EINKEHR

und AD SSCHAU

Das gute Ruhekissen

Wie nun der alte Doktor Dieterici so weit war, daß es langsam ans Sterben ging, da raffte er sich noch einmal auf aus seinem Lehnstuhl und kroch zum Biicherspinde hin. Dort standen dicht und bunt in Reihen die Bücher, die er lieh gehabt hatte, und die Bücher, die er gebraucht hatte für die Täglichkeiten des Lebens. Weiße Bände in Schweinsleder; in Franzbänden die Schriften der Römer; alte mantuanische Schäferspiele, die er einmal gesammelt hatte; der Homer. Dazwischen Wörterbücher, zerlesene Reclamhefte, Bädekers von der Reisezeit. Ein ganzes Leben, wie man es *o leht, heute ro, morgen so, ohne Ordnung.

Der alte Doktor Dieterici sah sich diese Bücher noch einmal an in der Stille und seufzte. Dann rief er seine Wirtschafterin, die Marie, und wie sie gekommen war, nahm er ein Buch aus dem Spind und zeigte es ihr. Es war die Odyssee des griechischen Dichters Homer in einer einfachen Schulausgabe.

Liebe Marie, sagte der alte Doktor Dieterici, fcwenn ich nun in drei Tagen gestorben sein werde, dann müssen Sie mir einen Dienst tun. Sie wer» den mir dieses Buch hier unter den Kopf legen und es mir so mit ins Grab gehen. Ich glaube, daß ich die lange Nacht ruhig durchschlafen werde, wenn ich dieses Buch als Kopfkissen habe. Gehen Sie mir die Hand darauf und vergessen sie es nicht.

Die Wirtschafterin gab ihm die Hand darauf und weinte sehr. Und sagte, so weit sei es noch gar nicht und vom Sterben keine Rede. Der alte Rat Heydebringk, der unten im zweiten Stock, sei noch viel kränker gewesen und habe sich doch auch noch einmal herausgerappelt.

Drei Tage später starb der alte Doktor Dieterici wirklich. Und als er sauber auf sein Lager gebet­tet war, erinnerte sich die Wirtschafterin Marie an ihr Versprechen und ging, das Buch zu holen, ohne das ihr Herr nicht ruhig schlafen könnte. Aber sie vergriff sich tmd nahm nicht die Odyssee, sondern die daneben stehende zweite Auflage von Brauchitschs Ausgabe des Gewerbeunfallversiche- rungsgese^es. Die holte sie hervor und steckte sie ihrem Herrn unter den Kopf als Ruhekissen.

Die Freunde kamen, um von dem Toten Abschied zu nehmen. Da sahen sie, daß sein Kopf auf einem Buche ruhte, und bückten sich, um zu sehen, was das für ein Buch sein möge. Und als sie sahen, daß es die zweite Auflage von Brauchitschs Gewerbe- unfallversicherungsgesets war, da erstaunten sie auf das äußerste und stellten die Wirtschafterin Marie zur Rede wegen dieses Unfugs. Die aber wehrte sich heftig und rief, sie werde an das Buch nicht rühren lassen und niemand dürfte es weg­nehmen; denn ihr Herr habe es so gewollt, um ruhig schlafen zu können. Da wunderten sich die Freunde noch mehr und kamen überein, daß sol­che einsame Jugendgesellen die merkwürdigsten Einfälle und Gedanken haben könnten.

So wurde der alte Doktor Dieterici nicht mit der Odyssee begraben, auf der er ausruhen und von dem ewigen Meeressingen träumen w'ollte, son­dern mit der zweiten Auflage von Brauchitschs Ge- werbeunfallversicherungsgesefc.

Es ist aber anzunehmen, daß er auch so ganz ruhig und ohne irgendwelche Beschwerde seinen guten Schlaf gefunden hat. Viktor Auburtin

Einkehr und Ausschau

Einsam verhalt ich am Pfade.

In mir ist alles so leer.

Nächtens im Weltengestade Klingt es wie Brandung so schwer.

Ewigkeit wächst aus der Fülle.

Kerze, was soll dein Beschwer?

Sichte den Sinn in die Stille!

Und ich erfühle, wie mild Nieder mir gleitet die Hiille,

Daß sich entschleiert das Bild.

Aber in stillem Erfassen,

Unter des Ewigen Hut,

Schau ich die Sterne verblassen,

Schau ich den Himmel in Glut.

Chöre erwachen in Zweigen.

Herze, o trinke vom Strom!

Allmacht liegt hinter dem Schweigen Unter dem göttlichen Dom.

Heinz-Eugen Schramm

Die Postkarte

Schon am Klingeln des Briefträgers und an sei­nem lachenden Gesicht merkte ich, daß es mit ihr eine besondre Bewandtnis haben mußte, nämlich mit der Postkarte, die da in unsere Hände kam. Sie brachte uns Kunde von unserem Jungen, um den wir dreiviertel Jahre lang gebangt hatten, und nun plötjlich wurde das Dunkel licht und die Sonne schien hell, denn da stand,ich bin gesund, und das war vor 20 Tagen erst geschrieben! Ver­sunken waren 270 bange, qualvolle Tage und Nächte und alles Rätselraten darum, hier stand ich lebe, ich hin gesund, was galt da noch alles andre! Und die Brücke konnte auch gleich gebaut werden zum andern Ufer mit 25 Worten, beschrie­ben konnte die Karte gleich wieder auf die Rück­reise zu unserm Jungen gehen und auch ihm von uns die gleiche erfreuliche Botschaft bringen. Mit welcher Freude sie dort empfangen wird, kann ich mir vorstellen. Die ersten Nächte muß sie hei ihm schlafen, wie in der Kinderzeit sein Teddybär, und wenn er auch schon jedes Wort auswendig weiß, immer wieder wird unsere Karte gelesen und sie ist je^t in der Gefangenschaft sein köstlichster Be- si§, die Postkarte mit der ersten Kunde von da­heim. So lost der nun in Gang gebrachte Postver­kehr mit unsern Kriegsgefangenen hüben und drü­ben große Freude und Befreiung von drückender Sorge aus und es sei an dieser Stelle von einer Mutter für alle anderenden Männern hüben und drüben, die zum Gelingen dieses schönen Wer­kes heigetragen haben, herzlicher Dank gesagt.

Anna Baudermann

Pflicht, du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich insgeheim ihm entgegenwirken, welches ist der dei­ner würdige Ursprung und wo findet man die Wur­zel deiner edlen Abkunft? Fs ist nichts anderes als die Persönlichkeit, die der Sinnenwelt und doch zugleich der intelligiblen Welt angehört.

Immanuel Kant

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Die Achalm bei Reutlingen

Wo auf trufc'gem Bergesrücken Einst der Achalm Veste stand,

Dehnt sich vor des Wanderers Blicken Weit das schöne Schwabenland.

Auf dem Turm die Wetterfahne Dreht sich willig nach dem Wind, Durch der Bäume wild Geranke Wehn die Lüfte weich und lind.

Wo einst Huf und Waffen klirrten Unter starker Rittershand,

Ruht heut stiller Bergesfriede Um den weiten Felsenrand.

An dem Abhang reift die Rebe,

In der Sommersonne Brand Weisen baumbekränzte Wege Zu dem schönsten Berg im Land.

Herden weiden auf den Matten In de* Schäfers treuer Wacht, Reutlingen im Bergesschatten Breitet sich in stolzer Pracht.

Zeugt mit seinen festen Türmen Von vergangener großer Zeit Und von heißem Kampf und Stürmen Um der Städte Herrlichkeit.

Julius Roller

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Die Geschichte von dem Manne

Die Geschichte von dem Manne, der sich im alten Jahre schwor, niemals wieder einen Tropfen über den Durst hinaus zu trinken, und der am ersten Morgen des neuen Jahres mit einem elenden Ka^en- jammer erwacht und nach kalten Kompressen und gaurem Hering schreit, kennen wir wohl alle.

Deutschland ähnelt heute verzweifelt dieser Ge­stalt, nur mit dem Unterschiede, daß der Rausch jenes Mannes seine eigene Angelegenheit ist, wäh­rend der Rausch eines Volkes der ganzen Welt zum Unheil gereichen kann. Deutschland ist zwei­mal in einem halben Jahrhundert einem solchen nationalistischen Rausche verfallen: 1914 und 1933, und es ist zweimal mit einem elenden Katjen- jammer aufgewacht: 1918 und 1945.

1918 hatte es nichts gelernt. Je weiter die Zeit fortschritt, um so leichter vergaß es die Lehre, die der erste Weltkrieg ihm erteilt hatte. Die Frage ist, wie es sich dieses Mal, nach einem unvergleich­baren Zusammenbruch, verhalten wird ...

Mag sein, daß man sich heute zuschwört, nie mehr dürfe es so kommen wie schon zweimal vor­her. Mag sein, daß man den besten Willen dazu hat. Aber kann man sich eines leichten Lächelns erwehren, wenn man liest, in Hamburg geien einige politisch führende Männer um die Genehmigung eingekommen, eine Gesellschaft gründen zu dür­fen, die den schönen Namen tragen soll: ,Vereini­gung derjenigen, die gegen den Krieg sind 4 ? Hat man nicht den Eindruck, dort hätten sich ein paar Oberlehrer zusammengefunden, die, von reiner Ge­sinnung getragen, aber in durchaus idealistischer Selbsttäuschung das gleiche tun wollen, was man schon 1918 mit der Parole ,Nie wieder Krieg 4 tat, die sieh als völlig unzureichend erwies? Genügt es denn wirklich, ein Vereinchen aufzutun, das einen zwar unmißverständlichen, aber sprachlich abscheu­lichen Namen trägt, und dessen Parole auf so gleichgültige, abgestumpfte und schicksalsergebene Gemüter, wie sie die Masse des deutschen Volkes nach allem Vergangenen besitzen muß, keinerlei Eindruck zu machen vermag? Glaubt man wirklich, daß man damit auch nur einen Hund hinterm Ofen hervorlocken könnte, oder ist es nicht viel­mehr so, daß man immer nur die gleichen Men­schen erfaßt und organisiert und bearbeitet, die es selber oftmals viel besser wissen und die aus einem gewissen Pflichtgefühl der guten Sache ge­genüber mitmachen?

Und wird man sich nicht eines Tages sehr wun­dern, wenn die Masse des Volkes aus lauter Lange­weile einem zweiten Hitler Gefolgschaft leistet? Denn was tun heute so viele von denen, die sich in Parteien und Vereinen zusammengefunden haben?

Die Nazis haben zwölf Jahre lang geschimpft. Sie haben auf die Juden geschimpft und auf die Bolschewisten, auf Churchill und Roosevelt, auf die Demokraten und die Kirchen. Und auf die Radfahrer.

Heute schimpfen die andern. Auf die Nazis, das ist ja klar. Aber glaubt man denn wirklich, daß man damit einen Rausch verhüten werde, einen weitaus gefährlicheren, als es der lefcte war?

Ich glaube, wir haben nun einige Monate lang genug geschimpft; je§t sollten wir aufhören und etwas anderes tun; wir wollen es doch nicht den Nazis nachmachen, finde ich, und außerdem finde ich es verdammt billig und ein wenig albern, ganz abgesehen davon, daß man alle jene Gutgläubigen abstößt, die zu einer wirklichen Mitarbeit bereit wären, weil sie ihre Schuld eingesehen haben in­folge einer Erschütterung ohnegleichen, wie sie der Zusammenhruch eines Ideals hei einem anstän­digen Menschen hervorrufen muß.

Es kommt darauf an, sachlich zu sein. Nüch­tern zu sein! Vir sollen uns jefct nicht von un­serm Temperament fortreißen lassen.

Wir müsen nun etwas ganz anderes tun. Wir müssen nachweisen, warum es so gekommen ist und warum es so kommen mußte. Wir müs­sen an vielen kleinen Einzelheiten, z. B. an dem Parteiprogramm der NSDAP., aufzeigen, daß diese Partei von Anfang an die Tendenzen in sich trug, die sich später so verheerend entwickelten. Wir müssen ausführen, warum diese Partei solche Tendenzen hatte und woran es lag, daß man sie unterstützte, und wer sie unterstützte, wer im Hin­tergründe stand.

Eine solche ganz unpathetisch durchgeführte Klärung, die gleichzeitig eine Klärung der histo­rischen und ökonomischen Situation sein wird, kann allein überzeugen, und, ohne Haßgefühle an

schaffen oder zu vermehren, den Menschen ein in­neres Einverständnis abringen, das dauernd sein wird, weil es auf festen Fundamenten ruht.

Gleichzeitig damit muß eine sachliche Aufklä­rungsarbeit jeder Partei über ihre eigenen Ziele vor sich gehen, und ich erkühne mich vorauszusagen, daß jene Partei, auf lange Sicht gesehen, die mei­sten Anhänger finden wird, die über das klarste Programm verfügt, und es ohne Hintergedanken darzulegen weiß. Die Zeit der romantischen Um­wölkungen und Gefühlsduseleien ist vorbei. Es gilt, eine eindeutige Sprache zu reden, und makel­los für seine Ueberzeugung einzustehen. Deutsch­land braucht Männer mit fleckenlosem und aufrich­tigem Charakter. Die ,Kuhhändler 4 unseligen An­gedenkens werden sich überraschend schnell durch­schaut finden.

Alles würde nicht den geringsten Sinn haben, wenn nicht gleichzeitig jeder einzelne von den Männern, die heute das Geschick an führende Stelle gebracht hat. es bitterernst mit der Verwirklichung der großen Gedanken meint, die uns vorschweben müssen, soll es vorwärts gehen, wenn er nicht in seinem eigenen Lehen diese Ideale verwirklicht. Auf die Reden, die gehalten werden, kommt es weiß Gott wenig an; die Nazis haben auch Reden gehalten, reichlich! Nein, an ihren Taten sollt ihr sie erkennen.

Wir wissen und haben es zwölf Jahre lang er­lebt. wie verlockend und gefährlich es ist, eine Machtposition einzunehmen. Der Weg war stets der gleiche; er ist typisch: Zuerst handelt und redet man um der guten Sache willen aus reiner Ueber­zeugung; dann handelt man, ohne auf andere zu hören, weil man von seinem eigenen Wert über­zeugt ist, und redet, weil man sich gerne reden hört; weiterhört man auf jene unausrottbare Gilde von Personen, die, gewandt, aalglatt und devot, einem stets nach dem Munde sprechen, und weil das bequem ist und dem Selbstgefühl schmeichelt, läßt man sich dazu verleiten, sich nur noch mit solchen Menschen zu umgeben und die andern als bös­willig zurückzustoßen; schließlich tut man diesen Leuten den einen und anderen erst kleinen, spä­ter großen unkorrekten und nicht vertretbaren Ge­fallen; und zum Schluß macht man selbst Ge­schäfte, die nicht hasenrein sind, die man sich aber auf Grund der ,eigenen Leistung* zubilligen zu können glaubt.

Man täusche sich nicht, wie schnell die Masse solche Dinge durchschaut: Ein Glas Wein, ein paar Zigaretten, einige Matragen, ein paar neue Anzüge, die man sich selber genehmigt, lassen alle Sympa­thie schw inden, die man zunächst besaß. Man merkt es selber nicht; denn die Schmeichler lassen das alles als Bagatelle erscheinen: Es komme auf diese Kleinigkeiten nicht an, schließlich habe man ein Recht dazu ...

Aber es kommt darauf an! Sehr sogar! Denn: Nicht der Herr Sowieso bringt sich allein in schlechten Ruf, sondern gleichzeitig die Sache, der zu dienen er vorgibt! Und das ist das Verderben! Das Volk wendet sich nicht nur von ihm ab, son­dern von der Sache, und das würde heute heißen von der Demokratie.

Und dann: Die Geschichte von dem Manne...

Wenn ich das alles heute schrieb, dann darum, weil wir an der Jahreswende einmal im Drang der Geschäfte ein paar Stunden Zeit haben, in uns hineinzuschauen und uns selbst zu erkennen. Im­mer wieder: Um der Sache willen!

Unsere Besinnung darf nicht hei Phrasen ste­hen bleiben, nicht dahei. daß wir sagen: Recht muß w r ieder Recht werden! Oder: Die Demokratie! Oder: Ich werde immer an die Arbeiter denken, ich stamme ja selbst aus dem Arbeiterstande! Oder: Der Sozialismus!

Sondern: Unsere Besinnung darf uns in den kommenden Monaten und Jahren nicht eine Mi­nute verlassen. Bei jeder einzelnen, auch noch so geringfügigen Handlung müssen wir uns fragen: Kann ich das vor dem Volke Huch wirklich ver­treten? Dient es dem Volke? Bleibe ich makellos und rein?

Wenn man also diesem Volke ganz eindeutig sagt, was man von der Vergangenheit hält, wenn man ihm sagt, was man für die Zukunft will, und wenn man selber so leht. daß. lebten alle so, diese Zukunft sich verwirklichte, dann, und nur dann wird sie sich auch verwirklichen!

Das allein sei unser Schw ur für das Jahr 1946!

Werner Steinberg

Betrachtungen

des kleinen Hundes Riquet

Von Anatole France

Die Menschen, Tiere und Steine werden immer großer, je mehr man sich ihnen nähert, und sie sind kolossal, wenn sie sich über mir befinden. Ich bleibe hingegen immer gleich groß, wo ich auch sei.

*

Wenn mein Herr mir unter dem Tisch einen Bissen reicht, den er in seinen Mund stecken will, so tut er das, um mich auf die Probe zu stellen und um mich zu strafen, wenn ich der Versuchung unterliege. Denn ich kann nicht glauben, daß er 6ich meintwegen beraubt.

Der Geruch der Hunde ist deliziös.

*

Mein Herr hält mich warm, wenn ich hinter ihm in seinem Lehnstuhl liege. Das kommt daher, weil er ein Gott ist. Vor dem Kamin befinden sich Mar­morfliesen, die ebenfalls warm sind. Die Fliesen sind göttlich.

*

Ich spreche, wenn es mir beliebt. Aus dem Munde des Herrn kommen auch Tone, die einen gewissen Sinn haben. Aber es ist lange nicht so deutlich zu verstehen wie das, was ich durch den Laut meiner Stimme ausdrücke. In meinem Munde hat alles einen Sinn, aus dem Munde des Herrn kommt sehr viel überflüssiges Geräusch. Es ist schwer, aber not­wendig, die Gedanken des Herrn zu erraten.

*

Essen ist gut. Gegessen haben ist besser. Denn der Feind, der auf der Lauer liegt, um einem das Futter zu entreißen, ist schlau und flink.

*

Alles vergeht und hat ein Ende, nur ich bleibe*

*

Ich befinde mich stets im Mittelpunkt, und Men­schen, Tiere und Dinge umgeben mich, wdhlgesinnt oder feindlich.

*

Im Schlaf sieht man Menschen, Hunde, Häuser, Bäume, angenehme und schreckliche Gestalten. Wenn man erwacht, sind diese Gestalten ver­schwunden.

*

Betrachtung: Ich liehe meinen Herrn, denn er ist mächtig und schrecklich.

*

Eine Tat, für die man geprügelt wird, ist eine schlechte Tat. Eine Tat, für die man Liebkosungen oder Futter empfängt, ist eine gute Tat.

*

Wenn die Nacht hereinbricht, streichen böse Mächte um das Haus. Ich belle, damit mein Herr aufmerksam wird und sie verjagt.

*

Gebet: 0 mein Herr, blutiger Gott! Ich bete dich an. Schrecklicher, sei gepriesen! Großmütiger, sei gelobt! Ich krieche zu deinen Füßen, ich lecke deine Hände. Du bist gewaltig und schön, wenn du am besetjten Tische große Massen von Fleisch ver­schlingst. Du hist gewaltig und schön, wenn du ver­möge eines winzigen Hölzchens eine Flamme her­vorspringen läßt und die Nacht in Tag verwandelst. Behalte mich in deinem Hause und laß jeden an­deren Hund daraus verbannt sein. Und dich, An­gelika, Köchin, erhabene, gütige Göttin, dich will ich fürchten und verehren, damit du mir recht viel zu fressen gibst.

*

Ein Hund, der sich der Menschen nicht erbarmt und der die Fetische, die sich in dem Hause seines Herrn befinden, verachtet, führt ein unstetes, elen­des Leben.

*

Eines Tages machte eine undichte Wasserkanne, die durch den Salon kam, das gewachste Parkett naß. Ich denke mir, diese unsaubere Wasserkanne hat eine tüchtige Tracht Prügel bekommen.

*

Die Menschen besifcen die göttliche Macht, alle Türen zu öffnen. Ich kann allein nur eine ganz kleine Zahl öffnen. Die Türen sind große Fetische, die uns Hunden ungern gehorchen.

*

Das Lehen eines Hundes ist voll von Gefahren. Um Unfälle zu vermeiden, muß man stets auf der Hut sein, seihst beim Essen und sogar während des Schlafes.

*

Man weiß nie, ob man es den Menschen recht macht. Man soll sie verehren, ohne zu versuchen, sie verstehen zu wollen. Ihre Weisheit ist geheim­nisvoll.

*

Beschwörung: 0 Furcht, erhabene, mütterliche Furcht, heilige, heilsame Furcht, erfülle mich ganz in dem Augenblick der Gefahr, damit ich vermeide, was mir Schaden bringen kann, auf daß ich mich nicht auf den Feind stürze und meine Unklugheit bereuen muß.

*

Es gibt Wagen, die von Pferden durch die Stra­ßen gezogen werden. Sie sind schrecklich. Es gibt aber auch Wagen, die ganz allein laufen und dabei laut schnaufen. Sie meinen es ebenfalls böse mit uns. Zerlumpte Menschen soll man hassen und sol­che, die Körbe auf dem Kopf tragen und Fässer vor sich herrollen. Ich kann die Kinder nicht lei­den, die unter großem Geschrei auf der Straße Fangen und Verstecken spielen. Die Welt ist voll schädlicher, furchtbarer Dinge.

Gedanken für heute und morgen

Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten. Denn w as der Mensch säet, das wird er erqten. Paulus

Ein großes Prinzip der Duldung ist mir der Ge­danke, daß die Menschen zu dem geboren werden, was sie sind, und nicht fliegen können, wenn ihnen die Natur keine Flügel gegeben hat; und dieses Wird mir immer einleuchtender.

Karoline v. Lengefeld

Mags in der Brust stürmen und wogen, der Atem in der Kehle stocken, der Kopf soll oben bleiben bis in den Tod! Gottfried Keller

Intoleranz gegen andre Menschen ist eine Klippe, an der besonders gern die Menschen von Charak­ter und zartem Gefühl scheitern. Schiller

Der Verstand und die Fähigkeit, ihn zu gebrau­chen, sind zwei verschiedene Gaben. Grillparzaz