufzunehmen, sowie die Staatsregierung um Erhöhung des auf 250 000 Mark vorgesehenen Staatsbeitrags auf 2 Millionen Mark zu ersuchen. Der Antrag wurde nahezu einstimmig angenommen.
Oberregierungsrat Baier, Vorsitzender des Verband- landwirtschaftlicher Genossenschaften, berichtet, für Düngemittel und Saatgut werden die Auslagen sich jetzt auf übei 4 Milliarden Mark belaufen. Würden durch Mangel ar Betriebsmittel die Einkäufe ungenügend gemacht werde« müssen, so würde die Ernte des kommenden Jahrs darunter leiden, wodurch ein unsagbares Unheil verursacht würde, ss
Minister Keil erwidert, wenn es nicht gelinge, die Preisentwicklung zu hemmen, so wisse er nicht, wie die wirtschaftliche Zukunft sich gestalten werde. Einen Kredit, wie er hier gefordert werde, könne die Regierung nicht geben, dagegen werde man wie in Baden versuchen, einen solchen bei dei Reichsbank zu bekommen. — Die Kammer beschloß einstimmig, die Regierung zur Beschaffung von Saatgut usw. um einen Kredit von einer Milliarde Mark-zu ersuchen.
Der Minister teilt mit, daß das Reichsernährungsinini- sterimn die Umlage Württembergs von 35 000 auf 22 OVO Tonnen herabgesetzt habe. Hagelschlag und Mißwachs seisr dabei schon berücksichtigt, ein weiterer Nachlaß sei daher nichi zu erwarten. Gemeinden, die nicht von Hagelschlag oder Mitwochs betroffen seien, haben ungefähr 80 Prozent der ursprünglichen Umlage abzuliefern. Verweigerungen der Ablieferung würden schärfste Gegenmaßregeln zur Folge haben
H e r m a n n - Hohenmühringen erklärte: Die Landwirte suchen nicht die höchstmöglichen "Preise herauszuschlagen, sondern sie wollen lediglich eineü Ausgleich für die hohen Presse die sie selbst bezahlen müssen. Dem Minister müsse er erwidern, daß die Landwirtschaft ungeheure Opfer sür dis Allgemeinheit gebracht habe, die jetzige Umlage müsse dieletzte sein.
o. Staufsenber g-Rißtissen sagt, die unglückliche Er- süllungspolitik und der Vertrag von Versailles seien für die Not der Zeit verantwortlich zu machen. Auch die ermäßigte Umlage sei nicht aufzubringen.
Diese Ausführungen werden unterstützt von Hornung- schaubeck und Dr. F r a n ck-Obsrlimpurg, der anführt, in seinem Bezirk gebe es nicht viel abzuliefern, da das Getreide zum großen Teil verdorben sei. Die Kartoffeläcker stehen heute noch unter Wasser. — Benner - Beffendorf teilt mit, daß im Schwarzwald Bauern mit 30 Morgen Mehl kaufen müssen. Für die Kartoffeln- wurden Erntearbeiter gesucht, aber bei einem Stundenlohn von 170 Mark und freier Verpflegung habe sich niemand gemeldet.
Präsident Adorno weist aus die ungenügende Kohlenversorgung für Dreschen und Dorren hin. Die Kammer nahm einstimmig einen Antrag Herman n-Hohenmühringen an, der die württ. Regierung ersucht, bei der Reichsregierung darauf hinzuwirken, daß die Getreideumlage weiter herabgesetzt, Mißerntegebiete ganz davon befreit-und der Umlage- Preis den Marktpreisen angenähert werde- Die jetzige Umlage soll die letzte sein. Den württ. Studierenden sprcvch die Kamm«; den Dank sür die geleistete wertvolle Amte- Me aus,,- " —. , , -
Aus Stadt und Bezirk.
Nagold, 15. November 1922.
Dom Tage. Anläßlich der Wiederaufrichtung der Weiterfahne ans dem Schloßberg wurde uns nachstehender Schulaussatz eingesandt:
War die alte Wetterfahne erzählt.
„Schon seit 15 Jahren stand ich droben auf der Zinne de» Bergfriedes in Sturm und Regen, bet gutem und schlechtem Wetter. Ich war in der ganzen Stadt und auch in der Umgegend wohl bekannt und stand tu gutem Ansehen. ES gab keinen Nagolder, groß oder klein, der nicht wenigsten» einmal im Tag zu mir aufschaute. Am frühen Morgen, wenn» sachte dämmerte, war ich schon wach. Der frische Morgenwind hatte mich geweckt, und lustig drehte sich mein Flügel. Da, horch! Ein zitternder Ton ringt sich zu mir herauf au« dem Tale, da» noch wallende Nebel decken. ES ist die Morgenglocke. Da halte ich einen Augenblick still und verrichte mein Morgengebet. Jetzt wird e» tm Städtchen drunten lebendig. Die Hähne krähen, Scheurentore knarren auf. Bauer Grüninger schaltet seinen Wagen, holt die Pferde au« dem Stall und schirrt sie an. Jetzt steht er unter der HauStüre, legt die Hand an die Stirn und lugt zu mir herauf. Ich freue mich ordentlich, daß ich ihm Ostwind, d. h. schöner Wetter anzeigen kann. Bald sehe ich da» Fuhrwerk au» dem Städtchen Hinausrollen. Lustiges Peitschrngeknall und Hundegebell tönt zu mir herauf. Nun wirbelt blauer Rauch au» den Schornsteinen der Häuser: Die Hausfrauen sind wach geworden und bereiten den Morgenkaffee. Inzwischen ist strahlend die Sonne aufgegangen. Ihr erster Strahl schießt zu mir herüber und küßt mir die Stirne wach. Stolz blicke ich hernieder auf die rauschenden Laubkronen zu meinen Füßen. Köstlich-frischer Waldgeruch steigt mir in die Nase. Sieh, wie lustig! Da drunten drollen jetzt die Kleinen in die Schule mit ihren Ränzlein! So gibt er gar viel zu