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Zernsprecher Nr. S
verant,vorth Lchriftleüung: Friedrich Han» Scheele Druck und Verlag der A Oelschldger'schen Bnckdruckerei.
Nr. 96
Dienstag, den 27. April 1926.
101. Jahrgang
Der deutsch-russische Vertrag.
Der Wortlaut der Vereinbarungen.
TU Brelin, 27. April- Der am Samstag in Berlin Unterzeichnete deutsch-russischen Vertrag hat folgenden
Wortlaitt:
Die deutsche Regierung und die Regierung der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, von dem Wunsche geleitet, alles zu tun. was zur Aufrechterhaltung des allgemeinen Frieden beitragen kann, und in der Ueberzeugung, daß das Interesse des deutschen Volkes und der Völker der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken eine stetige vertrauensvolle Zusammenarbeit erfordert, sind übereingekommen, die zwischen ihnen bestehenden freundschaftlichen Beziehungen durch einen besonderen Vertrag zu bekräftigen, und haben zu diesem Zweck zum Bevollmächtigten ernannt, die deutsche Regierung den Reichsminister des Auswärtigen, Herrn Dr. Gustav Stresemann, die Regierung der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken den außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter der Union der sozialistischen Republiken, Herrn Nikolai Nikoläjewitsch Krestinski, die nach Austausch ihrer, in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten nachstehende Bestimmungen vereinbart haben:
Artikel 1:
Die Grundlage der Beziehungen zwischen DeutschlaW und der Union der sozialistischen Sowjcrepublilcn bleibt der Vertrag von Rapollo. Die deutsche Regierung und die Regierung der der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken bleibt der Vertrag schastlicher Fühlung miteinander bleiben, nm »brr alle ihre beiden Länder gemeinsam berührenden Fragen politischer und wirtschaftlicher Art eine Verständigung hcrbeizuführen.
Artikel 2:
Sollte einer der vertragschließenden Teile trotz friedlichen Verhaltens von einer dritten Macht oder mehreren dritten Mächten angegriffen tverden, so wird der andere vertragschließende Teil während der ganzen Dauer des Konflikts Neutralität beobachten.
Artikel 3:
Sollte aus Anlaß eines Konflikts der in Artikel 2 erwähnten Art oder auch zu einer Zeit, in der sich keiner der vertragschließenden Teile in kriegerischen Verwicklungen befindet, zwischen dritten Mächten eine Koaliton zu dem Zweck geschlossen werden, gegen einen der vertragschließenden Teile einen wirtschaftlichen oder finanziellen Boykott z« verhängen, so wird sich -er andere vertragschließende Teil einer solchen Koalition nicht anschließen.
Artikel 4:
Dieser Vertrag soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen in Berlin auögetauscht werden. Der Vertrag tritt mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft und gilt für die Däne» von fünf Jahren- Die beiden vertragschließenden Teile werden sich rechtzeitig vor Ablauf dieser Frist über die weitere Gestaltung ihrer politischen Beziehungen verständige«.
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet, ausgefertigt in doppelter Urschrift in Berlin am 24. April 1926.
gez. Stresemann. gez. Krestinski.
Dem Vertrag ist der Notenwechsel zwischen Reichsaußenminister Dr. Stresemann und dem russischen Botschafter Krestinski bei- gefiiSl.
Einmütige Annahme des Vertrages im Auswiirligen Ausschuß.
TU Berlin» 27. April. Der Auswärtige Ausschuß des Reichstages beschäftigte sich gestern unter dem Vorsitz des Abgeordneten fiergt (Dntl.) mit dem deutsch-russischen Vertrag, über den Reichsminister des Aeußern, Dr. Stresemann, nach Bekanntgabe des Inhaltes ausführliche Darlegungen machte. Hieran schloß sich eine längere Aussprache, an der sich die Abgeordneten Dr. Breitscheid (Soz.), Graf Reoentlow (Dntl.), Stöcker (Komm.), Losbe (Soz.), Kaas (Z.), Dr. Haas (Dem.), von Freytag Lor- ringhoven (Dntl.), Dr. Bredt (Wirtsch. Verein.) und Dr. Em° minger (Dayr. Volkspartei) beteiligten.
Sämtliche Fraktionen sprachensich übereinstimmend für die Annahme des Vertrages aus.
*
Die Frage, ab der deutsch-russisch« Vertrag im Reichstage zur Annahme vorgelegt wird, wird noch vom Kabinett entschieden werden, da eine rechtliche Verpflichtung hierfür nicht vorliegt. In politischen Kreisen wird es aber als politisch wünschenswert betrachtet, den Vertrag auch von den Parteien tragen zu Kisten. Sollte der Vertrag dem Reichstag vorgelegt werden, so würde die Reichsvegierung auch die Möglichkeit haben, etwa noch austretende Mißverständnisse in der Öffentlichkeit auch des Auslandes durch entsprechende Darlegungen zu beseitigen. Auf diplo- matücker Seit« wird da» Abkommen als berliner Vertrag" be
zeichnet werden, da auch die Ratifikationsurkunden in Berlin aurgetauscht werden. In den der Regierung nahestehenden Kreisen wertet man den Vertrag als die Ungleichung an Rapallo und Locarno. Man unterstreicht, daß eine extensive Auslegung des Vertrages, wie dies in einem kleinen Teil der ausländischen Presse erfolgt ist, ebenso falsch wäre wie die Verschleierung der Bedeutung, die dem Ausbau der deutsch-russischen Beziehungen zukommt. Die Verhandlungen des Auswärtigen Ausschußes ergaben bereits die grundsätzliche Zustimmung der Vertreter sämtlicher Fraktionen.
Die Berliner Presse zum Vertrag.
TU Berlin, 27. April. Der „Tag" schreibt: Vielleicht wirkt der Vertrag als Regulator unserer Außenpolitik, als Gegengift gegen die schleichende Locarno-Krankheit. Dann wird sein Abschluß, aus lange Sicht betrachtet, zweifellos als Attioum zu buchen sein, so sehr er machtpolitisch ans Illusionen ruhen mag. Der „L oka l a n ze i g e r" meint, darin, daß auch in diesem neuen Diplomatenwerk der deutsche Locarnismus zum Ausdruck kommt, liege beschlossen, daß man einem, wenn auch nicht gerade weltbewegenden, so doch ganz nützlichen unb einwandfreien Vertrage wie dem deutsch-russischen geacuüber kühl bis ans Herz hinan bleiben müsse. Die „Tägl. Rundschau" schreibt: Man wird erwarten dürfen, daß der Vertragsabschluß seinen Zweck erfüllt, eine Brücke friedfertiger Entwicklung und gemeinschaftlicher Zusammenarbeit zwischen dem Westen und dem Osten zu sein. Die „Germania" sagt, die Vereinbarungen brauchen das Tageslitt-t nicht zu scheuen, enthalten sie doch nichts, was als ein Verstoß gegen die anderen Mächten gegenüber ei »gegangenen Verpflichtungen ausgefaßt werden könnte. Die „Boss. Ztg." weist darauf hin, daß es sich wirklich nicht um ein Slbkommcn handele, das gegen Geist und Wonlaut des Vertrages von Locarno und des Völterbundspaties verstoße. Im Gegenteil bedeute der Vertrag eine Erweiterung des internationalen Frie- denswcrkes, weil Rußland nicht zum Völkerbund gehöre. Das „Verl. Tageblatt" nennt den Vertrag eine selbstverständliche Ergänzung der Locarnoverträge. Die „D. A. Z." nimmt an, daß durch diesen Vortrag die deursci>e Position in der Welt nicht unwesentlich gestärkt worden ist. Die „Deutsche Zeitung" bedauere, daß der Vertrag nicht einen Bruch mit der Locarno- und Völkerbundspolitik bedeute. Der „Vorwärts" schreibt, die Sozialdemokratie hat den neuen Vertrag gebilligt unter der Voraussetzung, daß der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund erfolgt und der Pakt von Locarno in Kraft tritt. Dann erst wird Las richtige Gleichgewicht der Verträge h:rg:stellt sein und Deutschland wird seine Mission als friedlicher Mittler zwischen Ost uird West erfüllen können. Die „Deutsche Tageszeitung" sieht in dem Vertrag einen Schritt auf dem Wege, die deutsche Handlungöfrciheit wieder hcrznstellen. Die „Kreuzzeitung" weist dac-auf hin, daß der Vertrag in keiner Weise eine neue Lage schaffe oder rechilich und tatsächlich etwas an der Einstellung Deutschlands zu den Locarnomächten ändere. Sie begrüßt ihn aber, weil er das Bestreben zeige, sich weirigstcns nicht von den Westmächtcn als Sturmblock gegen Rußland verwenden zu lasten.
Stellungnahme Lhanrberlaktts.
TU Berlin, 27. April. Auf einem Festesten der Vereinigten englisch-französischen Verbände nahm Chambettain, wie die Mor- genbläiter aus London melden, am Montag im Beisein des französischen Botschafters Gelegenheit zu Ausführungen Wer den deutsch-russischen Vertrag. Er betonte zunächst allgemein die Notwendigkeit englisch-französischer Zusammenarbeit und erklärte dann : „Gerade jetzt sind wir alle etwas verstört und besorgt durch die diplomatischen Verhandlungen, die in anderen Teilen Europas vor sich gehen. Es ist kein Zweifel, daß neue Verträge unsere Wachsamkeit verlangen. Die Welt ist so eng geworden, daß wir gar nicht mehr sagen können, was hier oder dort geschieht, geht uns nichts an. Wir würden aber einen groszen Fehler begehen, wenn wir diese Verhandlungen mit Eifersucht oder Argwohn betrachteten. Für die britische Regierung kann ich nur sagen, während wir aus dem tiefen Gefühl der gemeinsamen englisch- französischen Erinnerungen unsere Freundschaft Hochhalten, sind wir nicht eifersüchtig gegenüber den Bestrebungen anderer Staaten, ihr« gegenseitigen Beziehungen M verbessern. Wir setzen dabei immer voraus, daß die Verträge, über die verhandelt wird, ihrem Wesen nach eine friedliche und freundschaftliche Regelung dakstellen, die den Frieden zwischen den beteiligten Ländern sichern und daß sie nicht dazu bestimmt sind, ein feindliches Bündnis zum Zwecke des Angriffes gegen ander« Nationen zu bilden. Wir setzen ferner voraus, daß diese neuen Verpflichtungen strikte vereinbar sind mit den Verpflichtungen, die dies« Staaten haben oder, wie ich hoffe, in kurzer Zeit haben werden gegenüber dem Völkerbund und seinen Satzungen. Unter diesen Voraussetzungen Rinnen wir nur mit Vergnügen auf solche Fortschritte in der gegenseitigen Verständigung Nicken und mit der Hoffnung, daß andere Nationen ebenso wie wir, Frankreich und Großbritannien, darnach trachten, alte Freundschaften warm und eng zu hatten und aus der alten Freundschaft di« VerMmwg mit frühe«» Fettchen crufzubauen.
TageS'Spiegel.
Der zwischen Deutschland und Rußland abgeschlossene „Berliner Vertrag" ist heute in seinem Wortlaut veröffentlicht worden.
Im Auswärtigen Ausschuß sprachen sich sämtliche Parteien für die Annahme des Vertrages aus.
Die Rcichsregierung wird sich in den nächsten Tagen darüber
schlüssig werden, ob sie den Berliner Vertrag nicht auch dem Reichstag vorlegeu wird.
Der vorbereitende Ausschuß der Wcltwirtfchastskonsercnz behandelte gestern das Programm seiner Tagung.
Die Schiildenfundicrungskommissio» -es amerikanischen Senats hat gestern nach längerer Beratung die französischen Schul- deuvorschläge abgelchnt-
Der Präsident der Reparafionskommiffion, Barkhon ,ist nach Rom gcrest, um dort einen politischen Vertrag zu halten- Er wird auch Mussolini einen Besuch abstatten.
Wie ans Beirut gemeldet wird, haben die französischen Truppe« nach sechsstündigem schwerem Kampfe Sueida eingenommen.
Seit gestern früh regnet cs ununterbrochen über Frankreich. In der Bretagne wüten heftige Stürme. Mehrere Flüsse sind übe, die Ufer getreten.
Dr. Held
über Außenpolitik u. Reichseinheit.
TU Regensburg, 26. April. Anläßlich der Tagung deS Laudcsausschüsses der Bayerischen Volkspartei sprach Ministerpräsident Dr. Held über die politichcn Tagesfragen. Zur Außenpolitik der letzten eineinhalb Jahre bemerkte er, er könne nicht behaupten, daß nian eine besonders glückliche Hand gehabt hätte. Was wir bisher von Locarno erlebt hätten, sel nur eine Kette von Enttäuschungen und besonders in der Pfalz sei auf einer Reihe von Gebieten die Sache eher schlimmer geworden. Wenn wir geglaubt hätten, vielleicht im Völkerbund das Instrument zu finden, mit dem wir Außenpolitik treiben können, so werde man heute einsehen müssen, daß das ein Trugbild gewesen sei. Deutschland könnte sich außerhalb des Völkerbunds viel stärker geltend machen, als im Völkerbunde. Durch die Art, wie vielfach von politischen Parteien und zum Teil auch von der Reichsregie» rung das Spiel mit dem Völkerbund getrieben worden sei, sei eS beinahe etwas entwürdigendes für Deutschland geworden, in die Völkcrbundskommission hineinzugehen, ohne zu wissen, welche Kompeicnzen sie habe. Aber das sei eine Frage, die er heute nicht zu entscheiden wage. Er würde es für einen Fehler halten, wenn Deutschland nur Westpolitik treiben wolle aus der Stimmung heraus, die uns heute gegenüber der Sowjetrepublik beherrschen müsse. Er glaube, daß das Rußland von heute nicht das Rußland der Zukunft sein werde. Schon heute seien in Rußland nicht mehr die Gesichtspunkte maßgebend, denen di« kommunistischen Anhänger in Deutschland heute noch nachgehen. Zur Innenpolitik betonte der Ministerpräsident, das Rechtsbewußtsein des deutschen Volkes sei heute mindestens stark angegriffen, sonst könnte man das Vorgehen bei der Fürstenabfindung nicht begreifen. Die Reichseinheit wolle auch Bayern unter allen Umständen, aber in dem Sinne brauchten wir kein Einheitsreich, daß für alle Fälle immer nur ein einziger Wille maßgebend sein soll. Es sei ein großer Irrtum gewesen, zu glauben, daß man durch die Verreichlichung eine Klammer für das Reich schaffen könnt«. Diese Klammer könnte zum Sprengpulver werden. Jedenfalls habe sich das Reich durch diese Politik mehr geschadet als genützt. Zum Schluß kam der Ministerpräsident auf die Frage der Staatsvereinfachung in Bayern zu sprechen und appellierte dringend an die bayerische Bevölkerung, in dieser Angelegenheit zur Regierung Vertrauen zu haben. Di« Pflicht fordere gebieterisch, daß dieses Werk in Angriff genommen werde.
Die Reichsregierung gegen Held?
Wie die Voss. Ztg. einer Korrespondenz entnimmt, hat die Regensburger Rede des Bayerischen Ministerpräsidenten Held Gegenstand der Erörterungen im Auswärtigen Ausschuß des Reichsrates gebildet. Wie verlautet, beabsichtigt die ReichS- regierung, sich wegen dieser Rede amtlich mit der Bayerische» StaatSregrerung in Verbindung M ktzen.