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teiligen muß. Gilt es doch zu erkunden, wie weit die Teuerung auch die Lebenshaltung erfaßt hat. Denn von den Preisen hängt es ab, in welchem Rahmen die geplante klein- asiatische Reise durchgeführt werden kann, sobald die nötige Spezialerlaubnis des Mini- steriums eingetroffen ist. Doch das Warten darauf fällt nicht schwer. Denn ich brauche nicht in der lärmenden, glühend heißen Stadt zu bleiben, Freunde haben mich in ihr küh- les, geräumiges altes Holzhaus am herrlichen Gestade des Bosporus eingeladen, in dem sich wohltuend die alte Kultur mit den neuen Le- bensformen eint, die auch in der Türkei ihren Einzug gehalten haben.
einberufene Kommission
von
Beratungen über Demontage FRANKFURT. Am Mittwoch und Donners- tag tagt in Frankfurt die von den Länderchefs Fachwissen- schaftlern und Finanzsachverständigen aller drei Westzonen, die die wichtigsten Fragen der Demontage beraten soll. Da bei den De- montagen auch die finanzielle Seite eine große Rolle spielt, sollen sich die Finanzminister der
einzelnen Länder in besonderen Beratungen gleichfalls mit dieser Frage befassen. Das Er- gebnis dieser Beratungen soll dann von den Ministerpräsidenten auf einer gemeinsamen Tagung besprochen und anschließend den drei Militärgouverneuren bei der nächsten Sitzung mit den elf Ministerpräsidenten überreicht
werden.
Streit unter Lizenzträgern HEIDELBERG. Die Entziehung der Lizenz für den Lizenzträger der Rhein- Neckar- Zei- berg- badische Militärregierung hat zu einer berg- badischen Militärregierung hat zu einer Auseinandersetzung zwischen den anderen Li- zenzträgern und Agricola geführt. Agricola hatte darauf hingewiesen, daß auch Prof. Heuß, ebenfalls RNZ- Lizenzträger, ständig von Heidelberg abwesend sei und keine aktive Tätigkeit ausübe. Von der ,, Rhein- Neckar- Zei- tung" wird dagegen eingewandt, daß die Ver- bindung mit Stuttgart jederzeit möglich, wäh- rend sie mit Halle auf immer größere Schwie- rigkeiten gestoßen sei.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß jetzt von CDU- Seite heftige Vorwürfe ge- gen den dritten Lizenzträger der RNZ, Dr. Hermann Knorr erhoben werden, und zwar im Zusammenhang mit Kündigungen, die er gegen 28 Betriebsmitglieder ausgesprochen hatte. In einer Flugschrift wird Dr. Knorr ge- fragt, ob es richtig sei, daß er das Brief- geheimnis verletzt habe, und ob es zutreffe, daß er für das Dritte Reich eine Loyalitäts- erklärung abgegeben habe, um nach Deutsch- land zurückkehren zu dürfen. Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende und Sportredakteur der NNZ, Gerd Maibaum, ist fristlos entlassen worden, weil er bei der Staatsanwaltschaft ge- gen Dr. Knorr Klage wegen Verletzung des Briefgeheimnisses erhoben hatte.
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Westberliner" unerwünscht BERLIN. In Mecklenburg sind auf Befehl der sowjetischen Behörden ganz unerwartet Maßnahmen gegen die Berliner unternommen worden, die in den Westsektoren wohnen und sich zurzeit in Mecklenburg aufhalten. Sie mußten innerhalb 24 Stunden das Land ver- lassen. Im Abendzug von Neustrelitz nach Ber- lin beschlagnahmte sowjetische und deutsche Polizei alle Lebensmittel, die von den Reisen- den mitgeführt wurden.
Ob ein Dynamitattentat auf das Büro des Volkskongresses in Schwerin im Zusammen- hang mit diesen Maßnahmen steht, ist noch nicht geklärt.
Kommunalwahlen verschoben TÜBINGEN. Die Gemeinderatswahlen, die Wahlen zu den Kreisversammlungen und die Wahl der Bürgermeister in Württemberg- Ho- henzollern, die am 10. bzw. 31. Ctober statt- finden sollten, sind, wie wir bereits in einem Teil unserer Montagausgabe meldeten, auf den 14. November bzw. 5. Dezember verschoben worden.
Katja blieb im Moor
Von Hans Otto
Eine Lettin war sie, keine von dieser Ge- gend, eine schmale Person mit rabenschwar- zem Haar und gelblich in der Haut wie eine Mongolin. Die Männer waren hinter Katja her vom ersten Tage an, den sie im Dorfe war. Der Maurer- Jörg wurde schier wild auf sie, mit dem jungen Kaufmann hielt sie lange Haus, im geheimen, bis der Herr von Falk Katja entdeckte und wie für sich selber sagte: O lala! Bald darauf sah der Herr von Falk eine Tänzerin in der Kreisstadt und Katja nutzte die freie Zeit, den Heimdrechsler Wilm in der Hütte draußen am Moor zu heiraten. Reich war dieser Wilm nicht, aber ein Dach über dem Kopf und ein wärmendes Bett, diese Dinge konnte er bieten. Außerdem hatte er ein Holz- bein, das abends am Knie eingeknickt über dem Stuhl hing wie eine Hose.
SCHWABISCHES TAGBLATT
Flottes Messegeschäft am Brötchenstand
( Von unserem nach Leipzig entsandten LH.- Mitarbeiter)
Eine Woche lang wehten schwarz- rot- goldene Fahnen über den Straßen von Leipzig. Dieser Anblick in der an Rot gewöhnten Ostzone überraschte um so mehr, als die Leipziger nur dadurch in seinen Genuß gekommen sind, daß die knappe bürgerliche Mehrheit im Leipziger Stadtparlament sich gegen die Ausschmük- kung der der Messe dienstbar gemachten Ge- bäude mit roten Fahnen ausgesprochen hatte, weil, wie ein Abgeordneter sagte, Rot ,, das Tuch der Besatzungsmacht" sei. An roten Transparenten, die zum neuen Zweijahres- plan" aufmunterten, fehlte es dagegen auch diesmal nicht.
Im Gegensatz zu den Frühjahrsmessen sind die Herbstmessen immer weniger turbulent, da ihnen die Attraktionen der technischen Messe, die Maschinen, Geräte. Apparate der Feinmechanik, Optik, Elektrotechnik usw. feh- len. Die Herbstmesse des Jahres 1948 aber war eine ausgesprochene„, stille Messe", weil ihr die Besucher vor allem aus dem Westen
fehlten.
Während sonst an den Schlußtagen eine un- übersehbare Menschenmenge sich durch die Leipziger Innenstadt und durch die repräsen- tativen Messehäuser drängte, unterschied sich diesmal selbst am Samstagnachmittag der Be- trieb in den Straßen, in Gaststätten und im Hauptbahnhof kaum vom normalen Wochen- endverkehr. In den Messehäusern konnte man in aller Muße seinen Rundgang machen, ein Idealzustand für Einkäufer und auch für, Seh- leute". Einen Stand gab es allerdings in allen Messehäusern, der stets von einer dicken Men- schenmauer umgeben war: den Imbiẞstand des Konsumvereins Leipzig. Während in der gan- zen Ostzone das Brot im tiefsten Grau schim- mert und Brötchen ein unansehnliches Aus- sehen haben, wurden hier die knusperigsten Weißbrötchen, wie man sagte, aus russischem Weizen, verkauft.
Die westdeutschen Aussteller und Besucher der Leipziger Messe mußten ihre Reise mit dem Omnibus machen. Obwohl die Messe erst am 29. August begonnen hatte, durften schon seit 26. August keine Messegüter mehr die amerikanische Zonengrenze in Richtung Leip- zig passieren. Falls der Aussteller Wert dar- auf gelegt hat, nach Leipzig zu fahren, mußte er seine Reise ohne die Messemuster fortset- zen. Infolgedessen war in den Messehäusern ein großer Teil der Stände nur„ Gedächtnis- stände". Die Firmen, die hier die Absicht hat- ten, auszustellen, waren nur durch ihr Fir-
menschild vertreten, und in einigen Kojen konnte man Plakate mit der Beschriftung se- hen: ,, Unsere Messemuster lagern an der Zo- nengrenze."
Messebesucher und Aussteller, die vor dem 30. August, nachmittags 17 Uhr die ameri- kanische Zonen grenze überschritten, konnten keine Westmark ausführen. Da aber jeder einige Tage in Leipzig leben mußte, blieb nichts anderes übrig, als das Geld illegal mit- zunehmen. Später wurde dann die Ausfuhr einer unbegrenzten Menge Westmark gestat- tet. Die Russen machten von vornherein keine derartigen Schwierigkeiten, da die Ostzone daran interessiert war, möglichst viel West- mark, die von den offiziellen Umtauschstellen im Verhältnis 1: 1 gegen Ostmark gewechselt wurde, zur Bezahlung von Warenimporten aus Westdeutschland hereinzulassen.
Es ist freilich anzunehmen, daß die offiziel- len Geldumtauschstellen nur ein sehr mäßi- ges Geschäft gemacht haben, denn schon an den Grenzübergangsstellen und später bei der Ankunft der Omnibusse in Leipzig wurden die Reisenden von zahlreichen Liebhabern Westmark angegangen. Das illegale" Um- tauschverhätlnis, das der Zonengrenze noch 1: 2 oder im günstigsten Fall 1: 3 betra- gen hatte, stieg in Leipzig auf 1: 3,5, 1: 4 und noch darüber
an
um
Der Besucher aus den Westzonen, der 3 bis 5 Ostmark pro Westmark erlöst hatte, lebte während der Messe in Leipzig billig. Er glich einem Devisenbesitzer. Vielleicht ist auf diesen Umstand die Tatsache zurückzuführen, daß im Restaurant Fürstenhof, das sonst der russi- schen Besatzungsmacht vorbehalten ist, der Betrieb äußerst rege war, obwohl für ein mar- kenfreies Schweinekotelett 22 Ostmark, für eine Nudelsuppe 10 und für eine Tafel Scho- kolade 40 Mark gefordert wurden.
In offiziellen Angaben ist die Zahl der Be- sucher aus den Westzonen mit 7600 angegeben worden. Zweifellos werden so viele westdeut- sche Besucher in Leipzig angekommen sein, aber es steht außer Frage, daß nur die wenig- sten von ihnen wegen der Messe gekommen waren. Der größere Teil benützte die Gelegen- heit, um seine Angehörigen in der Ostzone zu besuchen. Es waren das die Unentwegten, die mit Rucksäcken und Koffern, vollgefüllt mit Lebensmitteln, zur„ Messe" gefahren sind. Diese Omnibusse waren in Wirklichkeit nichts anderes als Liebesgabentransporte aus dem Westen Deutschlands in den Osten.
Nachrichten aus aller Welt
MÜNCHEN. In den Flüchtlingslagern Dachau und Allach bleibt die Belegschaft weiter im Hungerstreik. In Allach sind einige Flüchtlinge bereits vor Schwäche zusammengebrochen und erhielten Traubenzuckerinjektionen. Das Dach- auer Aktionskomitee forderte alle streikenden oder den Streik beabsichtigenden Lager auf, Delegierte zu einer Versammlung nach Dachau zu schicken, damit eine gemeinsame Verhand- lungsgrundlage mit der bayerischen Regierung gefunden werden könne.
STUTTGART. Die 3½ Millionen Sudetendeut- schen, die in den Westzonen leben, sind jetzt in einer Organisation zusammengefaßt, die diese Volksgruppe auf allen Gebieten vertreten soll.
FRANKFURT. Sofort nach dem Eintreffen von Kriegsgefangenen aus Rußland im Lager Frank- furt a. d. O. startet jetzt von dort regelmäßig ein Kurierflugzeug nach der in Hamburg befind- lichen Zentralsuchstelle des Roten Wenn das Flugzeug am nächsten Morgen wie- der in Frankfurt a. d. O. eintrifft, kann es den Heimkehrern die aus den Karteien entnomme- nen Adressen ihrer Angehörigen geben.
Kreuzes.
FRANKFURT. Eine 25jährige Frankfurter Mu- sitätsprofessors Viktor v. Weizsäcker und Nichte sikstudentin, Tochter des Heidelberger Univer- des in Nürnberg Angeklagten Ernst v. Weiz- säcker, stürzte sich von der unteren Galerie des Frankfurter Domes und war sofort tot.
der vor 5 Wochen gemeldeten Explosionskata- LUDWIGSHAFEN. Die Zahl der Todesopfer strophe in Ludwigshafen ist mittlerweile auf 220 gestiegen. Nach den jetzt endgültig abge-
schlossenen Schätzungen beläuft sich der Ge- bäudeschaden in den Werken auf 12 Millionen DM, der in der Stadt Ludwigshafen selbst etwa
auf eine Million.
BIELEFELD. In Hannover wurde die SPD- Zonenzeitung„ Neuer Vorwärts" lizenziert. Li- zenzträger sind u. a. Dr. Schumacher und Fritz
Heine.
LONDON. Einer der bedeutendsten Physi- ker der englischen Atomforschungsstation in Berkshire, Dr. Bull, wurde wegen seiner Zuge- hörigkeit zur Kommunistischen Partei während des Krieges von der Regierung seines Amtes enthoben.
LONDON. Nach einem Bericht des„ Sunday- Dispatch" haben sich die antikommunistischen Gebirgsstämme in Birma gegen die Regierung erhoben und sollen jetzt in den Besitz von ganz Südost- Birma gelangt sein. Auch der Hafen Mul- mein fiel in ihre Hände.
ZÜRICH. Bundespräsident Celio eröffnete am Montag in Zürich die internationale Fernsehta- gung. Zu der Tagung sind zahlreiche Gelehrte und Fachleute aus der ganzen Welt eingetrof-
fen.
JERUSALEM. Zwischen einer jüdischen und einer arabischen Mannschaft fand in Südpalä- stina ein Fußballmatch statt, vor dem sich beide Parteien zunächst gegenseitig einer gründlichen Leibesvisitation nach verborgenen Waffen un- terzogen. Die Einladung zu dem Match war von ägyptischen Offizieren an einem Frontabschnitt an sie ergangen, wo die feindlichen Stellungen sich auf kürzeste Distanz gegenüber liegen,( Die israelitische Mannschaft gewann 5: 1.)
es, sonntags begleite die gnädige Frau von der Herr von Falk habe sie behalten. Aber Falk ihren Gemahl zur Jagdhütte.
Die Jagdhütte konnte man an klaren Tagen vom Dorf aus betrachten, ganz fern am Hori- zont hinter dem aufblauenden Sumpf, am Rand des Moores, das sich weithin wölbte wie ein Meer. Einsam lag die Hütte und einsam fühlte sich der gnädige Herr, seit er die Tän- zerin in einem Zorn weggeschickt hatte.
Katja sagte nicht: ,, Ich gehe jetzt zur Jagd- hütte", oder: ,, Herr von Falk erwartet mich". Wilms würde wahrscheinlich nur gesagt haben: ,, Von mir aus".„ Ich gehe jetzt", deutete die Frau nur leise an, und sie ging. Einmal meinte sie nebenbei, er, Wilms, möge ins Fen- ster der Oberstube das Petroleumlicht stellen, damit sie, Katja, den Weg durchs Moor leich- ter fände. Sie dürfe dann nur immer klar und geradeaus auf das Licht zugehen, sie könne dann nie fehlen. Eine Gerade vom Fenster der Oberstube zum Jagdhaus hin ergab den Weg der Katja, einen klaren und sicheren Weg,
knapp an Torflöchern und schwankendem Moorboden vorbei.
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An diesem Abend sagte Katja wieder und sie stellte den großen Spiegel zurück an die Wand-: ,, Ich gehe."
Im Dorf hieß es: ,, Wenn der Wilm diese Katja heiratet, dann gibt es ganz bestimmt ein Un- glückt." Aber der Heimdrechsler führte die Lettin vom Altar weg schnurstracks heim samt dem Kind, das schon ein Jahr alt war. Der Herr von Falk erschien ein paar Tage nachher Die Leute im Dorf sprachen zuerst davon. mit einem roten Seidenschal, den er Katja Sie sagten, etliche, die der Schlaf mied, hät- schenkte, und dem Kinde brachte er ein Tuch ten in jener schwarzen Nacht ein Licht gei- mit und Schuhe, die noch zu groß waren. Dem stern, eine arme Seele wandern sehen. Sie Wilm hinterließ er eine dicke Zigarre, denn sahen sie aus dem Haus der Katja fortgehen dieser stach Torf im Moor, und der Herr von ins Moor und dort verlöschen und wieder auf- Falk wußte immer, wenn Wilms im Moor Torf flammen, wanken und zucken und immer klei- stach. Die Leute im Ort sagten ohnehin, wenn ner werden. Jetzt, da man vernahm, Katja sei sie das Kind der Katja sahen: ,, Ganz wie der nicht heimgekehrt, jetzt hieß es, die arme sün- Herr von Falk" Deswegen hegte der Heim- dige Seele Katjas sei im Torf umgegangen und drechsler keine besonderen freundschaftlichen suche ihren Gott. Gott aber lebe nicht im Gefühle für den Herrn, aber die Zigarre Moor, und wie der Herr Jesus der Magdalena rauchte er dennoch am Abend, als sein eines vergeben habe, so auch der Katja, wenn sie Bein über dem Stuhl hing und Katja vor dem ihn nur gefunden hätte. Der Herr von Falk sei großen Spiegel ihre schwarzen Geflechte auf- zwar ein feiner, ein reicher Herr, aber Un- steckte. Denn sie ging neuerdings wieder glück bringe so eine Liebe über kurz oder über Feld, nicht gerade an jedem Abend, aber lang, und jetzt habe Gott gesprochen. doch drei- oder viermal in der Woche. Nur sonntags blieb sie daheim, denn sonntags, hieß
Die Sache war nämlich die, daß kein Mensch mehr etwas von Katja sah. Anfangs hies es,
eines Tages strich der gnädige Herr durchs Dorf und beäugte eine lange Weile die Hütte des Heimdrechslers, und am Tage darauf tat er es wieder. Schließlich sah man den Herrn durch die Türe treten und nach einer Mi- nute rot angelaufen und erregt wieder heraus- kommen wie in einem Zorn. Und wie der gnädige Herr ellends wegfuhr, stand der Wilms unter seiner Tür, auf einem Bein, drohend das hölzerne in der Hand.
Am Tage darauf traten zwei Herren bei dem Heimdrechsler ein und fragten ohne Um- schweife, wo Frau Katja Tangut sich be- finde, die Ehefrau des Tangut, und ob er, der Ehemann, wisse, wo seine Frau stecke. Zur Erhärtung erklärten die Herren, sie seien amtlich hier, von Staats wegen, der Herr von Falk habe die Staatsanwaltschaft benachrich- tigt, denn es rieche hier ausgesprochen nach Mord. ,, Aeußerst verdächtig", meinte der eine der Herren abschließend, der dickere von
beiden, und er nahm umständlich ein Pro-
tokoll auf.
Gendarmen kamen und führten den Heim- drechsler in den Rathauskeller, wo sie ihn einsperrten. Manchmal durfte Wilms ans Licht, wenn einer der Herrn eine Frage hatte, die freilich ohne befriedigende Antwort blieb, denn der Heimdrechsler war versteckt und schabte nur hartnäckig an seinem Holzbein, wenn die Obrigkeit diese oder jene Fragen an ihn richtete. In einer jener Nächte ge- schah Sonderbares. Die Gendarmen hatten den Krüppel in ihrer Mitte, standen vor des- sen Hütte. Der dickere der Herren stieg in die Giebelstube empor, wo ein Petroleumlicht flackerte, kam mit diesem herunter und schritt damit feierlich, gleichsam wie bei einer Pro- zession, ins Moor hinaus, die Gendarmen mit dem Heimdrechsler folgten. Ganz ferne, ei- nem Pünktchen gleich, schien ein anderes Licht, weit über das Moor, zuckelte, verlosch, entzündete sich aufs neue, freundlich leuch- tend und mählich größer werdend. Es kam aus der Richtung der Jagdhütte des Herrn
8. September 1948
Widersprüche
cz General Clay hat der hessischen Regierung am vergangenen Wochenende seine Glückwünsche zur Beendigung der Demontagen übermittelt so wird aus Wiesbaden gemeldet. Er gratulierte demnach zur vollzogenen Amputation. Im allge- meinen ist in diesem Falle eigentlich mehr An- laß zu kondolieren. Und trozdem. Die Hessen wissen jetzt, woran sie sind und werden das Telegramm als das kleinste der denkbaren Übel zu würdigen wissen. Vielleicht kommt ihnen am Ende noch Marshalls Demontagestopvorschlag zu
Hilfe, dann dürfen sie einen Teil der Kisten
wieder auspacken und das wäre, als käme mit- ten im Jahr der Weihnachstmann.
Ob wir hier in der französischen Zone wohl
auch noch soweit kommen? Naheliegend, daß es uns interessiert, zu wissen, wie sich in den letz- ten Phasen der Demontagediskussion Frankreich geäußert hat. Da wäre folgendes festzustellen: Bis vor kurzem wurde immer wieder auf die Interalliierte Reparationsagentur verwiesen und betont, Frankreich sei nur begrenzt an den neue- sten Demontagen interessiert, da ihm das We-
nigste davon zufalle, aber... wie einstens Pi- latus.
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Dann kam Marshalls Vorschlag, die noch be- vorstehenden Demontagen zu überprüfen. Schon treten andere Argumente auf. Ein Sprecher des Quai d'Orsay erklärte, die Möglichkeit für Ver- handlungen sei gegeben, unter Beachtung dreier Grundbedingungen: Das deutsche Rüstungspo- tential dürfe nicht wiederhergestellt werden, Deutschland müsse an Frankreich zurückgeben, was es während der Besetzung Frankreichs sich angeeignet habe und schließlich dürfe der Bei- trag Deutschlands zum Wiederaufbau nicht durch Ueberindustrialisierung auf Kosten der Land- wirtschaft geschmälert werden. Der ersten For- derung stimmen wir vorbehaltlos zu, Fall zwei bedarf nun langsam bei grundsätzlicher Zu- stimmung einer Abgrenzung, Fall drei sagt etwas anderes als gemeint ist. Wie bereits be- richtet wurde, hat man sich in Paris darauf be- rufen, daß in Jalta und in Paris das Reparations- prinzip anerkannt worden sei, um einen raschen industriellen Wiederaufstieg Deutschlands zu verhindern und den seiner Nachbarn zu er- leichtern. So wechseln die Argumente, wobei zu berücksichtigen wäre, daß von deutscherseits die Pflicht zur Wiedergutmachung voll anerkannt, nicht aber einzusehen ist, warum die indu- strielle Stärkung des übrigen Europa eine Ver- stümmelung der deutschen Industrie vorausset- zen solle. Und noch eins. Bei verschiedenen an- deren Anlässen hat sich Frankreich doch darauf berufen, daß es sich an die Beschlüsse von Pots- dam nicht gebunden fühle, da es dort nicht ver- treten gewesen sei?
,, Le Monde" wies dieser Tage in einem Artikel darauf hin, daß die Friedensbedingungen die schon vor dem Kriege in Deutschland bestehende weitgehende Industrialisierung noch veiter stei- gern müßten, zumal der Verlust eines Viertels der landwirtschaftlich genützten Fläche nur auf diese Weise wieder wettgemacht werden könne. Man solle daher nicht mit leeren Worten und allgemeinen Redensarten kommen, sondern je- den einzelnen Fall gesondert untersuchen. Hin- zu käme, daß die Demontagen schon seit zwei Jahren abgeschlossen sein müßten. Es gelte jetzt, die Fälle festzustellen, in denen die deutschen Klagen berechtigt seien.
Und noch ein Argument:„ Wir wollen nicht vergessen, daß der Marshallplan nur für ein Jahr bewilligt ist. Wäre es vernünftig, eine Hilfe, die Milliarden Dollar umfaßt, wegen Re- parationen aufs Spiel zu setzen, die einige zehn Millionen ausmachen?"
vom
Im Journal de Genève" stand zu lesen, ge- schrieben Berliner Vertreter von„ Le Monde", Georges Blun:„ Engländer und Ameri- kaner können sich über die Wirtschaftsprinzi- pien, die es in Deutschland durchzuführen gilt,
nicht einigen, aber sie sind einig in der Ableh- nung der politischen Zielsetzungen der Franzo- sen." Sie denken wohl in erster Linie an Mar-
shallplan und Wiederaufbau Europas, wir auch. Und an die deutsch- französische Verständigung, die allen europäisch denkenden Menschen we- sentlichstes Anliegen sein müßte. Was hindert demnach daran, alle Widersprüche aufzulösen zugunsten einer konstruktiven Politik der Zu- sammenarbeit für die Errichtung einer stabilen Weltordnung dort, wo man vorläufig weder West noch Ost zum Einspruch herausfordert?
Herausgeber und Schriftleiter: W.H.Hebsacker( z.Zt.Urlaub) Dr. Ernst Müller und Alfred Schwenger Weitere Mitglieder der Redaktion: Dr Helmut Kiecza und Joseph Klingelhöfer Monatlicher Bezugspreis einschl. Trägerlohn 1.80 DM, durch die Post 2.16 DM. Einzelverkaufspreis 20 Pf. Erscheinungstage: Montag, Mittwoch, Samstag Verlag und Schriftleitung: Tübingen Uhlandstraße 2
von Falk, ohne jeden Zweifel. Die Gendar- men enthielten sich aber jeder Aeußerung dieserhalb, sie dachten nur tief in sich. Und dann war das ferne Licht ganz nahe, nur ein schwarzer Sumpf stand zwischen ihnen, und ein Mann fluchte drüben( es war der andere der beiden Herren, der dünnere, mit den bis- sigen Falten um den Mund). Er fluchte von einer verdammt teuflischen Falle, einen Men- schen mit einem Licht in den Sumpf zu lok- ken in stockdunkler Nacht, von einem ver- ruchten Verbrechen in diesem stinkenden, blasigen Moor, das ohne jeden festen Boden sei und bei jedem Tritt schwanke wie ein Kahn. Er, der Kommissar Malzer, wolle ver- dammt sein, wenn hier der Fall sich nicht löse.
Und der Fall löste sich. Die Lampe hüben und die Lampe drüben, dazu die Scheinwerfer der Gendarmen, erhellten die schwarze Katja, die im Wasser aufgetaucht lag als schliefe sie sanft. Sanft hingestreckt ruhte sie im Tode,
und Frösche hüpften von ihr im weiten Bogen aufklatschend in den Sumpf zurück. Der Fall klärte sich vollends, als der dickere von den Herrn in die Runde leuchtete und den Strahl auf dem Ast einer Weide ruhen ließ, an dem eine ausgelöschte Petroleumlampe hing.
Wegen dieser Lampe in der Weide also sahen die Leute im Dorf eine arme Seele durch das Moor irren, die ihren Weg von der Hütte des Heimdrechslers aus genommen hatte. Dieses Licht war wahrlich der Ungeist der armen Katja, die nicht nur der Herr von Falk ver- führte, sondern gleichermaßen das Licht ihres Hauses, das Wilms in jener Nacht auf den Wei- denbaum hing, der an dem schwarzen Frosch- sumpfe wuchs, welcher Katja verschlang.
Herr von Falk nahm das Kind des Heim- drechslers zu sich, denn dieser kam wahr- scheinlich nicht so bald wieder heim. Und das war immerhin ein guter Zug des gnädigen Herrn, ein Kind zu sich zu nehmen, damit die- ses nicht auch noch vom Moor verschlungen werde, wenn wieder einmal ein falsches Licht an einer Weide flackern sollte.