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Freitag, den 10. November 1922
Die Gutachten der Finanzsachverständigen
Das erste Gutachten
Die ausländischen Finanzsachverständigen, die von der deutschen Regierung eingeladen waren, um die Finanz- und Wirtschaftslage Deutschlands zu untersuchen, haben ihre Gutochtd^erstattet und der Reichsregierung mitgeteilt. Das erste von den Herren Brand, Cassel, Jenks und Key n e s Unterzeichnete Gutachten hat folgenden Wortlaut:
Bericht über die Festigung der TNar?
Wir sind vollkommen überzeugt von der dringenden Notwendigkeit, die deutsche Mark unverzüglich zu festigen. Aber die Festigungsarbeit muß in erster Linie ausgehen von Deutschlands eigenen Bemühungen und vermittels seiner eigenen Kraft und entschlossenen Vorgehens seiner Negierung. Es ist hoffnungslos, in der augenblicklichen Lage die Festigung von fremder Hilfe zu erhoffen, da Deutschland als wichtigste Grundlage eine eigene aufbauende Politik haben muß: und zwar auch wenn damit Gefahren verbunden find.
Auf die Frage, ob die Stabilisierung unter den gegenwärtigen Umstünden möglich ist, antworten wir: Nein. Erstens aus inneren Gründen, vornehmlich den Wirkungen der Finanzpolitik des Deutschen Reichs in der Kriegs- und Nachkriegszeit; zweitens aus äußeren Gründen, insbesondere wegen der Lasten aus dem Versailler Vertrag.
Solange Deutschland nicht für einige Zeit von den Zahlungen ausdemVersaillerVertragent- lastet wird, muß jeder Versuch zur Festigung der Mark scheitern und nur zur nutzlosen Vergeudung der letzten Reserven Deutschlands führen.
Die Länge des Zahlunasausschubs wird von der Möglichkeit abhüngen, im deutschm Staatshaushalt einen Ueberschußzu erzielen. Der Zeitraum müßte gegenwärtig auf mindestens 2 Jahre festgesetzt werden für Sachleistungen wie Barzahlungen. Die Unterstützung durch ein interna- t i o n a le s Konsortium würde von der größten Wirkung auf die Stimmung des Publikums se n. Vor einer endgültigen Regelung der Entschädigungsfrage auf vernünftiger Grundlage werden Kredite eines ausländischen Konsortiums nur in sehr bescheidenem Umfang und nur als Unterstützung eigener Maßennahmen Deutschlands erhältlich sein.
Auf die Dauer hängt der Erfolg der Festigung vom Gleichgewicht des Staatshaushalts ab. Die äußerste Sparsamkeit in allen Saatsausgaben und die äußer st e Strenge in der Eintreibung der Steuern sind von entscheidender Bedeutung. Anlage von Kapital für öffentliche Arbeiten darf nicht aus den laufenden Einnahmen erfolgen, sondern muß durch innere fundierte Amleihen gedeckt werden. Indessen ist es weder erforderlich noch möglich, unbedingt jeden Zuwachs in der schwebenden Schuld zu verhindern, und nach erfolgter Festigung würde es für kurze Zeit möglich sein, so viel Zuwachs zu gestatten, als erforderlich ist, um die augenblicklichen Schwierigkeiten zu beheben. Wir halten den Zustand der passiven Handelsbilanz nicht für ein entscheidendes Hindernis der Markfestigung.
Indessen muß ein Zugeständnis gemacht werden, ohne das die Wiederherstellung der deutschen Handelsbilanz derartige Opfer fordern würde, daß die praktische Durchführung unseres Plans gefährdet wäre, nämlich die Wiederherstellung der Gleichberechtigung für Deutschland im internationalen Handel in bezug aus das Recht, Zölle von der Luxuseinfuhr zu erheben, und für die Ausfuhr die Meistbegünstigung zu fordern. Unter den Bedingungen, wie wir sie fordern, halten wir die sofortige Festigung mit Hilfe von Deutschlands eigenen Maßnahmen für möglich und wir möchten annehmen, daß bei dem gegenwärtigen Dollarkursstand von 7000 ein Kurs zwischen 3000 und 3500 Mark für den Dollar richtig sein dürfte. Man muß sich aber vor Augen halten, daß bei jedem derartigen Kurs eine erhebliche Steigerung des Notenumlaufs nach "und nach nötig sein wird in dem Maß, wie das Geschäftslebsn des Landes zu normalen Verhältnissen zurückkehrt. Selbstredend muß nach vollkommener Durchführung der Festigung eine neue Werteinheit in Höhe eines Vielfachen der befestigten Papiermark im Interesse der Verkehrserleichterung eingeführt werden.
Richtlinien für die Festigung der Mark
1. Gegen die Zustimmung zum Aufschub aller Zahlungen aus dem Vertrag von Versailles für die Dauer von zwei Jahren sollte die deutsche Regierung der Entschädigungskommission folgende entschiedenen Sicherheiten geben:
s) in Berlin ist als besonderer Teil innerhalb der Reichsdank eine unabhängigeWährungsstellezu schaffen, der die Reichsbank einen angemessenen Teil ihres Goldschatzes zur Verfügung zu stellen hätte; b) solange ein Teil dieses Goldes noch frei ist, hat die Währungsstelle Papiermark bei Angehot zu einem festzusetzenden Kurs zu kaufre; H der Gesamtbetrag der schwebenden Schuld dark nickt über eine bestimmte Ziffer hinaus anwachsen.
Weitergehender Kreditbedarf des Reichs wäre durch fundierte Anleihen zu decken.
An diesen Grundsätzen dürfte ohne Genehmigung der'Cnt- schädigungskommission nichts geändert werden. Ein internationales Finanzkonsortium wäre zur Mitarbeit bei der finanziellen Stützungsaktion einzuladen. Eine Devisenreserve in der erforderlichen Höhe wäre aus Grundlage des Goldes, das der Währungsstelle zur Verfügung steht, zu schaffen, gleichzeitig mit den Vorschüssen, die vom internationalen Konsortium von Zeit zu Zeit unter geeigneten Sicherheiten einzuräumen wären. Die neulich von der Reichsregierung erlassenen Devisenverordnun- gen sind sofort aufzuheben und der freie und ungehemmte Verkehr in Devisen und ausländischen Wertpapieren wieder herzustellen.
Der Reichsbankdiskontsatz müßte hinreichend binaufgesetzt und teures Geld solange aufrecht erhalten werden. bis die Festigung völlig gesichert ist. Die Währungsstelle hat Ä o l d s ch a tz w e ch s e l (in Gold rückzahlbar) mst Garantie der Reichsbank mit ein- bis zweijähriger Laufzeit zu einem angemessenen Zinssatz auszugeben.
Da ein erweiterter Notenumlauf für den geschäftlichen Bedarf des Landes erforderlich ist, sobald es zu normalen Bedingungen zurückkehrt, wären Noten soweit wie möglich auszugeben durch Diskontierung von Handelswechseln und Gewährung von Lombardkrediten an den Handel durch die Reichsbank und Verkauf von Mark durch die Währungsstelle gegen Devisen.
Das zweite Gutachten
empfiehlt die Errichtung einer internationalen Finanzgesellschaft, die — unter der Voraussetzung der vollständigen Befreiung Deutschlands von Barzahlungen und der Herabminderung der Sachleistungen — eine Anleihe von 500 Millionen Goldmark in Form eines Schatzwechselkredits prüfen solle. Reichsregierung und Reichsbank hätten die Bürgschaft zu leisten. Die Reichsbank soll verpflichtet werden, sich ebenfalls mit 500 Millionen an einer solchen Anleihe zu beteiligen. — Das zweite Gutachten ist von den drei Bankiers Brand, Vissering und Cassel ausgearbeitet.
Wie steht Deutschland?
Bei der Erörterung der Möglichkeiten für den Wiederaufbau Deutschlands und die Regelung der ihm aufgezwungenen Kriegsentschädigungen wird das Wichtigste zumeist vergessen: die Feststellung, wie es denn eigentlich heute um die Grundlagen unserer Wirtschaft st e h t. Eine ehrliche Bilanz der deutschen Wirtschaft st um so notwendiger, je mehr die Scheinblüte unserer Industrie nicht nur das Inland, sondern auch dos Ausland, namentlich das Kontributionen von uns fordernde Ausland, über die wirkliche Lage und damit die wirkliche Leistungsfähigkeit des deutschen Volks täuscht.
Vor dem Krieg wurde das deutsche Volksvermögen auf Z50 Milliarden Goldmark, das daraus gewonnene Jahreseinkommen des deutschen Volks auf 40 Milliarden Goldmark, der jährliche Ueberschuh der deutschen Wirtschaft auf ö Milliarden geschätzt. Das reine Sparkapital im Inland betrug dabei rund 70 Milliarden. Während des Kriegs wurden dem Reich 95 Milliarden in Kriegsanleihen zur Verfügung gestellt, die teils Spar-, teils auch Betriebskapital barstellten. Da die Aufbringung eines Teil dieser Anleihen bereits in die Zeit der beginnenden Vanknotenvermehrung fiel, sei ihr Gesamtwert mit 70 Milliarden Eoldmark angesetzt. Die 140 Milliarden Eoldmark, die das deutsche Volk danach im Inland an Geldwerten mindestens besaß, sind heute völlig entwertet. Auch die vorsichtigste Rechnung wird jedenfalls feststellen müssen, daß das deutsche Volk mindestens 100 Milliarden Goldmar! durch den Krieg und die Geldentwertung verloren hat. Diese Entwertung der Ersparnisse des deutschen Volks ist die furchtbarste Blutentziehung, die ein großer Wirtschaftskörper jemals erfahren hat. Nicht etwa nur die breiten Massen der deutschen Sparer und Rentner, sondern der größte Teil der früher „Wohlhabenden", soweit dieser Wohlstand nicht auf dauernden »Sachwerten" beruhte, sind darüber verarmt, die Gc- samtwirtschaft aber hat durch diese Blutaüzapfung gewaltige Antriebsmöglichkeiten verloren.
Weiterhin haben wir infolge des Friedensvertrags die deutschen Kapitalien im Aausland, die deutsche Flotte und die deutschen Kolonien verloren, ferner ungeheure Werte an Material, Sachleistungen und Bargeld hingeben müsst,. Mit 50 Milliarden Goldmark sind diese Verluste noch außerordentlich niedrig eingeschätzt..
Hamit rräre das deutsche Volksvermögen von rund 350 aus höchstens 200 Milliarden Goldmark verringert. Von lw» Wirtkiboktsarundlaae aber, die nach Entziehung dieser
Verbreitetste Zeiruny im Oberamlsbezirk. —Arteigen find daher von bestem Erfolg.
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SO. Jahrgang
Werte verblieb, haben wir weiterhin durch den Gewaltfrieden verloren: sechs unserer ergiebigsten Industrie- und Landwirtschaftsgebiete, bei ersteren rund ein Drittel unserer Kohlenlager, zwei Fünftel unserer Hochöfen, annähernd drei Viertel unserer Eisenerze. Rund ein Drittel der früheren unbeweglichen Produktionsgrundlagen ist damit dem deutschen Volk entrissen worden. Wurden inzwischen auch neue Birdenschätze in Deutschland erschlossen, sind auch sonst bei stärkerer Anspannung unserer Wirtschaft teilweise Ausgleichsmöglichkeiten vorhanden, so bleibt doch ein dauernder Verlust deutscher Produkttonsgrundlagen, der mit 50 Milliarden Goldmark sehr gering bewertet wäre.
An Stelle eines Volksvermögens von 350 Milliarden Goldmark besitzen wir heute also nur noch rund 150 Milliarden. Von ihnen soll das deutsche Volk leben, das an Kopfzahl nur um wenige Millionen hinter der Vorkriegszeit zurücksteht! Neben diesen äußeren Abgängen steht hier der innere Abgang durch die Verminderung der Produktion. Auf der uns verbliebenen Grundlage erzeugen wir heute nur rund 60 Prozent, in der Landwirtschaft — wenn man von der diesjährigen Mißernte noch absehen will — rund 75 Prozent der Vorkriegszeit. Ist auch der Rückgang der Erzeugung naturgemäß nicht in Ziffern auf die schmälere Wirtschaftsgrundlage abzustellen, so ergibt sich doch aus beiden,, der äußeren und inneren Verminderung unserer Wirtschaftskraft, mit Deutlichkeit, daß das deutsche Volk heute im Verhältnis zur Kopfzahl weit weniger als die Hälfte von dem zu verzehren hat, was ihm früher zur Verfügung stand.
Der ganze Wahnsinn der Entschädigungsforderungen tritt mit dieser Feststellung klar vor Augen! Das deutsche Volk kann ohne äußerste Anspannung seiner Wirtschaft nicht einmal leben, noch viel weniger an das Ausland Tribut zahlen, ohne in Elend und Hunger zu versinken. U
Die Quacksalber, die heute noch Rezepte in der Tasche haben, nach denen Deutschland nicht nur selber die Festigung der Mark ins Werk setzen, sondern auch noch ohne Schaden Zablungen an das Aasiand leisten könnten, sprechen davon, daß der gegenwärtige große Marksturz in einer Zeit erfolge, in der Deutschland nicht mit Entschädigungsleistungen belastet sei. In Wirklichkeit zahlt Deutschland auf Grund des Schatzwechse-Abkommens sogar laufend 10 Millionen Goldmark monatlich zur Einlösung der an Belgien gegebenen Wechsel. Es zahlt aber vor allem rund eine Milliarde Goldmarkwerte jährlich für die feindlichen Besatzungen, es zahlt Ausfuhrabgabe und es liefert Sachwerte, von denen allein die Kohle im Jahrs mehr als 600 Goldmillionen ausmacht! Stehen den 60 Millionen Deutschen heute schon vielleicht nur noch 15 Milliarden jährliches Einkommen zur Verfügung gegenüber inehr als 35 Milliarden vor d>'n> Krieg, so geben wir auch in diesem Jahr trotz der „Erleichtungen" hinsichtlich der Barzahlungen wett mehr als 2 Milliarden Goldmark an das feindliche Ausland ab.
Mit dieser Bilanz der demschen Wirtschaft wäre schon vollauf erklärt, weshalb die deutsche Mark ständig finken muß. Dazu kommt, daß der Wert der deutschen Ausfuhr von 10 auf etwa 4 Milliarden Goldmark gesunken ist und daß unsere Zahlungsbilanz eine starke Passivität aufweist.
D.ese Bilanz unserer Wirtschaft muß die Grundlage aller Maßnahmen sein, die wir zu treffen haben, um das deutsche Volk vor dem Aeußersten zu bewahren, im Inneren wie nach außen.
Rückgang der deutschen Ausfuhr
st. bi. Die künstlich durch den Marksturz hervorgsruf ne Periode der Hochkonjunktur in der deutschen Wirtschaft ist in anscheinend raschem Schwinden begriffen. Der beginnende Umschwung der Dinge zeigt sich am deutlichsten an dem von Tag zu Tag merklicher werdenden Nachlassen der deutschen Wettbewerbsfähigkeit im Ausland. Immer mehr Industriezweige klagen über den empfindlichen Rückgang der Auslandsaufträge. Aus der amtlichen Zusammenstellung der deutschen Warenausfuhr geht denn auch die Berechtigung dieser Klagen hervor: die Menge der ausgeführten Waren ist von 2,2 Millionen Tonnen im April auf 1,4 Millionen Tonnen im August zurück gegangen. Dagegen zeigt bedauerlicherweise die Einfuhr eine Zunahme von 2,9 auf 4,7 Millionen Tonnen, so daß der Ueberschuß der Einfuhr über die Ausfuhr — die sog. Passivität der Handelsbilanz — von 700 000 Tonnen aus 3,3 Millionen angewachsen ist.
Entsprechend der Abnahme der Ausfuhr haben auch die Beschwerden des Auslands über die „Ueberschwemmung" des Weittnarkts mit deutschen Waren wesentlich nachgelassen. So hat man z. B. in Holland und Skandinavien bereits