Mnstag, den 27. Juni 1939.

?^US 8ladl und Kreis Calw

Schwarzwatt-WaKj Seite 8

Abschiedsabend für General von Leistner

Im festlich geschmückten Saale des Knrhotels Kloster Hirsau veranstaltete das Offizierkorps )es Beurlaubtenstandes des Kreises Calw am letzten Samstag einen Abschiedsabend für seinen in den Ruhestand getretenen ehemaligen Kommandeur, Generalmajor z. V. vonLeist- u e r, der am 1. Juli dieses Jahres in seine Mgere Heimat, nach München, übersiedeln wird. Von nah und fern eilten die Offiziere herbei, um noch ein letztes Mal mit ihrem weidenden Kommandeur in kameradschaftlicher weise zusammen sein und ihm gleichzeitig ihre Verehrung und Wertschätzung bekunden zu wnnen.

Unter den Gästen befanden sich auch viele aktive Offiziere sowie Vertreter von Partei und Staat. Von der Wehrersatz-Jnspektion Stuttgart war Oberst Hartmann erschienen- Rach dem Esten nahm Major d. R. Küchle, Calw, das Wort, um dem scheidenden General nochmals für das Wohlwollen und die Treue seinen Offizieren gegenüber zu danken. DaS Offizierkorps verliere in General v. Leistner einen gerechten und ritterlichen Vorgesetzten und werde ihn auch im fernen München nicht vergessen. Die Rede, in welche die Verehrung und die wärmsten Wünsche für den Lebens­abend des Generals eingeflochten wurden, klang aus in einem begeisterten Hurra auf den Schei­denden.

General v. Leistner dankte sichtlich erfreut und bewegt für die Worte und das Angebinde, das ihn immer an die schöne Zeit in Calw erinnern werde. Er habe seine Tätigkeit als Kommandeur nicht nur als Vorgesetzter, son­dern auch als älterer Kamerad, der mit Rat und Tat seine Offiziere zu betreuen habe, aus­gefaßt. Dies sei ihm oberste Richtschnur ge­wesen. Wenn er auch künftig räumlich getrennt von seinem Offizierkorps sei, immer werde er im Herzen mit ihm verbunden bleiben.

Darauf nahm Landrat Dr. Haegele das Wort, um seinen Dank für das reibungslose Zusammenarbeiten zwischen Wehrbezirkskom­mando und Landratsamt auszusprechen. Daß trotz der Schwierigkeiten des Aufbaus die Zu­sammenarbeit zwischen Wehrmacht und Er- sassuugsbehörden vorbildlich gewesen sei, sei in erster Linie der vornehmen Art des scheidenden Generals zu verdanken- Seine Worte klangen aus in dem Wunsche, der General möge sich n München guter Gesundheit erfreuen und das schöne Calw in bester Erinnerung behalten.

Den musikalischen Teil des Abends bestritt Musikdirektor Frank mit seiner Kapelle, welche die Feier mit schneidigen Militärmär­chen und alten Soldatenliedern würdig um­rahmten.

Weitere Kartoffelkäfer-Funde

Wie uns vom Kartoffelkäfer-Abwehrdienst »ntgeteilt wird, sind weitere Kartoffelkäfer­funde in Bad Lieben zell und Herrett­alb gemacht worden. Es handelt sich um ein männliches und ein weibliches Exemplar. In beiden Fällen dürfte es sich um neu zugeflogene Käfer handeln. Es ist dringend notwendig, daß letzt nicht nur auf den Feldern mit aller Sorg­falt nach dem Schädling gesucht wird, sondern daß auch die Inhaber und Nutzungsberechtigten von Gärten ihrer Suchpflicht genügen- Der Kartoffelkäfer befällt bekanntlich alle Arten von Nachtschattengewächsen.

Tödlicher Unfall bei der Orientierungsfahrt

Bei der Durchfahrt der Teilnehmer an der Südwest Orientierungsfahrt des NSAÄ. in Kapfenhardt ereignete sich am Sonntag gegen Abend ein schwerer Unfall. Auf der Dor-f- straße überschlug sich ein Kraftwagen, sodaß die beiden Insassen herausgeschleudert wurden. Der Lenker des Wagens wurde schwer verletzt und mußte ins Krankenhaus eingeliefert wer­den. Sein Beifahrer, Hr. Möller-Stoll aus Blumenhof bei Donaueschingen, war sofort tot. Der Unfall ereignete sich auf der abschüssigen Dorfstraße, als die Wagen vom Wasserbehälter herabkamen. Das Unglücksfahrzeug befand sich unter den letzten drei Wagen der Durchfahrt.

Feuerwerk in Hirsau

Ein schöner SommeMg lag am Sonntag über Hirsau, das vom Morgengrauen bis zur Dunkelheit das Ziel ungezählter Besucher war- Abends veranstaltete die Kurverwaltung ein Feuerwerk in den Kuranlagen. Raketen stiegen steil in den nächtlichen Himmel, um mit lautem

Knall zu zerstieben. Feuerwerkskörper um Feuerwcrkskörper zischte empor, die schwarzen Silhouetten der Bäume gespenstisch erhellend. Bald schossen Bündel von glitzernden, blinken­den Sternen durch die Nacht, bald prasselte ein feuriger, funkelnder Goldregen vom Himmel nieder. Sprühende Feuerräder in fantastischen Farben wirbelten durch das nächtliche Dunkel, bunte Leuchtkugeln zogen ihre Helle Bahn, leuch­tende Lichtpfeile zerrissen knatternd die Lust. Dann war der See in warmes bengalisches Licht getaucht, dessen rötlicher Schein sich im Wasser wiederspiegelte, bis es klackernd ich Dunkel erlosch. Das Publikum ließ sich vom nächtlichen Spuk bezaubern und dankte mit leb­haftem Beifall. Der schöne Abend klang berch Tanz im Kursaal aus.

Dienstnachrichte«. Der außerplanmäßige Re­gierungsinspektor Fritz Bischofs beim Staats­rentamt Hirsau ist ^um Regierungsinspektor ernannt worden. Bguoberinspektor Rapp heim Bszirksbauamt Casw, Außenstelle Freu- denstadt tritt nach Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand.

Wir brauche« schaffensfähige HSnde

Onerwün8Llitekerui«", äie balä ver8cliwinäen mü88en

Vor dem Kriege herrschte di« liberalistische Wirtschaftsform, die kein« planvoll« Len­kung der Wirtschaft kannte, auch nicht wollte, so daß man mit Recht von einer Wirt­schaftsanarchie sprechen konnte. Nach dem Kriege wuchs dieselbe von Jahr zu Jahr und wurde ein« ständige Erscheinung, der die verantwort­lichen Stellen mit fatalistischem Gleichmut gegen­überstanden. Unter solchen Verhältnissen kann man es verstehen, daß der Frag«, wo ein junger Mensch bleibt, kein« sonderliche Bedeutung beigemessen wurde. Daß viele Jugendliche, jeder Zucht und Pflicht entbunden, dabeiverschütt' gingen, die Kriminalstatistik belasteten, ist selbstverständlich. Andere wieder wurden einer Beschäftigung zuge- sührt, die für sie kein Beruf war.

Im nationalsozialistischen Staat ist der Mensch das wertvollste Gut des Volkes, das geschützt und betreut werden muß. Eineindustrielle Reserve­armee' können wir uns nicht mehr leisten. Wir bedürfen schasfenswilllger und schaf­fenssä hi ger Hände. Wir geben allen Leu­ten den Stolz und das Selbstbewußtsein zurück, indem wir sie wieder freudig Mitwirken lassen im Arbeitsprozeß. Unter solchen Umständen konnten wir nicht mit ansehen, wie körperlich und geistig vollwertige Menschen eine nutzlose und oft noch schädliche Tätigkeit ausübten. Der Staat griff zu undkämmte aus'. U. a. wurden diefeschen Eintänzer' einer zweckmäßigeren Beschäftigung zugeführt. Die gutgenährten und gepflegtenDa­men' aus -er Halbwelt, die bis in den späten Mittag schlafen, werden auch einer nutzbringeii-

deren Tätigkeit empfohlen werden. In einer Zeit, wo betagte Bauersfrauen unter der Arbeit- sammenbrechen, ist kein Raum mehr da für Para­siten.

All di« Schieber, die wilden Makler und Ver­treter, die zweifelhasten Gestalten mit den un­durchsichtigen Gewerben, müssen damit rechnen, daß ihrem Schmarotzerdasein ein Ende gesetzt wird. Es gibt daneben aber auch ,-Seschästigun- gen', di« moralisch einwandfrei, aber nicht mehr zeitgemäß sind. Hausierer mit Stoffen, kitschigen Nippsachen und sonstigen Gegenständen, die man in nächster Nähe in Läden kaufen kann, können ihre Kraft im Wirtschaftsprozcß besser anfetzen. Junge, kräftige Leute, die Zigaretten, Zeitungen, Blumen, Radis usw. ver­kaufen, müßten eine überlebte Erscheinung sein.

Wie gesagt, vor der Machtübernahme mußt« jeder sehen, wi« und wo er unterkam, Volkswirt- schaftliche Erwägungen spielten keine Rolle. Aus­schlaggebend war, daß man Geld nach Hause brachte, um leben zu können. Diese Zeit ist vor­bei. Wir stellen jeden arbeitsfähigen Menschen in Rechnung. Landwirtschaft, Industrie und Handwerk, überhaupt alle Gewerbe- zweiae, brauchen dringend Hände, Da ist es NM eine Frage der Selbstverständlichkeit und Gerech­tigkeit, daß jede menschliche Arbeitskraft da ein­gesetzt wird, wo ihre Tätigkeit eine gebiete- iische Notwendigkeit ist. Und zwar auch dann, wenn einer auf liebgeworden« Gepflogen­heiten oder Bequemlichkeiten verzichten muß!

und Abzeichen und Urkunde erhalten, somit d« reale Forderung des Führers an sich voll­ziehend. Diese Forderung geht natürlich a ll^e an. Es ist natürlich klar, daß man nun nicht alle auf einmal ausbilden und betreuen kann, aber doch ist es heute so weit, daß die SA-- Stürme laufend eine sogenannte SAG. (SA-- Wehrabzeichen-Gemeinfchaft in der Ausbildung stehen haben, in der alle Volksgenossen das Ab­zeichen erwerben können.

Die Ausbildung umfaßt 120 Uutevrichts- Md Trainingsstunden und ist völlig kostenlos. Die Erzieher sind Ausbilder sind aktive TrupH führer der SA. mit der Lehrberechtigung. Zp bezahlen hat der Teilnehmer lediglich das IM Zeichen, die Urkunde und das UebungsbuH M zusammen 2,10 RM., die bei der Anmeldung zu entrichten sind. Gleichzeitig mit der AM ljeferung von 2 vorschriftsmäßigen Lichtbildern. Vorzulegen sind ferner ein politisches Unbe« denklichkeitszeugnis des Hoheitsträaers, eist polizeiliches Leumundszeugnis, das der Bm- germeister ausstellt und der Wehrpaß.

Der Dienst der SAG- ist immer Mittwoch abends von 20 bis 22 Uhr und Sonntags. Dk« Uebungszeiten können den örtlichen Zeiten an­gepaßt werden. Jedoch müssen die 120 Trai­ningsstunden überall erreicht werden, da sonst der Mann als ungenügend ausgebildet, nicht zu den Prüfungen zugelasien werden kann; er hat auszuscheiden, wenn er dreimal hintereinander beim Training fehlt. Das SA.-Wehrabzeichen setzt eine straffe, soldatische Ausbildungszeit voraus.

So eine SAG. ist ein Erlebnis für jede» Teilnehmer. Man frage die Männer, die aus einer SÄG. hervorgegangen sind und inzwi­schen vom Führer das Abzeichen nebst Urkunde erhalten haben. Sie glle sind unbändig Stolz darauf! Da kann es für jeden Nichtinhaber des .-Wehrabzeichens nur eine Entscheidung geben, eine die alle Hemmungen über Bord wirft. Sie kann nur heißen: Jawohl! D a mache ich mit!

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Wetterbericht beS RetchSivetterdtensteS AliSaabeort M»tksc>r<

Boraussichtliche Witterung für Württem­berg, Baden und Hohenzollern bis Dienstag­abend: Wechselnd bewölkt und nur noch ein­zelne leichte z. T. gewittrig« Regenschauer Mäßig warm.

Voraussichtliche Witterung für Württem­berg, Baden und Hohenzollern bis Mittwoch­abend: Zeitweise ausheiternd und weitere Er­wärmung.

Warum SA-Wehrabzeichen?

Von SA.-Sturmhauptführer Psrommer.

Das nationalsozialistische Leistungs- und Führerprinzip bedingt einen dauernden Aus­leseprozeß. Das Gute wird durch das Bessere abgelöst! Dies tritt auH in der Entwicklung des heutigen SA.-Wehrabzeichens in Erschei­nung. 1933 vom Führer gestiftet, war es da­mals noch ein rein für die Sturmabteilungen geschaffenes Sport-Leistungsabzeichen, je nach Dienstgrad in Gyld, Silber oder Bxonze tzxr- liehen. Ab 1937 stand der Erwerb allen wehr­fähigen Deutschen offen, die den Voraussetzun­gen entsprachen. 1939 aber erfolgte die Krö­nung der Grundidee: Die Erhebung zum SA.-

Wehrabzeichen des gesamten großdeutschen, wehrhaften Mannestums. Dazu trat die Schaf­fung der Wehrabzeichenurkunde, eines künst­lerisch ausgeführten Büchleins, das Aufschluß geben soll über die Leistungs- und Charakter- werjx seines Inhabers; auch die alljährlich ab- zuleistenden Wiederholungsübungen werden darfst verrnerkt. " M

Die Tragweite der neuen Fuhreranordnung ist für jeden Deutschen ungemein groß, denn das SA.-Wehrabzeichen allein wird künftig der Ausweis der Wehrfähigkeit, der Wehrwilligkeit und der Wehrfreudigkeit des Mannes im wehr­fähigen Alter, also von 18 bis zu etwa 60 Jah­ren sein. Schon jetzt haben sich Tausende von Volksgenossen von der SA- ausbilden lassen

Reuhengstett, 26 .Juni. Im Kreis der Kin­der und Enkel feierten gestern Färber Heinrich Jourdan und seine Ehefrau das Fest der Gol­denen Hochzeit. Das überaus rüstige Jubel­paar vermag noch täglich auf dem Felde zu arbeiten.

Nagold, 26. Jum. Am Samstag traf U;ner Ami rar ist einer Märke von über M Mann zur Erntehilfe insbesondere zur Hilfeleistung bei der Heueinte ein. Die Soldaten würdest auf den ganzen Bezixk Nagold verteilt. Bei dA Leutenot auf dem Lande wird die Erntehilfe seitens des Militärs dankbar begrüßt.

Altenstcig, 26. Juni. Am Sonntag veranstal­tete die NS.-Kriegsopferversorgung, Kamerad­schaft Altensteig mit Umgebung, eine Ausfahrt

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Eleo konnte vor innerer Erregung kaum «inen Bissen hinunterwürgen. Sie hörte nur die Näder rollen, die sie der grausamen Ent­scheidung näher und näher brachten . . .

Der junge Sekretär des Professors be­diente sie höflich und fragte sie in ausgezeich­netem Französisch, ob sie seine Heimat Deutschland kenne. Sie verneinte. Er erzählte ihr, daß er die rechte Hand des Barons sei, daß seine Stelle seinerzeit in einer franzö­sischen Aerzte-Zeitschrift. die er sich ständig nach Berlin habe kommen lassen, ausgeschrie- ben war. Daß der Baron ihn engagiert habe, weil er den gleichen Namen trage. Der Pro- fessor sei ein alter Junggeselle und habe ihm wiederholt nahegelegt, seine deutsche Staats- bürgerschaft aufzugeben und Franzose zu werden. Aber dazu könne er sich er sagte es mit einem ruhigen, sympathischen Lächeln nicht verstehen. Morgen würden sie wie- der zurück nach Paris fahren, von dort nach Meaux und dann ins Sanatorium.

Sie hörte den angenehmen Tonfall seiner Stimme, aber ihre innere Unruhe machte sie unempfänglich für jede Unterhaltung.

Der Professor, der unablässig mit Jour- dain sprach, wandte sich plötzlich an Mo und sagte:

Meine schöne, junge Reisegefährtin. Von uns allen sprechen Sie am wenigsten. Aber

leider sehe ich, daß Sie auch nichts essen. Wer gesund ist, dessen Zunge wird sich an der Zusammensetzung der Speisen ergötzen. Wißen Sie, wer das vor vielen hundert Jah­ren schon erkannt hat?'

Hippokrates', meinte Elsa, schüchtern und aufs Geratewohl.

Bravo!' rief der Baron laut, und alle lachten so herzlich, daß die Mitreisenden von ihren Tellern aufblickten.Wo haben Sie diese Perle von einer Privatsekretärin ausge. trieben, lieber Jourdain? Meine Gnädigste, kommen Sie in mein Sanatorium. Ich biete Ihnen das Doppelte von dem. was mein Freund Jourdain bezahlt,' scherzte er weiter.

Jourdain bekam einen roten Kopf.

Er goß sich das Glas voll Wein und trank es ärgerlich leer. Aber der Baron beschwich­tigte ihn. Nach dem Kaffee winkte der Rechts­anwalt dem Kellner und zahlte. Dabei holte er seine umfangreiche Brieftasche heraus, entnahm ihr erst ein rotes, Pralles Sasfian- ledertäschchen, das er vor sich hinlegte, und suchte dann in seiner Brieftasche einige Scheine.

Hierauf verabschiedete er sich- Der Profes­sor gab Clöo seine Visitenkarte.Für alle Fälle müssen wir Hippokratiker zusammen- halten.'

Der junge Dr. von Villers stand mit sei­ner schmächtigen Figur etwas linkisch da und verbeugte sich.

Dann verließen Mo und Jourdain den Speisewagen.

Die beiden faßen allein im Abteil erster Klasse. Sie fühlte sich etwas ruhiger, als sie sah, daß Jourdain sich auf den Sitz ihr gegenüber niederließ und eine Zeitung ent­faltete, die ihn verdeckte. Er schien verstimmt.

Dann nahm er das Kursbuch und suchte eilig herum.

Sie blickte durch die Scheiben in die Som­mernacht hinaus, sah in der Dunkelheit die Landschaft undeutlich vorbeisliegen. Der Zug fuhr mit einer Geschwindigkeit von wenigstens neunzig Kilometer. Immer näher raste sie ihrem Schicksal, sie konnte ihre Traurigkeit und Schwäche kaum bemeistern. Der Gedanke an dasNachher' gab ihr Kraft, und sie begann, sich die Freude Pauls auszumalen, wenn sie ihm das Paket mit den Scheinen übergeben würde. Es stand bei ihr fest, ihm zu erzählen, sie hätte in der Lotterie gewonnen. Sie Preßte energisch den kleinen roten Kindermund zusammen.

Plötzlich ließ Jourdain das Kursbuch sin­ken. Auf seinem Gesicht war deutlich ein Ent­schluß zu lesen.Cleo', sagte er,rch möchte nicht mit dem alten Quacksalber von Profes­sor bis Bordeaux fahren. Er wird sich wäh­rend der Fahrt an unsere Fersen hängen und mir die Freude des Zusammenseins mit Ihnen verleiden. Wir unterbrechen die Fahrt in Angoulöme, wo wir in zehn Minuten an­kommen. Wir übernachten dort und fahren morgen weiter nach Biarritz.'

Sie machte keinerlei Einwendung. Herr Jourdain stand auf. zog seinen Ueberrock an. stellte die Koffer zusammen und half ihr voll Aufmerksamkeit in ihren Mantel. In weni­gen Minuten verlangsamte der Zug sein Tempo: jetzt hielt er. Die Schaffner riefen die Namen der Station, zitternd folgte sie dem Anwalt, der ihr die Hand entgegen­streckte, als sie den Fuß auf die Trittbretter des Wagens setzte.

Es war ein kleines, vornehmes Hotel, in dem sie ankamen, um diese Stunde war das Städtchen bereits still.

Jourdain trug sich und Clöo unter irgend­einem Namen als Ehepaar ins Hotelbuch ein und verlangte zwei inemandergehende Schlaf, zimmer. Der Portier, der sofort die vorneh­men, exklusiven Pariser konstatierte, gab beiden die angenehmsten Zimmer des Hotels.

Alles schlief schon, das Restaurant war ge­schlossen. Der Portier bat sie, in den List zu treten, dann fuhren sie hinauf. Irgendwo hielten sie. Der Mann öffnete. Clöo stolperte zuerst hinaus. Die Tritte hallten gedämpft auf dem Teppich des nächtlich stillen Flurs. Dann standen sie vor einer hohen weißen Türe. -

Der Portier schloß auf und fragte, wann die Herrschaften geweckt zu werden wünschen. Mo hörte Jourdain sagen, er wolle nicht geweckt werden.

Nun stand sie mit ihm in seinem Schlaf­zimmer. Galant nahm er ihr das Kösferchen und das Handtäschchen ab und legte beides auf einen Stuhl.

Sie rührte sich nicht.

Machen Sie sich's bequem. Beste', sagte er. Seine Stimme drang zu ihr wie aus weiter Ferne.Sehen Sie sich mal Ihr Zimmer an und sagen Sie, ob Sie etwas be­nötigen?'

Sie öffnete die Tür ins anstoßende Zim­mer und trat ein. Das Licht brannte. Ein herrliches, blütenweißes Bett war aufgedeckt. Eine kleine Tapetentür führte zum Bad. Mo sah alles, ohne sich vom Fleck zu rühren.

Jourdain ging indes nebenan hin und her.

Ich bin gerührt", sagte er vor sich hin,ich bin gerührt". Er war erregter, als er es jemals im Leben gewesen. Sein Blick fiel auf Cleos Hcmdtäschchen. (Fortsetzung folgt)