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7.^»i 1946
nalsozialismus in der ganzen Welt begangen hat, sind wir für eine Umkehrung des Sprichworts, wonach man seither die Kleinen gehängt hat, die Großen aber laufen ließ. Wir glauben es Göring, Kaltenbrunner, Ribbsntrop, Röfenberg, Streicher und Genossen nicht, wenn sie in Nürnberg aus- sagen, daß sie von den Zuständen in den Konzentrationslagern nichts gewußt hätten. Wir glauben das aber dem kleinen Mann, dem Bürger, dem Arbeiter, auch wenn er Parteigenosse war, denn die Greuel, die dort begangen wurden, sind so unvorstellbar, daß nur ein Sadistengehirn sie erdenken und ausführen konnte, und wir nehmen zur Ehre des deutschen Volkes an, daß es allein der Auswurf der Menschheit war, der sich hier austobte, freilich in seiner Blutgier und Grausamkeit bewußt eingesetzt und gelenkt von den nationalsozialistischen Machthabern, wie einst die wilden Tiere in den Arenen des alten Rom, die zum Ergüßen der Cäsaren und ihres Klüngels auf die zum Tods Verurteilten gehetzt wurden.
Wir wollen uns damit nicht insgesamt jeder Verantwortung mit einer billigen Ausrede entziehen. Aber wir konnten gegen den Hitlerterror nichts ausrichten; wir konnten uns nicht selbst befreien: es bedurfte jahrelanger militärischer Anstrengungen der ganzen Welt, um den „Führer" und seine Mitverbrecher schachmatt zu setzen.
Wir wollen uns daher in Zukunft auch nicht mehr vorrechnen, daß von den Kleinen der eine soviel, der andere soviel Schuld an allem habe. Die kommende Spruchkammer mag jeden hören und gerecht beurteilen. Dann aber muß ein Strich unter die Vergangenheit gemacht werden und es darf nur noch e i n en Wertmesser geben, ob nämlich einer für die Zukunft guten Willens ist oder nicht. Und keiner, der es ehrlich meint, soll ausgeschlossen werden von der Mitarbeit in unserer Gemeinschaft des kommenden Friedens.
Lin LInstsIiesukHi
Die „Frankfurter Rundschau" berichtet von einem Staatsbesuch, den der Landesvräsident von Thüringen, Dr. Rudolf Paul, bei der benachbarten groß-hessischen Regierung unter Dr. Geiler gemacht hat, und der die Verbindungen zwischen den beiden Zonen verstärkt habe. Und zwar sollen auch geistige Brücken nicht bloß wirtschaftliche geschlagen werden: Ricarda Huch wird nach Wiesbaden kommen, aber den Vorütz des Kulturbundes in Jena beibehaltsn: das Weimarer Sinfonieorchester unter Abendroth wird in Wiesbaden gastieren, das Darmstädter Theater wird ein Gastspiel in Weimar geben.
Dr. Paul war vor 1633 Vorsitzender der demokratischen Partei in Ost-Thüringen. Er wandte sich schärfsten? gegen die in Westdeutschland umlausenden falschen Gerüchte über die Ostzone, die er als „Goebbelssche Ueberbleibsel" bezeichnet«. Das Kulturleben blühe, alle Theater spielen: die Industrie arbeite zu 62 Prozent: die Landwirtschaft Hab« ln den letzten Monaten 1000 Tonnen Fleisch und 1500 Tonnen Butter nach Berlin und Sachsen geliefert. sowie 73 000 Stück Vieh für die „Neubürger" (so sagt man dort statt „Flüchtlinge") nach Mecklenburg und Brandenburg. Die politische Säuberung sei durchgeführt: 66 Prozent der Beamten waren Mitglied der. NSDAP., keiner von ihnen sei mehr im Amt. der sich nicht habe rehabilitieren können. Das politische Leben werde durch die Schaffung der SED., der er selber beigetreten sei, noch gewinnen. Ein Schwarzer Markt sei so gut wie unbekannt. Die Kirche sei in Lehramt und Seelsorge absolut frei und unkontrolliert: geldliche Zuschüsse vom Staat bekommt sie keine. Die einzige bestehende Jugendorganisation, die „Freie deutsche Jugend", sei keine Staatsjugend, sondern gründe sich auf freiwillige Mitgliedschaft: Politik werde in ihr nicht getrieben. Die Jugend solle erst in unpolitischer Zusammenarbeit heranreifen, um dann „vom Guten das Beste zu wählen".
Oie Leipziger iVless-e
Zu seiner eisten Nachkriegsmesse, die morgen eröffnet wird, erwartet Leipzig mehr als 82 <M'Besucher. 95 Sonderzüge aus der sowjetischen Besatzungszone und zahlreiche Züge aus den anderen deutschen Zonen bringen über sisbzigtausend Einkäufer und Interessenten nach der Messestadt. Aus dem Ausland werben nach den bisherigen Anmeldungen mehr als 2560 Gäste erwartet. 2000 Vertreter der Berliner diplomatischen Missionen und der vier Beiatzungsmächte werden die Musterschau besichtigen. Dazu werden 6000 Aussteller mit ihren Angestellten während der Messetage in Leipzig tätig sein.
Für den zu erwartenden Postverkehr sind fünf Sonderpostämter eingerichtet worden.
Heliaetit und b unk im Veitiöi
8ie „»ivcstta» mit" trotr ist rau Leclausteu Kexen <Iau Hitier-Lurs
Nürnberg. Dr. Hjalmar Schacht war in der Weimarer Republik als Reichsbankpräsident ein kleiner Diktator, und in Finanz- und Wirt- schastsfragen hatte sein Name auch draußen in der Welt einen guten Klang. Ohne Schachts Zustimmung konnten die deutschen Regierungen vor 1933 in manchen Dingen nicht viel erreichen. Diese einflußreiche Rolle gefiel dem ehrgeizigen Manne sehr, der es lieber mit den reaktionären Kreisen um Hugenberg hielt als m>t den Demokraten und Sozialisten der Weimarer Republik.
Schacht hat ohne Zweifel geglaubt, als Finanzfachmann auch im Dritten Reich die gleiche Rolle spielen zu können, ähnlich wie Hugenberg, Thyssen und andere Großindustrielle Adolf Hitler für ihre Zwecke einspannen wollten. Hitler hat alle diese Kreise getäuscht. Er setzte sich nach 1933 rücksichtslos über sie hinweg. Hugenberg war der Schwächere, und auch Schacht mußte nach Hitlers Pfeife tanzen.
So mag es verständlich erscheinen, daß jetzt Dr, Schacht, der Mann aus dem Gefolge Hu- genbergs, in Nürnberg vor den Richtern des Welttribunals eine Fülle schwerster Anklagen gegen Adolf Hitler schleudert. Sie treffen durchaus das Richtige, können aber deswegen noch lange nicht das Verhalten Schachts rechtfertigen. Schacht bezeichnet sich jetzt als Demokraten und Patrioten: nur haben wir vor 1933 nie etwas von einem demokratischen Geist bei ihm gespürt. Er hat als Nationalist einen konsequenten Kampf gegen den Versailler Vertrag geführt. Aber deswegen ist er nicht in Nürnberg angeklagt (Gericht und Ankläger stellen das im Laufe der Vernehmung Schachts ausdrücklich fest), sondern er ist angeklagt, weil er den Krieg hat vorbereiten und durchführen helfen.
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Schacht wollte als Finanzfachmann auch im Dritten Reich maßgebenden Einfluß gewinnen, weil Hitler, wie er jetzt sagt, auf finanziellem und wirtschaftlichem Gebiet „so gut wie gar keine Kenntnisse" gehabt habe. Seine Erwartungen sind aber enttäuscht worden. Schachts Gemütszustand in Nürnberg hat sich gleich zu Beginn seiner Verteidigung durch den Satz enthüllt: „Hitler hat die Welt, Deutschland und mich belogen und betrogen, er hat alle seine Versprechungen dem deutschen Volk und mir gegenüber nicht gehalten." Die politische Lüge sei mit Hilfe der Goebbelspropaganda zum Prinzip erhoben worden. Schacht charakterisiert Hitler als halbgebildeten, aber sehr belesenen Mann, der oft durch verblüfsende Einfälle manche Schwierigkeiten gelöst habe, er sei ein „Massenpsychologe von geradezu diabolischer Genialität" gewesen.
Schacht, der nicht Mitglied der Partei gewesen ist, will für die Aufrüstung gewesen sein, weil er sie als politisches Mittel für notwendig gehalten habe. Später sei jedoch in der Aufrüstungsfrage Hitlers „böser Wille" von ihm erkannt worden, und er sei deshalb als Reichsbankpräsident zurückgetreten. Für eine vernünftige Aufrüstung will Schacht auch jetzt noch die Verantwortung tragen, weil er in einem abgerüsteten Deutschland eine Friedensgefahr gesehen habe (die alte deutschnationale These). Für Rüstungsausgaben seien ausgegeben worden: 1938 12 Milliarden, 1939 11 Milliarden und 1910 20,5 Milliarden Mark.
Nach den weiteren Darlegungen Schachts hat er oft, z. B. in der Judengesetzgebung, seiner abweichenden Auffassung Ausdruck gegeben. Nach der Fritsch-Krise sei ihm klar geworden, daß Hitler einen gefährlichen Kurs mit dem Ziel eines Krieges steuere, und ihm sei die Ueberzeugung gekommen, daß deshalb Hitler durch einen Staatsstreich oder ein Attentat beseitigt werden müsse.
Auf die Frage des Anklägers, weshalb er nicht seinen Austritt aus dem Reichskabinett erklärt habe, bemerkt Schacht, er habe die Interessen des deutschen Volkes gegen die Parteiinteressen weiter vertreten wollen. Er sei nie mit Hitler oder irgendeinem anderen Mitglied der Regierung befreundet gewesen, und als Hitler nach dem Frankreich-Feldzug auf dem Anhalter Bahnhof in Berlin ostentativ auf ihn zugeschritten sei, ihm die Hände entgegengestreckt und gesagt habe: „Nun Herr Schacht,
was sagen Sie nun'?", habe er ihm nicht etwa gratuliert, sondern blitzschnell die Antwort gegeben: „Gott schütze Sie."
Die starken Nazitöne, die Schacht in gelegentlichen Reden oder Niederschriften angeschlagen hat, begründet der Angeklagte damit, er habe sie anschlagen müssen, um vor Angriffen geschützt zu sein.
1935 hat der Angeklagte Memoranden gegen die fortgesetzten wilden Geldsammlungen der Partei, gegen ihre Kulturpolitik, gegen die unwürdige Behandlung der Juden und gegen die Willkürmethoden der Gestapo verfaßt. Hitler habe diese Memoranden gelesen und ihn zu beruhigen versucht. Später Hat Schacht in einer Rede seinen Befürchtungen noch verschärft Ausdruck gegeben und sie in mehreren hunderttausend Exemplaren über ganz Deutschland verbreiten lassen.
Im Verlauf des Verhörs bezeichnet Schacht Hitler als einen hundertfachen Meineidigen, dem er deshalb auch niemals durch einen Treueid verbunden gewesen sei. Lordrichter Lawrence will wissen, weshalb Schacht nicht zurückgetreten sei. Als Dr. Dix hierauf antwortet, Schacht sei ja zurückgetreten, erwidert Lawrence: „Ich denke, er ist bis 1913 Minister gewesen." Dr. Dix: „Ja, aber ohne Portefeuille." Lawrence: „Ob mit oder ohne Portefeuille, er war Minister,"
Nach Schachts Auffassung war Deutschland wirtschaftlich für die Erringung des Sieges ungenügend ausgerüstet. Er habe versucht, den Krieg abzukürzen und schriftlich seine Ansichten Funk und Ribbsntrop mitgeteilt, doch seien seine Ratschläge in den Wind geschlagen worden.
Schacht wird dann in ein Kreuzverhör genommen, das der amerikanische Anklagevertreter Iack- s o n und der russische Anklagevertreter Oberst Alex- androw führen. Der Angeklagte gerät in Verlegenheit, als Jackson fragt, warum er mit den führenden Nazis, die er für Idioten oder Verbrecher gehalten haben will, zusammengearbeitet und mit ihnen an feierlichen Zeremonien teilgenommen habe. Jackson weist auch auf Briefe Hitlers aus den Jahren 1936 und 1937 hin, in denen dieser Schacht für den Eifer dankt, mit dem er sich für die Ausrüstung des Reiches eingesetzt habe.
Als Schacht im Laufe des Kreuzverhörs Göring als einen Verbrecher bezeichnet und geschildert hatte, wie Göring zu seiner Vermählung angestrichen und mit rot bemalten Lippen erschienen sei, machte ihm Göring e i ne l a n g e N a s e. (!) Jackson weist demgegenüber auf ein Schreiben Schachts an Göring hin, in dem er die Anrede „Lieber Ministerpräsident" gebraucht. Das Komplott vom 20.
Oenag gemeistert nun üie V7eltgesc1tic1ite!
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Juli 1911 will Schacht schon lange vorher gekannt haben.
Der russische Ankläger stellt fest, daß Schacht schon vor der Machtergreifung der Nazipartei sich genähert hatte. Schacht sagt, er habe dres getan, um die führenden Männer kennenzulernen.
Als einziger Zeuge ist noch das si
des Reichsbankdirektoriums
rllhere Mitglied Wilhelm Bocke ge
hört worden. Nach Bockes Aussage ist Schacht 1932 der Auffassung gewesen, man müsse den Nazis eine Chance geben und 1933 habe Schacht eine große Begeisterung gezeigt, doch sei nach Ansicht des Zeugen Schacht, nachdem er die Rüstungsmaschine in Gang gebracht habe, dann ein Werkzeug in der Hand Hitlers geworden.
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Schachts Nachfolger, der ehemalige Wirtschafts, minister und Reichsbankpräsident Walter Funk, der dann gehört wird, schildert seinen Lebenslauf. Nach zehnjähriger Tätigkeit an der „Berliner Bör. senzeitung" ist er 1931 mit Hitler in Berührung gekommen und fühlte sich berufen, innerhalb der Partei seine eigenen wirtschaftlichen Ansichten zur Geltung zu bringen. Autorität von oben nach unten und Verantwortung von unten nach oben seien, so meint Funk, die besten Regierungsgrundsätze und bei seiner ersten Begegnung mit Hitler habe dieser den Grundsatz der Auslese auch anerkannt. Funk beklagt sich darüber, daß Hitler nach seiner Ernennung zum Wirtschaftsminister sich immer mehr von ihm ferngehalten habe. Er habe in der Partei als Außenseiter und Liberalist gegolten, da er für die Privatwirtschaft eingetreten sei. Als das Fiasko seines Lebenswerkes bezeichnet Funk die Tatsache, daß sich Hitler gegen die bürgerliche Welt gewandt habe.
und ^omplixen xum ^ode verurteilt
8üstne kür ciie Verstrecsteu rra ürn Llsüssera
Straßburg. Im Prozeß gegen die Naziverbrecher im Elsaß ist am Freitag das folgende Urteil verkündet worden:
Robert Wagner wird zum Tode und zur Einziehung seines Vermögens verurkeilt.
Die gleiche Strafe wird verhängt über Röhn. Schuppet, Gädicke, Grüner und in Abwesenheit gegen Huber.
Der Angeklagte Lüger wird schuldig erklärt, jedoch nach Ablauf der für die Einlegung der Berufung festgesetzten Frist bis zur Entscheidung des kassationshoses in Kalmar über seinen Fall auf freien Fuß gesetzt.
Damit ist ttach zehntägiger Dauer ein Prozeß zu Ende gegangen, der noch einmal die brutale Willkür des Hitlerschergen Wagner und seiner Komplizen enthüllt hat, deren fortgesetzte Verbrechen gegen Recht und Menschlichkeit nun die unausbleibliche Sühne gefunden haben.
Die Verurteilten haben vom Recht, innerhalb 21 Stunden nach Verkündigung des Spruches ein Gnadengesuch einzureichen, Gebrauch gemacht.
Lik weitere Todesurteile
Hamburg. Jry Prozeß wegen der Verbrechen im Konzentrationslager Neuengamme sind zum Tode durch den Strang verurteilt worden: Der ehemalige Lagerkommandant Max Pauly, der ehemalige Lagerführer Anton Thuman,
der ehemalige Lagerarzt Dr. Bruno Kitt, der Rapportführer Willy Dreimann sowie die früheren Blockführer Heinrich Rüge, Willi Warnecke, Johann Reese, Adolf Speck, Andreas Frems und fer. ner der Sanitäter Wilhelm Bahr und der Standortarzt Dr. Alfred Trzebinski. Der ehemalige Ad- jutant Paul Totznauer ist zu 20 Jahren Gefängnis, der frühere Wachführer Karl Wiedemann zu 15 Jahren und der ehemalige Kommandoführer Wal. ter Kümmel zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Frankfurt a. M. Die Todesurteile gegen 28 Angeklagte im Dachauer Prozeß sind von General Mac Narney bestätigt worden.
Karl Hermann Tränst rum Toste verurteilt
Prag. Der frühere SS.-Polizeichef von Böhmen und Möhren. Karl Hermann Frank, ist vom Volksgerichtshof zum Tode durch Lrhängm verurkeilt worden.
Sein Anwalt hatte das Gericht ersucht, Frank als geistesgestört zu betrachten und ihn in eine An- s stalt zu verbringen, doch Frank selbst hatte dazu erklärt, daß er geistig vollkommen zurechnungsfähig sei. Er hat das Urteil des Gerichtshofes angenommen.
Die geheime Geschichte der sogenannten Großen ist leider meistens ein Gewebe von Niederträchtigkeiten und Schandtaten. 8-um«
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Wer sagt, die Tyrannen hätten das Volk zu Sklaven gemacht, weiß nicht daß es die Sklaven sind, sie Tyrannen machen. Tscütus
Vor einem Jahr habe ich mit 150 000 gefangenen Kameraden in einem rheinischen Laaer durch eine amerikanische Soldatenzeitung erfahren, Deutschland habe bedingungslos kapituliert. Dröhnender Lust voll flogen riesige Forteresses kaum hundert Meter über unsern Köpfen, abends wurde der Himmel blau, rot und grün von freudetrunkenen Lichtsignalen, die dem Sieger Zeichen der Freiheit vom Kriege waren. An den Wachtfeuern knallten Schüsse und Propfen, wilde Songs füllten die Luft mit fremden Tönen. Die Welt war zerborsten in dis, die drinnen saßen, und die, die draußen waren. Für die draußen begann eine bessere Epoche, denen drinnen blieb das Nichts und der rauh gesungene Choral „Nun danket alle Gott." Das Ende hat uns nicht überrascht. Wir haben es herbeigesehnt wie die Schlußpointe eines schlecht gespielten Stückes. Wir Soldaten waren schon längst unserer Ehre beraubt, bevor wir in Gefangenschaft gerieten. Wir hätten Meuterer sein sollen und haben uns entschieden, sinnlose Opfer zu werden. Wir haßten Hitler und seine Generale, die sich das Privatissimum eines Selbstmordes erlaubten, das beispiellose Bubenstück verantwortungsloser Feigheit. Freiwillig trennten wir uns Litzen und Spiegel von den Feldblusen, wir wollten alle „Gemeine" sein, Verlorene in der grauen Masse wsggeworfener und geschändeter Menschlichkeit. So tief staken wir in der leidenschaftslosen Verzweiflung, daß wir das verratene Vaterland vergaßen und uns unnützer vorkamen als der geringste chinesische Kuli. Für unsere Lage hatten -wir nur das eine plumpe, ehrliche Wort: Schwindelk
Als rechtens Besiegte dachten wir an das Brot, das uns mangelte, die Schuhe, die uns fehlten, an Weib und Kind, die vielleicht noch irgendwo leben mochten. Einige erinnerten sich Goethes und Kants und Mozarts, die Hilflosen schöpften Trost aus der Bibel, die das amerikanische Lagsrkommando hun- Hvrteweis verteilte. Dann trugen Kameraden einen
der Unsrigen vorbei. Nummer 380 auf den Friedhof, um den schon Maiblüten rauschten ...
8. Mai 1916. Die Sicherheit meines Gefangenenloses habe ich mit der Unsicherheit eines bürgerlichen Berufes vertauscht. Die Freiheit, die mir der Sieger schenkte, vermehrt meine Kenntnisse, daß Deutschland nicht bloß geschlagen ist, sondern am Boden liegt. Ich habe mit Schrecken bemerkt, daß viele — und gerade solche, die nie Soldat waren — heute in gröbster Verblendung befangen auf den Sieger schimpfen und sich und ihr Vaterland damit rechtfertigen wollen. Sie pochen auf Menschenrechte und vergessen, daß wir kein Recht dazu haben und uns nicht einmal auf einen Waffenstillstandsoertrag stützen können. Sie sehen nur Wirkungen, aber sind blind für die Ursachen des Zerfalls, sie träumen in die Vergangenheit und fürchten sich vor nüchternem Erwachen. Wir haben Behörden und Minister ohne Autorität, Parteiprogramme ohne Menschen, die an sie glauben, eine Demokratie aus Güte der Sieger, Antifaschisten, die mit altrömi- schem Pathos Retter des Vaterlands spielen, eine Menge Biedermänner, die bestraft werden, weil sie nichts getan haben, Gesinnungslumpen, die Karriere machen, Christen, die die Bergpredigt lesen und doch Kapitasisten bleiben, eine Jugend, die mit uralter wilhelminischer Romantik ratlos revolutionär sein will, Sozialisten, die schamrot werden, wenn sie den Namen Karl Marx hören...
Ach, es ist zum Heulen! Wieder verpassen wir die besten Chancen, wieder schicken wir uns an, um mit dem Kritiker Nietzsche zu reden, ein „Täuschevolk" zu werden, wieder lassen wir uns von Emporkömmlingen und Beamten beherrschen, wieder laufen die Reichen frei herum, die dank des Schwarzen Marktes herrlich und in Freuden leben, während der Anstäpdige Hunger leidet, wieder reagieren wir alte Untertanenressentiments ab in der gegenseitiger Beschuldigung und Verleumdung, wieder sind wir auf dem besten Wege, die Verachtung der Sieger zu verdienen, die vielleicht nahe daran waren, unsere Helfer zu werden. O, wer er- trüg der Zeiten Spott und Geißel!"
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Ob es eine militaristische Theologie gibt, kann dahingestellt bleiben, denn es hat immerhin den Anschein, als sei sie in Tübingen im Werden. Wer dies bezweifeln möchte,, der lese den profunden Aussatz von Professor H. T h i e l i ck e „lieber die Wirklichkeit der Dämonen" im ersten Heft der Zeitschrift „Universitas" auf Seite 19 bis 34 nach! Dort findet er zu seinem Leid (oder auch zu seiner Freude?) in neuer Kostümierung alle jene fatalen Brückenköpfe wieder, in die jahrelang das Blut der deutschen Jugend hineingepumpt wurde, weil ja gerade diese Brückenköpfe die „Garanten" des Endsieges waren in den flagranten Rückzügen zwischen Kuban, Krim, und Tripolis ...
Nun aber sind sie verwandelt in den theologischen Gedanken vom Brückenkopf — dos Teufels nämlich im „Medium" unserer Eigenliebe. Und in diesem eleganten und militanten Gedanken vom Brückenkopf „kommt der tiefste Sinn der Hörigkeit" gegenüber der NS.-Sprachregelung der abgelegten OKW.-Berichte zum Ausdruck (oder zum Durchbruch!).
Wie aber stellt sich die Bibel dazu?
Nun, höchst einfach: — sie stellt sich um, denn es „geht rhr um die brutale (!) und höchst physische (!!) Tatsache, daß der Feind ins Land gebrochen ist (und zwar im Schrägdruck!). Ich stehe in der äußersten Bedrohung. Da habe ich nicht zu philosophieren, sondern zuzugreifen. Es ist Notstand, der zum Besinnen (Gott sei Dank, denn Denken ist Luxus) keine Zeit läßt. iAea res seitnr (auf gut Schwäbisch: es geht um die Wurst). Ich komme ja auch nicht auf die Idee, etwa bei einer Bombe, die in meiner Nähe einzuschlagen droht, an ihre Herstellerfirma zu denken oder sie nur unter der Bedingung für wirklich zu halten, daß ich sie bezüglich Gewicht, Sprengwirkung und Fabrikationsart identifiziert hätte."
Bei solch aariger und „höchst physischer Tatsache" bleibt nur die Frage der Taktik gegen diesen bösen Feind offen, der nebenbei auch als „himmlischer Staatsanwalt" auftritt und als solcher die „optimistische Meinung Gottes über seine Knechte anzweifelt". Im übrigen gibt es leider „keinen Augenblick meines Lebens, in dem ich mich in die Etappe (!) zurückziehen könnte, um von hier aus »ins ira ei stnstio das Phänomen des Bösen zu .betrachten'".
Denn in unserer Anfechtbarkeit bieten wir dem Teufel „Angriffspunkts über Angriffspunkte". „Er ist in uns wirksam, wie es etwa ein feindlicher Agent ist (Achtung, 8. Kolonne!), der aus dem Herzen des
Landes heraus durch Funk- und Blinkzeichen dis feindliche Hauptmacht verständigt und auf die schwachen Stellen der Front zulenkt."
Aus all dem folgert nun Professor Thielicke zwingend, daß „wir Menschen die Theologie und damit natürlich auch die Dämonologie nicht so treiben, wie sie die Enget treiben könnten. Unsere Theologie ist immer Theologie der Anfechtung" — hier offenbar wohl der Anfechtung durch militaristische Rückfälle!
So bleibt es denn auch nicht verwunderlich, zwischendurch noch von Sprachrückfällen wie „intentiv- ster (!) und versklavendster (!!) Hörigkeit" zu hören und als Schutz vor der „schlechthinnigen Bedrohung" durch die Dämonen „so etwas wie eine Warnungstafel aufzurichten: Achtung! Hochspannung!"
Fehlt nur noch der ebenso sinnige wie plastische Kommißausdruck „Bataillonsorgel" als Abkürzung für das zusammengefaßte Feuer aller Waffen, in welchem militante Theologie und mystischer Militarismus eine beglückende Mesalliance singegangen haben.
Schließlich aber sind wir glücklich, Herrn Professor Thielicke insoweit beipflichten zu können, als er feststellt: „Hier gibt es keine Schreibtischphilosophie, die jenseits eines persönlichsten (!) Verfallsnseins stände, sondern hier gibt es nur Betroffenheit (und zwar im Schrägdruck). Betroffenheit nämlich vor dem tückischen Treiben böser Sprachdämonen in der neuen „Universitas" dis auf solche Weise wirklich wie im Untertitel des zitierten Aufsatzes zu einem „Ort der Ver- fallenheit" zu werden droht.
Und wir glauben es dem Verfasser gerne, auch wenn und gerade weil wir es nicht verstehen, daß der Teufel es vermag, „auch ungegenständlich (??) zu werden und uns von hinten beim Kragen zu nehmen". Denn man hat uns schließlich nicht 13 Jahre lang umsonst eingetrichtert, daß, wie uns zu guter Letzt im Schrägdruck versichert wird, „letzten Endes das menschliche Leben nur eine Gefolgschaftsfrage ist", was sicher fast jeder Jungscharführer im ersten Semester schon begreifen dürfte! 8t. Ktoivius
„Läckelv au« Trsnkreicli"
Am 12. und 13. Mai wird man in Tübingen und Reutlingen die Revue „Lächeln aus Frankreich" sehen. Die Hauptanziehungskrast der Revue wird die berühmte Chansonette Marie Bizet lein. Das Programm wird weiterhin zeigen Theo Ridelte und seine zehn Solisten, ein Tänzerpaar vom russischen Ballett in Paris und die beiden Mareos im Akrobatentanz, neben vielen lustigen und neuartigen Varietenummern.