28. Ua! 1946
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Die ökkenilielie I^ürsoi'Kkk
^Vovon kann üer Nenscl» geraäe nocL leben?
In Deutschland kann niemand verhungern, wenigstens nicht im wörtlichen Sinn, wie es in manchen Ländern dieser Erde noch möglich ist: weil er überhaupt nichts zu essen hat und niemand sich um ihn kümmert. Es braucht niemand zu betteln, wenn er nicht mehr arbeiten kann und nichts hat. Denn es gibt bei uns neben privaten Wohlfahrtsunternehmungen die öffentliche Fürsorge als staatliche Pflicht. Sie kommt für den „notwendigen Lebensunterhalt" der Hilfsbedürftigen aus.
Nach einer noch vom Reichspräsidenten Ebert Unterzeichneten Verordnung über die Fürsorge- pslicht aus dem Jahr 1924 sind für den finanziellen Umfang dieser öffentlichen Unterstützungen „Richtsätze" aufgestellt, die im Jahre 1941 zum letztenmal festgesetzt worden sind. Sie sind nach vier Gruppen abgestuft, je nach der Größe der Wcchn- gemeinden (große Städte, mittlere Städte, kleine Städte, Landgemeinde») und innerhalb der Gruppen wieder nach vier Personenkategorien: Haushaltvorstände (a), Angehörige über 16 (b), unter 16 (e), und Alleinstehende ohne Haushalt (ä).
Ein Alleinstehender in Reutlingen etwa bekommt dabei monatlich 33 Mark, eine Familie mit zwei Kindern unter 16 Jahren 80 Mark. In einer Landgemeinde sind es für die beiden Fälle 24 und 60 Mark.
Hier eine Tabelle mit den verschiedenen Untcr- stützungsrichtsätzen in RM.
Gemeindegruppe
a
d
c
ä
I
30
22
14
33
II
27
20
13
30
III
25
18
12
27
IV
22
16
11
24
Von diesen Beträgen sollen bestritten werden: Ernährung, Beleuchtung und Kochfeuerung, Jn- standhalten der Kleidung, der Wäsche und des Schuhwerks. Reinigung und „kleinere Bedürfnisse". Nicht einbezogen ist die Wohnungsmiete, die Neuanschaffung von Kleidern und Hausrat, die Winterfeuerung, Kosten für Versicherungen und ärztliche Hilfe.' Dafür kommen Sonderzuwendungen in Betracht.
Das statistische Amt hat berechnet, daß die Auslagen für bewirtschaftete Lebensmittel (bei Erwachsenen: monatlich 6000 Gramm Brot, 440 Gramm Fleisch, 300 Gramm Fett, 100 Gramm Käse, 250 Gramm Zucker, 13 800 Gramm Kartoffeln, 125 Gramm Kaffee-Ersatz, 3,75 I Magermilch, 3 Eier) etwa 8 RM. betragen. Für Gemüse und Obst werden durchschnittlich 5 Mark im Monat veranschlagt, und 1 Mark für weitere „Mangelware" wie Salz, Essig, Hefe, Suppenwürfel. Zusammen 14 Mark.
Der Rest des* Unterstützungsgeldes bliebe also für „sonstige Bedürfnisse". Nach einer Haushaltsstatistik aus Südwürttemberg vom Ende 1945 werden in einem bescheidenen Haushalt monatlich etwa ausgegeben: für Beleuchtung und Kochfeuerung 2 Mark, für Unterhaltung von Kleidung, Wäsche und Schuh- werk 3 Mark, für „Kultur und Ausbildung" 80 Pfennig, für „Transporte und Reisen" 50 Pfennig, für Körperpflege und Sonstiges 1,50 Mark, zusammen 7,80 Mark. Für Tabakwaren werden bei Männern monatlich noch rund 2 Mark in Anspruch genommen (20 Zigaretten je 6 Pfennig, 5 Stumpen zu 15 Pfennig).
Der durchschnittliche mittlere Richtsatz für die Unterstützungen (sämtliche Unterstützungen, geteilt durch die Zahl der Empfänger) in Südwürttemberg beträgt etwa 18 Mark. Wenn wir für die „sonstigem Bedürfnisse" nur 7 Mark annehmen und das Rauchen bei Unterstützungsempfängern überhaupt für Luxus erklären, dann stünde jener Durchschnitt also um 3 Mark tiefer als das Existenzminimum. Mit anderen Worten: die geltenden Unterstützungssätze reichen nicht aus, um den notwendigsten Lebensbedarf voll zu bestreiten. Sie sind „zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig".
Soll inan nun verlangen, daß diese Sätze e r - höht werden? Zunächst scheint das eine Selbstverständlichkeit. Der Außenstehende mag geneigt sein, die ganze Unterstützung überhaupt für einen kläglichen Bettelpfennig zu halten; und er hätte vielleicht recht, wenn wir „normale" Zeiten hätten und ein wohlhabendes Volk wären. Leider aber trifft beides nicht zu, und auch die unzureichende Unterstützung, wie sie heute gegeben wird, belastet die öffentlichen Finanzen schwer.
Man muß ferner bedenken, daß viele Unter
stützungsempfänger sich immerhin noch Nebenerwerbsquellen schaffen können; und daß auch die private Wohltätigkeit heute wieder etwas mehr auflebt, nachdem das NSV.-Monopol verschwunden ist.
Viele wissen auch nicht, daß die unterste Schicht der seiner Diensinummer tragen Lohnempfänger nicht gar so viel besser daran ist """ "" - - " "
als ein unterstützter Armer.
Wir wollen also aus den hier gegebenen Zahlen lieber keine Forderungen an unsere demokratische „Obrigkeit" ableiten, sondern sie für sich sprechen lassen. Vielleicht macht sich der oder jener Leser grundsätzliche Gedanken darüber, die ihm und anderen nützlich sind. Etwa indem er sie mit den Ausgaben für den glorreichen zweiten Weltkrieg vergleicht, oder auch nur für den Westwall, den Atlantikwall, V 1 und V 2, oder: das „Führerhauptquartier'', den Haushalt auf dem Obersalzberg und in Karinhall. Oder indem er sich überlegt, wie eine vernünftige und gerechte menschliche Ordnung mit ihren Armen verfahren müßte. L. X.
Die Regierungen der drei Länder in der amerikanischen Besatzungszone haben ihre Budgetvoranschläge zum Finanzjahr 1948 für die öffentliche Fürsorge ausgestellt. Das Finanzjahr umfaßt die Zeit vom 1. April 1946 bis März 1947. Die Aufwendungen betragen:
Bayern 1 098 200 899 NM., Groß-Hessen 246 000 000 RM., Württemberg-Baden 259 300 000 RM.
Oie ckentknlie 8u7.j»I vei-siilioruiig
In einem Aufsatz in der Münchener „Neuen Zeitung" behandelt Dr. Heimerich, bis 1933 Oberbürgermeister von Mannheim, die deutsche Sozialversicherung. Es spreche für ihre Widerstandsfähigkeit, daß trotz großen Schwierigkeiten ihr vollkommener Zusammenbruch hat vermieden werden können. Er erwähnt dann die in der russischen Zone bereits durchgeführte straffe Zentralisierung der Sozialversicherung, durch die alle Beschäftigten ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens der Versicherungspflicht unterworfen worden sind. Die Mittel für den Neuaufbau der Versicherung werden durch einen Mprozentigen Beitrag beschafft, der je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgebracht wird. Andererseits seien jedoch die Leistungen herabgesetzt worden; Renten werden nur an Arbeitsunfähige oder Mittellose bezahlt. Die Höchstrcnte beträgt 200 Mark im Monat.
Die Ilnfallrente ist durch die (geringere) Invalidenrente ersetzt worden.
Dr. Heimerich betrachtet diese Reform als Notstandsmaßnahme und macht den Vorschlag, eine Konferenz von Sachverständiger» der Sozialversicherung einzüberufen, die sich mit der Reform der deutschen Sozialversicherung zu befassen hätte. Außerdem hält er ein Staatssekretariat für das gesamte deutsche Versicherungswesen für notwendig.
Oeutüllie kHeckenskeveKuiiA
Die „Deutsche Friedensbewegung" in Stuttgart Hai die Genehmigung zur Ausdehnung ihrer Tätigkeit auf ganz Nordwürttemberg-Baden erhalten. In der „Deutschen Friedensbewegung"- sind vereinigt die „Deutsche Friedensgesellschaft", der „Friedcnsbund deutscher Katholiken" und die „Liga für Menschenrechte".
richten aus aller Well
-4merifcani«c/rs 2ons
Stuttgart. Die neue Uniform der Stuttgarter Polizei ist dunkelblau; die Mützen sind achteckige Tellermützen nach amerikanischem Muster. Jeder Beamte wird künftig auf der linken Brustseitc ein Schild mit
Mönche n. Wegen Kohlenknapphcit mutz der Per- sonenzugverkehr in Bayern eingeschränkt werden.
Nürnberg. General Zorja, einer der russischen Ankläger in Nürnberg, hat sich beim Reinigen einer Schußwaffe tödlich verletzt.
Heidelberg. Zum Befehlshaber der 3. amerikanischen Armee ist General Geoffrey Keyes ernannt worden. Sein Vorgänger, General Truscott, ist aus Gesundheitsrücksichten zurückgetreten.
Frankfurt. Die Spruchkammer für Entnazifizierung hat den ehemaligen Kommandanten von Frankfurt, Generalmajor Rieger, in „Grupps 5" eingereiht. also entlastet, weil er u. a. am 20. Juli auf seiten der Ausrührer getreten war.
Lnx/izvsie Zone
Köln. Von den hiesigen Gerichten werden im Monat durchschnittlich 36 Ehen geschieden. Die Hälfte davon sind Kriegsehen.
Köln. Eins „Schutiaktivn" des Magistrats legt jedem Bürger und jeder Bürgerin nahe, einen Tag im Jahr ehrenhalber an der Ausräumung mitzuar- beilen,
Duisburg. Unlängst teilte der zuständige Dezernent eines Wirlschastsamtes im Ruhrgebict mit, daß durchschnittlich 15 Prozent aller auf den Abrechnungsbögen des Einzelhandels ausgcklebten Nahrungsmittelmarken bzw. Kartenabschnitte gefälscht seien.
Wuppertal. Nach siebentägiges Verhandlung hat ein britisches Militärgericht das Urteil gegen 14 SS.-Männer gefällt, die beschuldigt waren, im Jahre 1944 in Frankreich acht britische Fallschirmjäger ermordet zu haben. Acht der Angeklagten wurden zu Gefängnisstrafen von zwei bis zehn Jahren verurteilt, sechs wurden freigcsprochen.
Hamburg. Auf einer Feier der ehemaligen politischen Häftlinge Hamburgs ist es zu Kundgebungen für die sozialistische Einheit gekommen.
Bremen. Auf der Autobahn Bremen—Hamburg ist das erste amerikanische Raketenflugzeug „Lockhead 1? 80" gestartet, dessen Geschwindigkeit auf 1000 Stundenkilometer geschätzt wird.
Bremen. Die beiden Senatoren Ehlers und Wolters sind von der KPD. zur SPD. übergetreten.
Kiel. Der Rektor der Universität Kiel, Professör Dr. Creuzfeldt, ist seines Amtes enthoben worden. Er hatte bei der Zulassung der Studenten die Richtlinien der Militärregierung außer acht gelaffen.
Knzzi'rc/is
Dresden. Die längste O-Zugverbindung in der Sowjetzone besteht zwischen Dresden und dem Ostseehafen Warnemünde.
Großenhain i. S. Auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz ist ein neues Dorf eingeweiht worden, in dem 150 Flüchtlingsfamilien aus Schlesien und der Tschechoslowakei angesiedclt worden sind. Jede Familie erhielt ein Pferd, eine Kuh, ein Kalb,
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k'ranxösiscji-ckenlskchs Liren
Laut Auskunft des französischen Konsulats in Frankfurt sind Ehen zwischen Franzosen und Deutschen gültig, wenn sie nach deutschem Recht geschlossen worden sind. Die Ehe muß vom französischen Konsulat registriert werden, um in Frankreich bekanntgegeben zu worden. Es genügt, wenn einer der beiden Ehepartner mit der Heiratsurkunde vor dem französischen Konsulat erscheint.
Der Zuzug nach Frankreich muß von dem französischen Ehepartner in Frankreich bei der zuständigen Präfektur des Departements, in dem sich der Wohnort befindet, beantragt werden. Die Frauen behalten vorläufig ihre Staatsangehörigkeit.
Teukel Neimcl»
In den USA. soll nach Angabe von Abgeordneten eine Waffe entwickelt worden sein, die Bazillen aus einem Flugzeug abregnet und noch schlimmer als die Atombombe sei, da die Bevölkerung ganzer Großstädte und die Ernte ganzer Gebiete samt der Saat im Boden damit völlig vernichtet werden könne.
> Oiplel cler Oielieskreclikeit
In Berlin ist kürzlich der Schauspieler Karl Etlin- ger gestorben. 24 Stunden nachher starb seine Frau an einem Herzkrampf. Das Ehepaar wurde vor der Beisetzung gemeinsam aufgebahrt.
Bei dieser Gelegenheit drangen Diebe in die Wohnung des toten Ehepaares ein, brachen alle Behält
nisse und Koffer auf und stahlen alle vorhandenen Wertgegenstände. Sie zogen sogar der toten Frau Etlinger die Ringe vom Finger.
Die Berliner Kriminalpolizei hat inzwischen einen der Täter verhaftet.
Heinre cler Voxler
Die Berliner „Neue Zeit" berichtet: „Der Vogelsteller Arthur Heinze aus Berlin fff 4, Rheinsberger Straße 42, wurde wegen unerlauhten Vogelfanges festgenommen. Heinze lebte ausschließlich vom Erlös der verkauften Vögel und von dem im Schleichhandel abgesetzten Hanf, den er zum Teil gestohlen hatte. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden ein großes Vogelstellnetz, verschiedene andere Fanggeräte und etwa 500 Leimruten sowie ein Sack mit Hanf vorgefunden. Er gab zu. etwa 300 Waldvögel gefangen und verkauft zu haben."
Die Stadt Verden hatte für ihre Flüchtlinge Wirtschastsporzellan aus Bayern beschafft und als Tauschobjekt Zucker und Haferflocken aus dem Lager ihrer Ernährungsstelle dafür hergegeben. Der Bürgermeister hatte sich deshalb vor der Strafkammer des Landgerichts wegen Vergehens gegen die noch in Kraft befindliche Kricgswirtschaftsverqrdnung zu verantworten. Er wurde freigcsprochen, da das Tauschgeschäft nur zum Besten der Flüchtlinge unternommen worden sei.
ein Schwein und fünf Hühner sowie Ackergerät. Einige Traktoren, Sämaschinen und eine Dreschmaschine wurden Eigenrum der Dorfgomeinfchafl.
Chemnitz. Zur Kontrolle der Preise ist ein vom ' FDGV. bestellter Ausschuß von Frauen eingesetzt worden.
Schwerin. Die hiesige Bevölkerungszahl hat sich seit dem vorigen Jahre vervierfacht.
öer/rn
Berlin. Nach einem Befehl der ruffischen Militärverwaltung wird beschlagnahmtes Nazieigentum in der russischen Zone jetzt den deutschen Verwaltungsbehörden zur Verjügung gestellt.
-lus/anck
Wien. Anton Brunner ist gehenkt worden.
R ö m. In Rom ist «in faschistischer Schwarzsender entdeckt worden.
Prag. Karl Hermann Frank ist vergangene Woche vor Tausenden von Zuschauern gehenkt worden.
Brüssel. Die frühere Eestapoagentin Marie Therese Honorez ist von dem Militärgericht zum Tode durch Erichießcn verurteilt worden.
Warschau. Der frühere -deutsche Gouverneur von Krakau, Dr. Gustav Fischer, wird sich im Juni vor dem höchsten polnischen Gerichtshof zu verantworten haben.
Budapest. In Ungarn ist eine royalistische Verschwörung aufgsdeckt worden.
Charkow. Die Ukraine sieht infolge der Dürre des Frühjahrs einer Mißernte entgegen.
Washington. Amerikanischen Staatsbürgern ist der Versand von Lebensmittelpaketen an Freunde oder Angehörige in Deutschland, Oesterreich und Japan gestattet worden.
Sydney. In Neu-Südwales sollen jährlich 30 000 Einwanderer Aufnahme finden.
Tokio. In Japan zählt man heute fünf Millionen Arbeitslose.
Ankara. Die türkische Nationalversammlung hat einem Kredit von hundert Millionen Pfund für die Landesverteidigung zugestimmt.
Der Streik von 300 000 Lokomotivführern und Schaffnern in Amerika, der unter Vermittlung von Präsident Truman durch eine Lohnerhöhung von 18,5 Cents pro Stunde abgewendet schien, wäre beinahe doch noch ausgebrochen, weil zwei von zwanzig Gewerkschaften den Schiedsspruch nicht annahmen. In einer Rundfunkansvrache am Samstag batte Truman daraufhin auf die ernsten Fol- aen des Streiks auch für das hungernde Europa hingewiestn und die beiden Gewerkschaftsführer Johnson und Whitney vor dem ganzen Lande bloß- gestellt. Er hatte erklärt, daß er im Streitfall die Armee einsetzen werde und eine Sondersitzung des Kongresses emberuse, um der drohenden nationalen Katastrophe zu begegnen. In letzter Minute konnte dann der Ausbruch des Streiks doch noch vermieden werden.
Washington. Präsident Truman versuchte am Sonntagabend die Wiederaufnahme des Streiks der 400 000 amerikanischen Bergarbeiter zu vermeiden. Er berief eine Konferenz zwischen dem amerikanischen Innenminister, der die von der Regierung übernommenen Kohlengruben verwaltet, und Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Konferenz wurde ergebnislos abgebrochen.
Die 14tägige Streikpause der Kohlenarbeiter ist zu Ende. Wenn die Verhandlungen nicht wieder in Gang gebracht werden können, geht der Streik weiter.
Washington. Arbeitsminister Schwellenbach hat eine Konferenz der Schiffahrtsgewerkschaften einberufen, um mit ihnen zu beraten, wie eine Verhinderung des von diesen Gewerkschaften für 15. Juni geplanten Streiks möglich wäre.
Deutzie Vermögen im ^nslancl
Washington. Vertreter der schweizerischen Regierung haben nun mit britischen, französischen und amerikanischen Wirtschaftssachverständigen ein Abkommen über deutsche Vermögenswerte und Goldbestände in^der Schweiz getroffen. Danach wird die Schweiz eine besondere Behörde einsetzen, die alle in der Schweiz befindlichen Vermögenswerte von Deutschen feststellen und zur Verteilung flüssig machen soll.
Oie fromme Xsllirm'
Von L u c! rv i g FmrenZrnbei
Sie war ein altes Weib und ich saß neben ihr auf der Bank unter dem breitblätterigen Kastanienbaum, der vor dem „Armen-Leut'-Haus" stand.
Sagt mir einmal, wie man Euch nennt", fragte ich, nachdem ich schon eine Weile mit ihr ins Gespräch gekommen war.'
„Ich heiß' Kathrin'Haberlechner, als Mädel Hab' ich Niedtmeier geheißen."
In diesem Augenblick ging ein Mann mit einer Kreunze voll Gras vorüber. „Guten Abend, fromme Kathrin", grüßte er.
„Also, fromme Kathrin" heißt man Euch mit Eurem Uebernamen?, fragte ich.
Sie schüttelte etwas ärgerlich den Kopf. Dann sagte sie: „Das ist halt so gekommen!"
„Ich war das erstgeborene Kind und nach mir ist meine Schwester, die Ploni, gekommen. Junge Dirnen sehen gerne nach den Burschen und die nach den Dirnen, das ist halt einmal so eine alte Einrichtung, wird auch nit leicht abzuschaffen sein. Einer hält' mir besonders gefallen, das war der Sohn vom Müller im Ort. Vincenz hat er geheißen, war ein großer, starker Bursch und sauber, mit seinen braunen Augen unter dem pechschwarzen Haar hat er keck in die Welt geschaut. Ich war nit die einzige, die ihn hätt' gut leiden mögen und das Hab' ich wohl gemerkt.
So geschieht es eines Nachmittags nach'm Segen, daß der Müllersohn neben mir und meiner Schwester steht und sagt: „Dirndeln, ich geh' mit euch!"
„Wenn du nichts versäumst", sagen wir, „kannst ja nebenhergehen." So ist er nebenhergegangen. Nach dem einen Mal hat er sich uns öfters an- geschlossen, immer hat er nur mit mir geredet und die Ploni wie ein armes Waiserl an der Seit schleichen lassen; erst hat's mir völlig leid getan, dann aber Hab' ich mir gedacht, geschieht ihr recht, was muß sie nah' bleiben, paar Schritt hintennach kam' sie gerad' so gut nach Haus.
Dann haben wir uns öfters zu sehen versucht, auf'm Feld, auf der Berghald', wo sich's eben hat schicken wollen.
Ich war zur Zeit ein lustiges Dirndl, die Ploni
aber, das war gar ein Unend, so toll und wild. Oft Hab' ich sie auf dem Stelldicheinplatzel schon vor mir mit dem Vincenz zusammen getroffen.
Ei ja. Darüber ist ein halb Jahr vergangen, End' Oktober war's geworden. An einem Tag so schön wie einer sein mag, sind wieder wir alle, der Vincenz, ich und die Ploni, am Waldsaum gesessen.
Ich bin auf einem Baumstrunk gesessen, so sag' ich nach der Seite hin, wo er gesessen ist: „Nun, wenn ich dir ehrbar genug bin und auch sonst nit z'wider, so könntest doch einmal mit deinen Leuten reden, was die dazu meinen. Mein Herz hängt an dir, das weißt d'; nun möcht' ich dich aber auch so sicher, wie ich dir bin."
Da sagt er darauf: „Ich wer' schon reden."
Und die Ploni, die einen Schritt hinter uns, zwischen den beiden Strünken, an einen Baum gelehnt ist, sagt: „Zeit wär's!" In der Meinung, sie will sich meiner annehmen, schau' ich lachend.auf und wend' mich nach ihr, da ist mir aber das Lachen vergangen. Herr, du mein Gott! Was war das für ein Gesicht!
Da ist's mir jäh durch den Kopf geschossen: „Du warst blind, zwischen den zweien ist es nit in der Ordnung!" Wie eine Wilde bin ich aufgefahren: „Ihr habt mich betrogen!"
Darauf ist der Bursch langsam aufgestanden, steht erst mich an, dann die Ploni, nach der hin hat er die Augen so zusammengekniffen, daß er nichts Schönes mehr im Gesicht behalten hat, wendet sich, sagt: „Macht das untereinander ab" — und geht.
Da ist die Ploni an der Stell', wo sie gestanden, wie leblos hingefallen.
Wie die Ploni ist wieder zu sich gekommen, da war ihr erstes Wort: „Kathrin', du muht mir ihn lassen!"
In der Nacht steht die Ploni plötzlich neben meinem Bett, beugt sich über mich herab.
„Kathrin', hörst?"
Ich rück' ungeduldig.
Da neigt sie sich herab bis zu meinem Ohr und sagt leis': „Um aller Heiligen willen, laß mir ihn. Es geht bei mir ins zweite Monat —."
Da ist mir ein kalter Schauer über den Leib gefahren, ich Hab' die Decke über mich gezogen und
bin ein Stück nach der Wand zu gerückt. Sie ist nach ihrem Bett zurückgegangen.
Den nächsten Tag sind wir Schwestern uns ausgewichen, die Ploni hat sich die Augen nicht gegen mich auszuschlagen getraut. Gegen Abend kömmt uns ein Nachbar in die Stube gestolpert, einer von jenen, die gern Neuigkeiten oustragen — „Wißt ihr's schon", sagte der, „der Müller verheirat' nächsten Fasching seinen Vincenz mit der Wirtstochter."
In der Küche aber wär' die Ploni fast so zusammengebrochen wie gestern im Wald, hätt' sie sich nit rasch an dem Küchenschrank gehalten.
In der Kirch', am Sonntag drauf, ist mir dann die Erleuchtung gekommen und heißes Mitleid mit der Ploni. So Hab' ich die Mutter neben mich auf die Ofenbank gezogen und ihr alles gesagt, auch nit verschwiegen, wie ich in der Kirche darüber Hab' denken gelernt.
Die Mutter hat sich anfangs wie närrisch ge- bärd't, je weiter ich aber red', je stiller ist sie geworden, dann hat sie zum Weinen angehoben und ich Hab' müssen die Ploni hereinholen; die hat es der Mutter angemerkt, die weiß, wie es um die Sache steht, aufgeschrien hat sie, daß es einem ins Herz gegriffen hat.
Nacht ist's geworden, wir sind in unserer Stube gelegen, das Licht haben wir brennen lassen, die Ploni hat gefiebert, auch ich bin in großer Angst gelegen, und wir haben nach jedem Laut in der Nacht, nach jedem Geräusch im Haus gehorcht.
Da wird unten die Stubentür aufgerissen, der Vater flucht, die Mutter bittet und weint, dann kommt's die Stiege hinan, der Vater tritt in die Tür, eine blanke Holzaxt in der Rechten, paar Stufen unter ihm lehnt die Mutter zitternd an der Mauer, die Füß' haben sie nimmer weiter getragen.
„Wo ist das Schandmensch", schreit er und stürzt auf die Ploni zu, die auf einmal so ruhig aufrecht neben ihrem Bett gestanden hat, als ging sie die Sache nichts an. Da schwingt die Axt in der, Luft, ich stürz' dazwischen und der Schlag, der ihr vermeint war, trifft mich.
Nun, ich hab's überlebt. Aber in einem so kleinen Ort, wo eins auf dem andern sitzt, können sol
che Vorgäng' wie in unserem Haus nit verschwis- aen bleiben. Wie die Wirtstochter gehört hat, was sich mit meiner Schwester zugetragen, da ist ihr der Vincenz nimmer zu Gesicht gestanden. Der Pfarrer hat dem alten Müller zugeredet und der hat zwar nit eilig getan, aber wie ich wieder auf den Beinen war, da hat e? gesagt, es wär' alles in Ordnung, wenn nur ich auf die Mitgift verzichten tät', die mir vermeint ist, und sie zu der der Ploni schlagen ließ'. Damit meiner Schwester Kind einen ehrlichen Namen mit auf die Welt bringt, Hab' ich es so geschehen lassen und seither war ich nimmer die Haberlechner-Kathi, sondern die fromme Kathrin'.
Ich Hab' rechtschaffen meinen Teil getragen. Auf meiner Mitgift hat kein Segen geruht, die auf der Mühl' haben nicht gut zusammen gewirtschaftet. Aber ich Hab' auch ohne Mitgift einen braven Mann bekommen und recht liebe Kinder haben wir gehabt, die haben wir erst eins um das andere verloren, dann ist mein Lorenz gestorben; Testament hat er keins hinterlassen, wer hätt's auch gedacht, daß eines nötig wär'? Da sind die Gerichtsleute gekommen, haben gesagt, ein Weib erbt nicht nach dem Manne> die Perwandten haben mich aus.der Hütte getrieben und seitdem sitz' ich da heroben im „Armen-Leut'-Haus".
Nun seht, mein Leben war wohl zwei Drittel Kümmernis und Mühsal und es hätt' sich eins wohl darüber mit dem lieben Herrgott zertragen mögen, aber wenn er mich fragen möcht', hier heroben auf der Höh' vorm „Armen-Leut'-Haus", ob ich lieber nit hätt' erleben mögen, was ich erlebt Hab', ich möcht' ihm sagen: „O, lieber Herrgott, mir ist's ja recht, was ich erlebt Hab'!"
„Und wenn wir eben mit diesem Leben ganz und gar fertig wären, fromme Kathrin'?", fragte ich- „I nun", sagte sie und sah mir ernst ins Gesicht, „es könnt' ja wohl sein, der liebe Gott wird besser wissen, was uns taugt."
„Wenn der nun selbst nicht wär'?"
„Ei geht", sie sah lächelnd auf, „wie Ihr nur reden mögt! Er würd' nicht sein, — ist ja doch die Welt! Und mag ihn einer auch nit glauben, er kann wohl sich selbst, aber nit ihm zuwider leben."