7. Juni 1947
SCHWABISCHES TAG BLATT
WIRTSCHAFT UND VERKEHR and mi
Die Grundlagen des Welthandels
vor
Der bevorstehende Kongreß der Internationalen Handelskammer( IHK) in Montreux wird die neuen rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen des Welt- handels zu prüfen haben. Die JHK ist ohnehin aus den Besonderheiten des zwischenstaatlichen, allem des Ueberseehandels hervorgegangen. Mehr als im Binnenhandel können die Gefährdung der Ladung, lange Seewege und Streiks Zinsverlust und Unsicherheit in die Kostenrechnungen bringen. Dazu treten Marktschwankungen und die Andersartigkeit von Recht, Sitte und Handelsbrauch, die sich mit wachsender Entfernung vergrößern. Heute beschleu- nigen allerdings die Nachrichtentechnik und neu- artige Transportmittel wie das Flugzeug die Abwick- lung, auch ist im Ueberseegeschäft der Zwischen- handel so gut wie ausgeschaltet, da die staatlichen und privaten Handelsverbände über die Erdteile ein Netz von Ein- und Verkaufsniederlassungen ge- spannt haben. Die Endglieder der Vertragsketten sind so gewöhnlich auf beiden Seiten machtvolle Wirtschaftsverbände. Eine weitere Eigenart des Welt- handels ist der Formularvertrag. Die großen Kaffee- und Getreidegesellschaften haben sich unter Mit- wirkung meist englischer Versicherungsjuristen Fir- menformulare geschaffen, deren Klauseln nunmehr das Ueberseegeschäft schlechthin beherrschen. Darin sind die ,, Kosten- und Störungslast", die Gefahrtra- gung und andere Fragen der Haftung für Untergang und Verschlechterung, für Verzögerung u. a. gere- gelt. Die bekanntesten der Klauseln sind z. B. ,, cif" Hamburg( cost, insurance, freight, d. h. der Ver- käufer trägt Verladekosten, Versicherung- und Fracht- spesen bis Hamburg),„ fob"( free on bord, d. h. der Verkäufer übernimmt Gefahr und Verladekosten bis aufs Schiff) ,,, to arrive"( glückliche Ankunft vorbe- halten"). Solche Klauseln sollen auf dem Kongreẞ möglichst zu einheitlicher Auslegung durch die Be- teiligten am Welthandel gebracht werden. Die JHK hat nach dem ersten Weltkrieg zusammen mit der ,, International Law Association" schon auf eindeu- tige Begriffsbestimmung dieser Bezeichnungen Wert gelegt. Alle am Welthandel beteiligten, der JHK angeschlossenen Verbände und Firmen reichten ihre Auslegungen ein. Der Pariser Kodex" der JHK von 1928 enthält eine Liste der handelsüblichen Vertrags- formen. Wie sehr in den einzelnen Fiagen die Mei- nungen auseinandergehen, beweist etwa die Ant- wort auf den streitigen Punkt:„ Ist Minengefahr zu versichern?" 76 der Beteiligten sagten" ja", 27" nein". 30 set en Bedingungen hinzu. Auch die Frage:„ Wer trägt die Gefahr des Totalverlustes?" ist noch nicht einheitlich geklärt, ebenso wie die Meinungen über den„ Erfüllungsort" von englischen, deutschen und französischen Juristen verschieden beantwortet wer- den. Durch die jüngsten militärischen Ereignisse und die weltpolitischen Verschiebungen sind viele der alten Regelungen gegenstandslos geworden und bedürfen neuer Festlegung.
Ein weiterer Programmpunkt ist die zwischenstaat- liche Schiedsgerichtsbarkeit in Handelssachen. Die ,, Schiedsklausel", die kaum in einem Ueberseever- trag fehlt, entzieht einen etwaigen Rechtsstreit der Vertragspartner jeder ordentlichen Gerichtsbarkeit in den Staaten. Der Welthandel, rechtlich kaum ge- regelt, hat sich bis heute weit mehr als bis vor
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kurzem das Arbeitsrecht, außerhalb einer Ueberprü-
fung durch staatliche Gerichte und einer Durch- leuchtung durch die Rechtswissenschaft entwickelt. Der Kaufmannsstand zieht eine kurze, faire Ver- ständigung dem eingehenden Gerichtsverfahren und dem langwierigen Instanzenzug vor. Man will unter Sachverständigen bleiben. Den Firmen ist eine schnelle, ungünstige Entscheidung, nach der man
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sich sofort richtet, lieber als mehrjährige Ungewiß- heit. Es wird in Kauf genommen, daß die benann- ten Schiedsrichter mitunter parteiliche sind und dem Druck des übermächtigen Verbandes nachgeben. In Montreux soll die vorgesehene Schiedsgerichts- barkeit zu einfachem, schnellem und billigem Ver- fahren gefördert werden. Im Juni 1946 hatte bereits der Schiedsgerichtsausschuß der Kammer getagt. Im Sommer 1946 hielten auch große Schiedsvereinigun- gen des Welthandels in Paris eine Konferenz ab. Es zeigte sich hierbei, daß die staatliche Gesetzgebung in Handelssachen weit auseinandergeht: so greift der Welthandel durch Koordinierung seiner Ver- träge und Schiedsgerichte zur Selbsthilfe.
Auf dem Kongreß wird weiterhin die Frage be- handelt, inwieweit das geistige Eigentum an Erfin- dungen durch den Krieg berührt wurde.
Endlich sieht das Programm die rechtliche und steuerliche Behandlung ausländischer Gesellschaften vor. Durch die reißende Entwicklung der Technik ist der zwischenstaatliche Verkehr von Gütern und Menschen so eng miteinander verflochten, daß die rechtliche Gleichstellung ausländischer Unterneh- mungen, die Anerkennung von Rechtspersönlichkeit und Vertretungsmacht von entscheidender Bedeu- tung im Welthandel wird. Die JHK hatte im Jahre 1939 einen Entwurf für zweiseitige überstaatliche Verträge geschaffen. Inzwischen haben sich im Laufe des letzten Krieges die Staaten noch weiter in die Wirtschaft eingeschaltet, andererseits hat sich auch das Kapital noch mächtiger zusammengeballt. Auf diesen neuen, nicht immer günstigen Grundlagen versucht nunmehr die JHK, den Weltmarkt, der durch Staatengrenzen und gesetzliche Hindernisse noch behindert wird, soviel sie dazu beitragen kann, wieder zu beleben.
Anglo- amerikanische Zone
Dr. Weng
Getreidemangel in Frankreich
Vom 1. Mai an mußte in Frankreich die tägliche Brotration von 300 auf 250 Gramm herabgesetzt wer- den, und man weiß noch nicht, ob bis zur neuen Ernte weitere Kürzungen vermieden werden kön- nen, wenn nicht aus Amerika bedeutende Mengen von Getreide eintreffen.
Diese Maßnahme ist erstaunlich, da Frankreich 1946 die beste Ernte seit Kriegsausbruch hatte und selbst die amtlichen Statistiken Ergebnisse bekannt- gaben, die zwar hinter den Normalernten der Vor- kriegsjahre noch etwas zurückstanden, aber trotz- dem eine genügende Brotversorgung bei Beibehal- tung der Rationierung sicherstellen konnten.
Es ist natürlich schwer, festzustellen, ob die Bauern ihren Ablieferungsverpflichtungen pünktlich nachgekommen sind. Die Befürchtungen einer schwa- chen Ernte für 1947, infolge des strengen Winters, der hinter uns liegt, haben außerdem viele Bauern veranlaßt, Sicherheitsreserven anzulegen. Aber die Hauptursache ist zweifellos eine falsch verstandene oder eine auf halbem Wege steckengebliebene Plan- wirtschaft. Das französische Beispiel kann daher auch über die Grenzen des Landes hinaus eine Lehre sein.
Nach der letzten Ernte wurde die Kontrolle des Mehlverbrauchs stark gelockert. Das Ergebnis war, daß der Schwarzmarkt über beliebige Mengen Brot verfügte und der Gesamtverbrauch die französischen Möglichkeiten überstieg. Zwieback, Gebäck, Sand- wichs wurden fast allgemein ohne Marken verkauft. Das war möglich, weil die Mehlversorgung praktisch unabhängig von der abgelieferten Markenmenge war. Der Brotverbrauch war für alle diejenigen, die sich einen Ueberpreis leisten konnten, so gut wie unbeschränkt.
Wirtschaftsnachrichten
FRANKFURT. Nahrungsmittel im Wert von 290 Mill. Dollar sind seit Beginn der Besetzung bis Ende 1946 von den USA. in die amerikanische Besatzungs- zone Deutschlands geliefert worden.
ESSEN. Die Kohlenförderung in der britischen Zone sank in der Zeit vom 5. bis 23. Mai von 220 000 t auf 214 000 t täglich. Die durchschnittliche Tagespro- duktion betrug in dieser Zeit etwa 217 500 t.
BERLIN. Die Produktion der Papier- und Zellu- loseindustrie in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands hat annähernd den Stand vom Som- mer vorigen Jahres und damit 30 Prozent des Pro- duktionsdurchschnitts von 1936 erreicht.
BERLIN. Die OMGUS teilt mit, daß die Verwal- tung des Forstwesens dem bizonalen Ernährungs- und Landwirtschaftsamt in Stuttgart übertragen wurde. Es wird angestrebt, daß Bauholz aus deut- schen Wäldern als Exportgut an Länder geht, die unter den Kriegseinwirkungen sehr gelitten haben. Da diese Länder dafür Devisen zahlen, erhalten die beiden Zonen eine weitere Möglichkeit zur Bezah- lung von Lebensmitteln und anderen dringenden Einfuhren.
Sowjetische Zone
SPEYER. Um dem im Januar ds. Js. erfolgten Bei- tritt der sowjetischen Besatzungszone zum deutschen Eisenbahn- Tansitverkehr Rechnung zu tragen, ist zum internationalen Durchführungstarif für Güter und Tiere im Durchgang durch Deutschland der Nachtrag 2 erschienen. Nähere Auskünfte erteilen die Güterabfertigungen.
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BERLIN. Die Regierung des Landes Thüringen hat beschlossen, Vieh an Brandenburg und Mecklenburg zu liefern. Der Mangel an Zugvieh ist dort so groß, daß die Bauern ihre Felder nicht zu bewirtschaften vermögen.
BERLIN. Der Holzbestand in den Wäldern Berlins ist infolge des Raubbaus von 3 Mill. cbm im Jahre 1938 auf 1,4 Mill. cbm zurückgegangen. 2113 ha von insgesamt 25 000 ha der Berliner Forsten sind völlig kahl geschlagen.
Außenhandel
STETTIN. Der erste Transport dieses Jahres von 600 t synthetischen Benzins für Polen aus der sow- jetischen Besatzungszone Deutschlands traf hier ein. Der Export erfolgt im Rahmen des zwischen Po- len und der sowjetischen Besatzungszone abgeschlos- senen Warenlieferungsvertrags.
BERLIN. Die britische Kontrollkommission für Deutschland stellt fest, daß die Ausfuhr von Bau- holz aller Art aus der britischen Zone im April um rund 30 Prozent höher war als im März.
Ausland
WARSCHAU. Hier wurde ein polnisch- jugoslawi- scher Handelsvertrag unterzeichnet. Der Vertrag läuft auf die Dauer von 5 Jahren und sieht einen Warenaustausch von 215 Mill. Dollar vor.
INNSBRUCK. Bei Braunau a. Inn wurde ein er- giebiges Kohlenvorkommen entdeckt. Man rechnet mit einer Ausbeute von 26 Mill. t. Mit der Arbeit kann nicht vor 2 Jahren begonnen werden.
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Nr. 45/ Seite>
Kleine Weltchronik
Amerikanische Zone
STUTTGART. General Clay erklärte, im Mai seien 340 000 Tonnen Getreide geliefert worden, so daß sich die Ernährungslage gebessert habe. STUTTGART. Dr. Fritz Ermath ist zum Intendan- ten von Radio Stuttgart ernannt worden.
MÜNCHEN. 51 aus Bayern nach Schanghai emi- grierte Juden wollen bei der amerikanischen Mili- tärregierung ihre Rückkehr nach Bayern erwirken. Britische Zone
HAMBURG. Der deutsche Pressedienst DPD., di deutsche Nachrichtenagentur in der britischen Zone, soll am 1. Juli in deutsche Hände übergehen. KIEL. Die britische Kontrolimission wird die in Flensburg und Schleswig bestehenden dänischen Schulen bis zum 1. April 1948 auflösen.
HANNOVER. Im Jahre 1946 sind 315 000 neue Fälle von Geschlechtskrankheiten in den drei westlichen Zonen, darunter 152 000 allein in der amerikanischen Zone, gemeldet worden.
HANNOVER. Die SP. hat die Namen von 22 Ju- gendlichen veröffentlicht, die seit Juni 1945 von der sowjetischen Polizei aus dem Kreis Luebben ab- geholt worden sein sollen.
OLDENBURG. In der westlichen Hälfte des Jade- busens sollen 1000 bis 1300 Hektar Land durch Ein- deichung gewonnen werden.
Russische Zone
BERLIN. Von der durch die Ostzone vorgesehe- nen Lieferung von 127 000 Tonnen Brotgetreide für die anglo- amerikanische Zone sind nur 80 000 Ton- nen geliefert worden, von 235 000 Tonnen Kartoffeln gar nur 109 000 Tonnen.
BERLIN. Seit Beginn der Entlassungsaktion im Juni 1946 sind 216 878 deutsche Kriegsgefangene und Zivilinternierte aus der Sowjetunion nach Deutsch- land zurückgekehrt, davon allein 14 180 im vergan- genen Monat.
Ausland
WIEN. Eine Abordnung österreichischer Frauen hat beim stellvertretenden russischen Oberkommis- sar für Oesterreich um eine beschleunigte Freilas- sung ihrer kriegsgefangenen Männer gebeten.
PRAG. Fünf deutsche Gewerkschaftsvertreter neh- men an der Tagung des Weltgewerkschaftsbundes in Prag, die am 9. Juni beginnt, teil.
PRAG. Die erste Sitzung des zweiten Weltkongres- ses des internationalen Journalistenverbandes findet augenblicklich in Prag statt.
KAIRO. Der englisch- ägyptische Streitfall über die Räumung Aegyptens von britischen Truppen soll der UN. zugestellt werden.
WASHINGTON. Der 30- Millionen- Dollarkredit für Persien zur Ausrüstung seiner Armee soll in Bälde unterzeichnet werden.
WASHINGTON. Der Friedensvertrag mit Italien ist dem USA.- Senat zur Ratifizierung vorgelegt wor- den.
WASHINGTON. Die von den amerikanischen Koh- lenbergwerkarbeitern geforderte Lohner.öhung ist von dem Leiter der Bergarbeitergewerkschaft, John Lewis, zurückgewiesen worden.
KAIRO. Aegypten plant die Aufnahme diploma- tischer Beziehungen zu Italien und als erstes Land des Islams zum Vatikan:
NANKING. Der politische Volksrat Chinas hat eine Entschließung angenommen, durch die der Tanz in ganz China verboten wird.
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