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undankbare Sache. Die chinesische Zentral- regierung hat ihre unerschütterliche Ansicht vor kurzem durch den Mund eines hohen Re- gierungsbeamten zu erkennen gegeben:„ Die Regierung wird keinen Zipfel mandschuri- schen Territoriums den Kommunisten über- lassen. China ist eine Einheit und als solche unteilbar. Die Einstellung der Regierung ist klar. Entweder nehmen die Kommunisten an der Regierung teil, womit wir völlig einver- standen sind, oder sie bleiben in der Oppo- sition. Es kann jedoch auf keinen Fall einen Staat im Staate geben."
Nach der Meinung des Generalissimus muß die chinesisch- sowjetische Zusammenarbeit nicht nur erhalten bleiben, sondern sogar ver- stärkt werden. Die wichtigste Friedensaufgabe der chinesischen Zentralregierung müßte unter allen Umständen die umgehende Durchfüh- rung des politisch- wirtschaftlichen Reform- werkes der Enteignung des Großgrundbesitzes sein, eine Kardinalforderung im Parteipro- gramm Dr. Sun Yatsens.
Im Interesse des Weltfriedens und der Voll- endung des chinesischen Einigungswerkes, für das die Besten des chinesischen Volkes so lange gekämpft haben und für das so viel Opfer an Gut und Blut bereits dargebracht worden ist, wäre ein Gelingen der amerikani- schen Vermittlungsaktion in China von gan- zem Herzen zu wünschen im Geiste des Va- ters der chinesischen Republik Dr. Sun Yatsen und der Forderung seines politischen Pro- gramms! China hat nur durch die Verhält- nisse gezwungen acht Jahre lang einen Ver- teidigungskampf führen müssen. Mit aufrich- tiger Bereitschaft zu Frieden und Freund-
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schaft kommt es seinem großen russischen Nachbarn entgegen!
Zusammenarbeit?
Der Wahlkampf in der britischen Zone war im wesentlichen ein Duell zwischen der CDU. und der SPD., die sich gegenseitig im Kampf um die Wählerstimmen nicht mit seidenen Handschuhen angefaßt haben. Das Ergebnis war ein Mehr an Stimmen für die Sozial- demokraten, jedoch ein Mehr an Sitzen für die Union, ein typisches Ergebnis des ange- wandten Wahlsystems. Beide zusammen be- herrschen das politische Bild der Zone in ei- nem Maße, daß man trotz dem Vorhanden- sein der anderen politischen Gruppen von ei- nem Zweiparteiensystem sprechen kann.
Die Wahlen haben die notwendige Klärung gebracht. Die beiden Parteien halten sich heute die Waage. Jetzt müssen sie notgedrun- gen wieder zueinander finden. Verschiedene Stellungnahmen lassen darauf schließen, daß diese Notwendigkeit auch in den Parteifüh- rungen der CDU. und der SPD. erkannt wor- den ist. In Oldenburg, Münster und Köln wurde eine Verständigung über die Besetzung der führenden Verwaltungsstellen und damit über die gemeinsame Verantwortung bereits erzielt. Knapp eine Woche nach Ablauf der Wahlen hat der führende Kopf der CDU. im Westen, Dr. Adenauer, in einem Brief an Dr. Schumacher ein offizielles Angebot zu gemein- samer Arbeit unterbreitet. Schumacher ant wortete mit einem zurückhaltenden Tele- gramm, in dem er, die Bereitschaft der So- zialdemokratie zur Zusammenarbeit mit allen aufbauwilligen demokratischen Kräften der Zone zum Ausdruck brachte. Beide Parteien hatten bereits zum Ausgang der Wahlen er- klärt, daß sie keine Unterdrückung der klei- nen Parteien dulden würden. Die vorsichtige Form der Aeußerung Schumachers dürfte des- halb vor allem im Hinblick auf den unerwar- teten Ausgang der Berliner Wahlen, die in der britischen Zone stärkste Beachtung fan- den, gewählt worden sein, zum zweiten hat die große Rede des britischen Außenministers Bevin vor dem Unterhaus in London, die, soweit sie sich mit Deutschland befaßte, in den Verstaatlichungsplänen für die deutsche Schwerindustrie gipfelte, in den beiden Par- teien ein sehr verschiedenes Echo gefunden. Während die von Mr. Bevin vorgebrachten Verstaatlichungspläne von der SPD. als gro- Ber Fortschritt bezeichnet wurden, erklärte Dr. Adenauer nachdrücklich, eine so weitgehende Verstaatlichung werde von der Mehrheit des deutschen Volkes mit der CDU. abgelehnt.
MARIE Don Francis Jammes
Übersetzt von Jakob Hegner( Nachdruck verboten)
1.
An einem Tag, da der Schnee sich weit hinaus erstreckte, kam Marie zur Welt. Als ihr Vater, ein kleiner Beamter, das Kind endlich in der Wiege liegen sah und die Wöchnerin glücklichen und ruhigen Gesichts, trat er ans Fenster und vergoß in der Stille Tränen der Demut und der Freude.
Es war noch kein Jahr her, seit Maries Eltern miteinander die Ehe eingegangen wa- ren. Sie hatten gewartet, bis sie genug bei- sammen hatten, um einen gemeinsamen Haus- halt einzurichten, ein paar billige Möbel an- zuschaffen, auch einiges Küchengerät. Dann war ihnen der Segen des Himmels zuteil geworden. Und nun war ihnen die Tochter geboren.
Der Vater Maries hatte blasse Wangen, dunkle Augen und einen dunklen Bart. Er trug eine Jacke übergezogen, denn er war Staatsbeamter, Steuereinnehmer der Landes- kreisstelle Roquette- Buisson. Die Mutter war nicht blond, nicht braun, nicht häßlich, nicht hübsch, aber sanft von Gemüt und voll Hin- gebung.
Auf die folgende Art waren sie zueinander gekommen. Eine Tante des jungen Mädchens, die sich ihrer schon von klein auf angenommen hatte, begann eines Tages:
,, Du bist nun fünfundzwanzig Jahre alt, hast keine Eltern mehr und mußt nun daran denken, dich zu verheiraten; man ist zu un- glücklich, wenn man sein ganzes Leben allein verbringt, so wie ich hier in Navarreux. Du hast 17 000 Franken Mitgift, nicht mehr, aber ich will dir 5000 Franken dazu geben, und du sollst auch mein Haus hier erben, wenn der Mann, den du heiratest, mir zusagt. Den Steuereinnehmer vom Kreisamt hielt ich immer schon für den richtigen. Ich bin ihm
SCHWÄBISCHES TAG BLATT
Wiedersehen mit Berlin
Die Wirklichkeit übertrifft alle Vorstellungen Ein Bericht von Francois- Poncet
Der ehemalige Botschafter Frankreichs in Berlin, André Francois- Poncet, ist in der Pariser Zeitung ,, Figaro" schon oft an hervorragender Stelle zu Worte gekommen. Kürzlich hat er, nach fast acht Jahren, Berlin einen Besuch abgestattet und seine Eindrücke wiedergegeben. Da sie auch für jeden deutschen Leser von Interesse sind, so geben wir sie nachstehend wieder:
Francois- Poncet beginnt seine Artikelserie mit dem, was jedermann zuerst sieht, mit den Ruinen:„ Ich wußte natürlich, daß die Stadt zerstört worden war. Ich hatte Photographien gesehen. Aber die Wirklichkeit übertrifft alle Vorstellungen, die man sich davon machen kann. Sie spottet jeder Beschreibung. Kein Viertel, keine Straße, fast kein Haus ist unbe- schädigt." Diese aufgerissene Stadt erscheint ihm wie ein Trümmerfeld nach einer furcht- baren Naturkatastrophe. Den Tiergarten, die Nachbarschaft seiner ehemaligen Wirkungs- stätte, findet er öde und ohne Spur von Vege- tation. Die ehemalige französische Botschaft am Pariser Platz bietet nur noch einen schä-
bigen Anblick. Die majestätische Ehrentreppe sieht einer Leiter verzweifelt ähnlich, und der Beobachter fragt sich selbst, ob es zutreffe, daß es in der ersten Etage einmal einen Ball- saal von fünfzehn Meter Länge und sechs Me- ter Breite gab.
In Sanssouci hat Francois- Poncet einen Rundgang durch die von den Bomben unbe- rührte Residenz Friedrichs des Großen unter nommen. Er hat das Zimmer Voltaires und das Todeszimmer des Königs noch vorgefun- den, aber im Musiksalon vergebens nach der berühmten Flöte des Monarchen geforscht, und auch die wertvollen Gemälde, die einst diesen Ort schmückten, hat das Auge des Aestheten vermißt. Vor den Trümmern der Potsdamer Garnisonkirche, ehedem Heiligtum der Monar- chie und der preußischen Armee, erinnert er sich, daß hier zwischen Hindenburg und Hitler der Bund des Dritten Reiches mit dem Zwei- ten geschlossen wurde.
Die zerstörten Bauwerke Berlins sind nicht mehr bestimmbar nach ihrem Alter.„ Wenn man nicht wüßte, daß ihre Ruinen erst zwei oder drei Jahre alt sind, könnte man glauben, daß mehrere Jahrhunderte auf ihnen lasten,
Zum Jahrestag der Oktoberrevolution
MOSKAU. Die Sowjetunion beging am 1. November den 29. Jahrestag der Oktober- revolution. Aus diesem Anlaß gab der sow- jetische Rundfunk einen Tagesbefehl des Zen- tralkomitees der kommunistischen Partei der UdSSR. bekannt, in dem es unter anderem heißt:„ Es lebe die Zusammenarbeit der Völ- ker, die vom Geist der Freiheit beseelt sind und die für den allgemeinen Frieden und für die allgemeine Sicherheit kämpfen. Wir grü- Ben die vom faschistischen Joch befreiten Völ- ker, die das Leben ihrer Staaten auf demo- kratischer Grundlage neu errichten. Brüder- lichen Gruß den slawischen Völkern, die für immer von der deutschen Sklaverei befreit sind. Arbeiter aller Länder, kämpft für die endgültige Ausrottung des Faschismus, ent- larvt die neuen Kriegsanstifter und prangert sie an, die Zwietracht und Furcht unter die Völker des Weltalls säen. Seid die wachsamen Hüter des Friedenswerkes. Es lebe die Sow- jetunion, das solide Fundament des Friedens, der Sicherheit und der Unabhängigkeit der Völker."
Konferenz der zweiten Internationale Vertreter der sozialistischen Parteien von 16. Ländern beteiligen sich an der vom 8. bis 10. November in Bournemouth( Englang) statt- findenden Konferenz, die sich mit den Ent-
wicklungen der Beziehungen zwischen den in- ternationalen sozialistischen Parteien befassen soll. Eine der hauptsächlichsten zur Debatte ste- henden Fragen soll die Wiederaufnahme der deutschen Sozialisten sein, an die jedoch dies- mal noch keine Einladung ergangen ist auf Einladung der englischen Arbeiterpartei soll der Vorsitzende der deutschen Sozialdemo- kratischen Partei, Dr. Schumacher, mit einer
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mehrmals bei Frau Durand begegnet. Ich sprach mit ihr über den Plan, den ich für dich ausgedacht habe. Sie ist meiner Meinung. Ich bat sie heute mit dem Steuereinnehmer zum Essen. Er spielt sehr hübsch Geige."
Diese Zusammenkunft war zustandegekom- men. Man trank den Kaffee in der Laube. Er sagte zu dem jungen Mädchen:„ Ich habe wie Sie meine Eltern ganz früh verloren. Ich habe niemals Zuneigung erfahren, die süße Liebe, die das Herz durchdringt und es erwärmt wie ein Vogel das Nest mit sei- nen Flaumenfedern."
Das junge Mädchen hörte ihm zu, das Haupt gesenkt, und dachte dabei, daß sie es wäre, die er liebte, wenn sie es wollte. Wäh- rend er sprach, hatte er Tränen in den Augen. Sie sah ihn gerührt an. Und als man sie allein ließ, nahm er seufzend ihre Hand. Sie entzog sie ihm nicht. Das war ihre Ver- lobung, sie dauerte sehr lange, denn man er- hoffte von einem Tag zum andern seine Er- nennung zum Einnehmer an einem vorteil- haftern Amt als es Navarreux bot. Trotzdem sie warten mußten, waren diese schlichten Seelen von Freude erfüllt. Sie lächelte, wenn sie über ihre Nadel gebeugt saß, bei ihrer emsig geförderten Arbeit. Er wieder fand das kleine Haus, das er vor dem Dorfe ge- mietet hatte, bereits um vieles vergnüglicher. Er pflückte in seinem Garten eine Rose, was er vorher wohl nicht getan hätte, und wäh- rend er ihren Duft einsog, fühlte er eine Liebkosung im Herzen, weil sie ihn an die Wange seiner zukünftigen Frau erinnerte.
Endlich war es soweit, daß er an einen wichtigeren Ort versetzt wurde, nach Ro- quette- Buisson, in demselben Kreis gelegen, was der Tante recht gefiel. Die Hochzeit wurde in Navarreux gefeiert, das Paar reiste fast so- gleich ab, um den neuen Wohnsitz zu beziehen. Der aber erschien ihnen als ein gelobtes Land, und verschönter noch, seit ihnen das Kind ge- boren war an diesem Schneetag.
Marie nun lag in ihrer Wiege, und bei ihr war die Mutter und der Vater, der auf den
wie auf den alten Burgruinen am Rhein oder auf den Resten des berühmten Heidelberger Schlosses."
Wer, wie Francois- Poncet, das gewiß nicht schöne, aber doch geräumige, komfortable, vergnügungsfreudige Vorkriegs- Berlin gekannt hat, steht erschüttert vor der gnadenlosen Sühne, die diese Stadt getroffen hat: ,, Der Gott des Alten Testaments hat seine Hand schwer auf diese Hauptstadt gelegt. Er hat Eisen und Schwefel auf sie herabregnen las- sen. Er hat ihr das Schicksal von Sodom und Gomorrha auferlegt." Und dennoch: die mehr als zwei Millionen Menschen, die diese Stadt noch auf eine geheimnisvolle Weise bewohnen, haben in einem ameisenhaften Arbeitseifer aufgeräumt, Backsteine geordnet, Straßen frei- gemacht, und Francois- Poncet, erstaunt und betroffen von dieser Regsamkeit, hält es für denkbar, daß die Berliner in fünfzig Jah- ren ihre Stadt wieder aufgebaut haben.
Ueber den Ruinen dieser Stadt schwebt für den ausländischen Besucher noch das Bild Adolf Hitlers, und er wünscht ihm, im Inferno Dantes ewig das Elend vor Augen zu haben, das er seinem Vaterland auferlegt hat. Da ist vor allen Dingen die Reichskanzlei, an der 15 000 Arbeiter geschafft haben, und da ist der Bunker, der zum Grabe wurde: ,, In einer Ecke des Gartens der neuen Reichskanzlei hat sich dieses düstere Schicksal vollendet. Mit seinen drei Stockwerken tief in die Erde ein- gegraben, durch mehrere Tunnels mit der Außenwelt verbunden, ist der Bunker des Führers offensichtlich der Möbel entblößt, mit denen er einst ausgestattet war. Er enthält nur noch einige zerrüttete Tische, einen zerschlis- senen Lehnstuhl und umgestülpte Schränke.
Auf den gelblichen Gesichtern der Berliner Bevölkerung hat der ehemalige Botschafter die Not, die schlechte Ernährung, die Müdig- keit der Menschen abgelesen. Er wundert sich, daß sie mit der großen Schuld nicht so sehr Hitler selbst, als seine Untergebenen und die Umstände belasteten, ohne zu erkennen, daß der Zusammenbruch das Ergebnis der schlech- testen Politik war, die seit 150 Jahren in Deutschland getrieben wurde.
Gruppe deutscher Sozialisten gegen Ende des Monats einen Besuch in England machen.
Ein„, demokratischer" Richter? Mancherorts geschehen noch Zeichen und Wunder, besonders im Zeitalter des Gedächt- nisschwundes und der Fragebogenfälschung. Im Gerichtssaal einer kleinen Stadt der Saar steht eine biedere Frau, die der Kadi dort hin- zitiert hatte. Just der gleiche Richter, der die Frau im Jahre des Heils" verurteilte, weil sie einem armen französischen Kriegsgefan- genen aus bitterer Not geholfen hatte. Dies- mal stand sie dem Richter als Zeugin gegen- über, in einer Kuhhandelsangelegenheit, bei der man sie auch nach dem Aussehen des längst verschiedenen„, Buttertieres" befragte. Die gute Frau wußte die Milchkuh recht ge- nau zu beschreiben und erinnerte sich selbst der Farbe dieses Tieres. Diese Genauigkeit aber behagte dem Richter keineswegs, er be- merkte, daß man sich nach so langer Zeit kaum noch an die Farbe der Kuh erinnern könne". Da aber wurde die Zeugin sehr leben- dig und freimütig entgegnete sie dem hohen Herrn: ,, Oh, Herr Richter, ich habe ein sehr gutes Gedächtnis und einen ausgeprägten Far- bensinn; ich erinnere mich z. B. sehr gut, daß Sie damals, als ich vor Ihnen stand und Sie mich verurteilten, richtiggehend braun waren, während Sie doch heute
anders gefärbt
sind!" Was tat der Kadi? Nun, er verfärbte sich nicht, was wohl das Naheliegendste ge- wesen wäre, sondern vertiefte sich statt des- sen in die überlieferten Verordnungen und Vorschriften und erteilte der ehrlichen Frau " wegen Ungebühr vor Gericht" eine Geldstrafe von 200 Mark. Sind das nicht Zeichen und Wunder? Die Kleinen hängt man! Oder irre ich?
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Hof hinabsah, in das Dunkle und Weiße, indes das Feuer im Zimmer seinen ununter- brochenen Singsang brummte. Sie lag in ihrer Wiege gleich allen den Kleinen, die das Licht der Welt erblickt haben und es noch erblicken werden, zart wie ein Atemhauch, mit einem Stupfnäschen wie ein Hund, der sich an die Zitze seiner Mutter andrückt. Und vor ihren geschlossenen Augen ging das Leben mit ihr die Verlobung ein, das Leben, wie eine Wun- derblume dem Nichts entsprossen und ein- schließend in seinen Ewigkeitskelch diese See- len, die Muttergottes auf der Kommode, die Untertasse, die dort stand, den Wagenschup- pen voll Brennholz und auch das eisige Schneetuch, über dem der Mond bald auf- gehen sollte.
Die Scheiter begannen stärker aufzuflam- men, sie knisterten wie Wäsche im Wind, und in dem sinkenden Schatten zuckte ein Wi- derschein an der Tapete. Der Vater näherte sich seinem Kind und betrachtete es aus der Nähe. Er fühlte kein stumpfsinniges Be- dauern, daß es nicht ein Knabe war. Sie ge- nügte, seine Kleine, um ihn überglücklich zu machen, den lange verwaisten Mann, den die Liebe durchdrungen hatte seit einem Jahr.
Gegen kein Königreich hätte er das armselige Zimmer eingetauscht, das er aus seinen Ein- künften, dem Gehalt eines Beamten dritten Ranges, eingerichtet hatte.
Die Taufe fand zum Fest der unbefleckten Empfängnis statt. Man trug sie zur Kirche in der Stille der Schneeflocken, man brachte sie ebenso zurück, und die Mutter erwärmte sie nach der Heimkehr in ihren Armen. Ihr Vater zog sich bis zum Essen zurück und arbeitete in dem engen Schreibzimmer, wo er sein tägliches Brot gewann. Prächtiges Geschirr, vom Gasthof geliefert, veredelte das Mahl, das die Tante aus Navarreux und die beiden anderen Eingeladenen ausgezeichnet fanden. Der Schnee fiel unablässig. Es wurde früh Nacht. Als die Gäste sich entfernt hatten die Tante wir noch am selben Abend ab- gereist schickte sich der Einnehmer an,
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5. November 1946
Ist das Demokratie?
Verlangt der Polizist von dem sich verkehrswid- rig bewegenden Radfahrer eine Buße von fünf Mark, so frägt der Bestrafte entrüstet:„ Ist das Demokratie?"
Nimmt man dem Bauern die Kuh weg, die aus unerklärbaren Gründen seit Mai 1945 keine Milch mehr gibt, so frägt er entrüstet:„ Ist das Demo- kratie?"
Darf der Pg. von 1933 nicht zur Wahlurne Fortsetzung siehe oben... gehen, so frägt er Wird wer zum Arbeitsamt bestellt, hat einer Steuer zu zahlen, steht einer Schlange nach Zigar- ren, gibts nicht genug Butter, ist die Bahn über- füllt, die Zeitung ausverkauft, die Klosettspülung verstopft, dann ist auch die Frage nach der Demo- kratie nicht weit.
Sie ist zum Losungswort geworden für die Bös- artigen und für die Gedankenlosen. Den einen, den dumm Gedankenlosen, mag man zugute hal- ten, daß sie den Weg zur Demokratie mit deren Ziel verwechseln. Sie meinten, ein fertiges Glück in den Händen zu haben, als man ihnen die Demo- kratie gab. Aber es mangelt ihnen die historische Einsicht, daß die großen Demokratien nicht mit dummen Redensarten begonnen wurden, sondern mit dem Willen, die Demokratie als ein verläß- liches Instrument zu handhaben, das besser als jedes andere geeignet ist, die gesellschaftlichen Be- ziehungen der Menschen untereinander zu ordnen. Die andern jedoch wissen sehr wohl, was sie be- absichtigen, wenn sie unter der Maske des harm- los Naiven die bösartige Frage stellen. Sie weiden sich daran, daß der Befragte mit klug gesetzten Argumenten zu antworten sucht, anstatt ihnen bündig zu sagen: Sehr wohl, ich bin ganz Ihrer Meinung: Es handelt sich hier nicht um eine Son- derform der Demokratie, sondern um das üble Erbe des Faschismus, an dem gerade Sie sicher alan nicht ganz unbeteiligt waren."
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Verfassungsentwurf angenommen Nachdem noch einige von der Militärregie- rung vorgeschlagenen Aenderungen eingebaut worden sind, hat die verfassungsgebende Lan- desversammlung für Württemberg- Baden den Verfassungsentwurf angenommen.
Die Präambel zu der nun angenommenen Verfassung hat folgenden Wortlaut:
In einer Zeit großer äußerer und innerer Not hat das Volk von Württemberg und Baden im Vertrauen auf Gott sich diese Verfassung gegeben als ein Bekenntnis zu der Würde und zu den ewigen Rechten des Menschen, als einen Ausbruch des Willens zu Einheit, Gerechtig- keit, Frieden und Freiheit.
Dann folgen im ersten Hauptteil ,, Vom Men- schen und seinen Ordnungen" eine Aufzählung der Menschenrechte, die in allen Verfassungs- werten der Demokratien ihren Niederschlag gefunden haben. Im Artikel 16 heißt es: ,, Ehe und Familie genießen als die wichtigsten Grundlagen der Volksordnung den besonderen Schutz und die Förderung des Staats."
Weitere Artikel regeln Schul- und Religions- fragen. Aus dem Abschnitt über die Sozial- und Wirtschaftsordnung greifen wir den Ar- tikel 29 heraus, der bestimmt, daß Unterneh- mungen und Wirtschaftszweige in Gemein- eigentum überführt werden sollen, wenn da- durch der Wirtschaftszweck erreicht wird.
Der zweite Hauptteil ,, Der Staat" umreißt Aufbau und Aufgaben der Staatsorgane. Würt- temberg- Baden ist ein demokratischer und sozialer Volksstaat. Er ist ein Glied der deut- schen Republik.
Die Staatsfarben sind Schwarz- Rot- Gold. Uebergangsbestimmungen sagen ausdrück- lich, daß diejenigen Teile der Verfassung au- Ber Kraft treten, die mit einer künftigen deut- schen Verfassung in Widerspruch stehen. Der Entwurf wird am 24. November einem Volksentscheid unterworfen werden.
PARIS. Der Leiter des französischen Kom-
missariats für Atomenergie, Professor Curie, macht den Vorschlag, daß die amerikanische Atombombenproduktion eingestellt und die Hauptforschungstätigkeit friedlichen Zwecken
dienen sollte.
Herausgeber und Schriftleiter: Will Hanns Hebsacker, Dr. Ernst Müller, Rosemarie Schittenhelm, Alfred Schwenger und Werner Steinberg( zurzeit erkrankt)
die kleine Nachtlampe im Zimmer seiner Frau anzuzünden, wobei sie ihm den Wunsch ausdrückte, wieder ein wenig Musik zu hö- ren, die sie seit einigen Tagen hatte ent- behren müssen. Er ging seine Geige holen, stellte sich ans Feuer und spielte. Das Stück war gewiß nichts besonderes, aber es drückte das Glück aus, das der Himmel diesem Haus beschert hatte. Die kleine Marie, deren Name der lieblichste von allen Namen ist, sang in dem Herzen ihres Vaters. Und der heimlichen Stimme, die der Bogen übertrug, antwortete mit allen ihren Gnadengaben die Muttergot- tes; sie stieg nicht herab zu der Wiege, gleich einer Fee in den Märchen, die Hände voller Geschmeide, die Lippen voll Honig und guten Wünschen. Aber sie bot der Neugeborenen die Wunderfrüchte der Demut, der Rein- heit und der Geduld. Und diese Gaben, in Unschuld empfangen, durften ihr wertvoller sein als goldene Gefäße und Perlen.
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Marie war noch nicht drei Jahre alt, da hing sie schon an ihrer Mutter mit der gan- zen Innigkeit der kleinen Kinder, als könnten sie sich von der Brust, die sie genährt hat, nimmermehr trennen, ebensowenig wie sich eine Frucht von dem Baume löst, so lange er sie noch hält. Das Kind stellte sich vor sie hin, und während es ihr die winzigen rundlichen Händchen auf die Knie legte, reckte es den Kopf hoch und erbettelte einen Kuß, wie ein Vögelchen von der Vogelmutter einen Schnabel voll Futter, den es auch be- kommt. Mit zweifellos geringerem Vergnügen nahm Marie die Liebkosungen ihres Vaters entgegen, sein Bart störte sie. Aber sie fühlte sich einigermaßen wichtig werden, wenn er sie an sich zog, es schmeichelte ihr, daß er imstande war, sie ganz hoch aufhüpfen zu lassen, dieser Vater, der seine Geige auf eine so geheimnisvolle Weise zum Singen brachte. Sie schätzte nicht minder ihre Puppe, es war nur ein dürftiger Fetzen, und sie hatte bloß einen Arm, ein Bein und kein Haar, doch sie drückte sie aus voller Kraft an ihr Herz. ( Wird fortgesetzt)
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