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Schritte in dieser Richtung werden in der Ausdehnung der Unfallversicherung auf die Arbeiter der Landwirtschaft und des Transportwesens und in der Erweiterung der Sparkassen-Einrichtungen bestehen, wofür die Vorlagen Ihnen zugehen werden. Der Entwurf des Reichshaushaltsetats für das nächste Rechnungsjahr wird Ihnen unverweilt vorgelegt werden. Die Fort­entwicklung der Einrichtungen des Reichs bedingt naturgemäß ein Anwachsen seiner Ausgaben. Sie werden hierin mit Mir eine Mahnung erkennen, neue Einnahmequellen für das Reich zu erschließen. Der Versuch, der Rübenzucker- Steuer im Wege der Reform höhere Reinerträge abzugewinnen, wird für jetzt durch die Notlage der beteiligten Industrie und der in Mitleidenschaft stehenden Landwirtschaft erschwert. Die Herstellung des einheitlichen Zoll- und Handelsgebietes im Reich ist durch Verständigung mit der freien Hanse­stadt Bremen vorbereitet und wird die Bewilligung eines Beitrages hierzu Ihnen zur Beschlußnahme vorgelegt werden. Im Anschluß an den revi­dierten Gesetzentwurf wegen Subventionierung unserer Dampsschiffahrt werden Ihnen Mitteilungen über die unter den Schutz des Reichs gestellten über­seeischen Ansiedelungen und die darüber gepflogenen auswärtigen Verhand­lungen zugehen. Wenn diese Anfänge kolonialer Bestrebungen nicht alle Er­wartungen, die sich daran knüpfen, erfüllen können, so werden sie doch dazu beitragen, durch Entwickelung der Handelsverbindungen und durch Belebung des Unternehmungsgeistes die Ausfuhr unserer Erzeugnisse dergestalt zu fördern, daß unsere Industrie zu lohnender Beschäftigung ihrer Arbeiter be­fähigt bleibt. Im Einverständnis mit der französischen Regierung habe Ich Vertreter der meisten seefahrenden Nationen hierher eingeladen, um über die Mittel zu beraten, durch welche der Handel mit Afrika gefördert und vor Störungendurch internationale Reibungen gesichert werden kann. Die Bereitwillig­keit der beteiligten Regierungen, Meiner Einladung zu entsprechen, ist ein Beweis der freundschaftlichen Gesinnung und des Vertrauens, von welchem alle Staaten des Auslandes dem Deutschen Reiche gegenüber erfüllt sind. Diesem Wohlwollen liegt die Anerkennung der Thatsache zu Grunde, daß die krieger­ischen Erfolge, die Gott uns verliehen hat, uns nicht verleiten, das Glück der Völker auf anderem Wege, als durch Pflege des Friedens und seiner Wohlthaten zu suchen. Ich freue Mich dieser Anerkennung und insbesondere darüber, daß die Freundschaft mit den, durch die Tradition der Väter, durch die Verwandtschaft der regierenden Häuser und durch die Nachbarschaft der Länder Mir besonders nahestehenden Monarchen von Oesterreich und Rußland durch unsere Begegnung in Skierniewice der Art hat besiegelt werden können, daß ich Ihre ungestörte Dauer für lange Zeit gesichert halten darf. Ich danke dem allmächtigen Gott für diese Gewißheit und für die darin beruhende starke Bürgschaft des Friedens.

Die Rede wurde namentlich bei der Stelle über die Kolonialpolitik und über die westafrikaniscke Konferenz, sowie am Schluffe mit dem lebhaftesten Beifall begleitet. Hierauf erklärte der Reichskanzler die Session für eröffnet.

Tages-Neuigkeiten.

Calw, 23. November. Noch ist dieser Baumschänder, welcher die Kugelakazien im Stadtgarten so schwer beschädigt hat, nicht entdeckt, und schon wieder ist von einer ähnlichen Frevelthat auf dem Brühl zu berichten, wo in der Nähe des Seilerhäuschcns 2 junge Linden ganz in ähnlicher Weise mit einem scharfen Werkzeug angehauen sind, wie die Kugelakazien, so daß man fast vermuten könnte, daß eine und dieselbe Hand in beiden Fällen thätig gewesen ist. Der Unterschied ist nur der, daß die Linden am Fuße und von unten heraus. Die Akazien aber von oben herab in der Nähe der Krone angehauen sind. Die Hiebe sind auch an den Linden so kräftig geführt, daß als Thäter ein Erwachsener zu vermuten ist.

Ferner ist als eine schon etwas ältere, aber erst jetzt entdeckte Frevel­that die Beschädigung der Luthereiche, durch 2maliges Ein­fügen in den Fuß des Stammes, zu erwähnen. Diese Verletzung rührt mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Knaben her, der vielleicht eine Taschen- meffersäge hier am Unrechten Platze probieren wollte, und wäre es vielleicht möglich, durch strenge Umfrage in sämtlichen Knabenschulen auf eine Spur zu kommen.

Bei dieser Gelegenheit soll auch die alte, schon so oft wiederholte Mahnung an die Schüler wieder ergehen, den Stadtgarten nicht als Tummel­platz zu Fangspielen u. dergl. zu benützen, bei denen kreuz und quer über Wege und Böschungen gesprungen wird, wobei Beschädigungen nicht aus- bleiben können. Leider sind es gerade solche Schüler, von denen eine bessere Einsicht und bessere Erziehung sollte erwartet werden können, an welche diese Mahnung und Warnung gerichtet werden muß. Der beste Schutzmann gegen allen derartigen Unfug ist immer das Publikikm selbst, von dem jeder Einzelne ein natürliches Interesse an der Erhaltung des mit so großen Opfern her­gestellten Bestandes und also auch das Recht und die Pflicht des Einschreitens hat. Möge es doch dem vereinten Zusammenwirken aller Gutgesinnten ge­lingen , den Frevlern das Handwerk zu legen und im Allgemeinen diejenige Ordnung zu schaffen, ohne die ein derartiges öffentliches Anwesen, wie der StcHjgarten ist, nicht auf die Dauer bestehen kann.

- ^ ** Oberhaugstett. Am letzten Samstag, nachts 12 Uhr, kehrte

ein Fuhrmann von Schönbronn mit seinen Pferden und Wagen von Calw kommend über Neubulach nach ersterem Orte heim. Daß die Pferde vom Wege ablenkten und auf dem Ackerfeld dem sogen. Ziegelbach zu weiter liefen, läßt Niemand über den Zustand des Fuhrmanns im Zweifel. Die Pferde stürzten in ein ca. 10 Fuß tiefes Wasserloch, eins derselben brach den Hals, während das andere in seiner peinlichen Lage verharren mußte bis 6 Uhr morgens, bis endlich Hilfe von Schönbronn kam. Dieses Wafferloch wurde durch starke Wolkenbrüche 'im Jahre 1880 ausgewühlt und befindet sich nahe an der Ziegelbachbrücke. Hoffentlich wird es jetzt aufgefüllt werden. >

* x. Wenn das Weihnachtsfest heraunaht , dann zieht wohl bei manchem Erwachsenen die Erinnerung an die Jugendzeit wieder ein und gewiß alle Eltern und Erzieher suchen dieses schöne Familienfest im Kreise ihrer Kinder und Pflegebefohlenen möglichst freudig zu begehen. Sie sind bemüht den Kleinen ihre allerdings manchmal anspruchsvollen Weihnachts­wünsche zu erfüllen und gewiß recht befriedigt, wenn die Bescheerten glück­strahlend um den Weihnachtsbanm herumstehen. Der Jubel der Kleinen lohnt dann den Eltern ihre vielen Mühen. Schon wochenlang vor dem Feste regen sich alle Hände in der Familie und selbst die Kleinsten möchten durch irgend eine Arbeit den Eltern gegenüber dankbar erscheinen. Die Schaufenster der Geschäfte zeigen sich in einem ganz neuen Gewände und Manchem mag die Wahl bei dem vielen Gebotenen recht schwer fallen. Eine Menge Geld wird nicht selten für Spielereien ausgegeben, die das Auge fesseln, auch eine kurze Zeit lang dem Kinde gefallen, allein ein dauerndes Interesse nicht abzugewinnen vermögen. Was man schenkt und besonders einem Kinde schenkt, soll nicht nur dauernd unterhalten, sondern auch belehrend auf dasselbe einwirken, vor allem aber solide sein. Wir empfehlen nun Jedem, welcher derartiges zu kaufen trachtet, sich zunächst den Katalog der Leipziger Lehrmittel-Anstalt von vr. Oskar Schneider in Leipzig kommen zu lassen und durchzusehen. Wie schon seit Jahren, so auch zum kommenden Weihnachtsfeste bietet derselbe einen Ratgeber zu Einkäufen für Klein und Groß und bei der bekannten Solidität dieser Firma wird selbe gewiß auch diesmal nicht nur ihren alten großen Kundenkreis in jeder Be­ziehung zu befriedigen im Stande sein, sondern wohl auch neue Freunde für sich gewinnen, die bestrebt sind, in Schule und Haus nützliche Spiele, Be­schäftigungen und Lehrmittel einzuführen. Der Weihnachts-Katalog, in prächtiger Ausstattung, wird jedem Interessenten auf gefl. Wunsch ohne alle Kosten zugesandt.

Kgl. Standesamt Calw.

Nom 12. bis 2V. Nov. 1884.

Geborene.

12. Nov. Carl Adolf, S. d. Christian Eduard Ackermann, Zwirnmeisters hi-r.

17. , Anna, T. d. Christian Ehrhardt, Schlossermeisters hier.

Gestorbene.

12. . Albrecht Friedrich Jeppler, lediger Fabrikarbeiter, 76 Jahre alt, von hier.

18. Matthäus Schwitzgäbele, Tuchmacher, 73 Jahre alt, von Schömberg.

18. , Marie Emilie geb. Ott, Ehefrau des Christian Jmanuel Buhl, Missionars,

3b Jahre alt, von Ludwigsburg.

20. » Gotthilf Gcrlach, lediger Gärtner, 24 Jahre alt, von Aidtlingen, O.-A. Böb­lingen.

würdig der glattrasierte, behäbige Rentmeister Stengel neben seiner Tochter Marie, einer zierlich gebauten Brünette mit ernsten Zügen; die Augen erhob sie nie von ihrem in blauen Samt gebundenen Gebetbuchs. Neben ihr kniete Heribert, der Förster, der heute sehr vornehm aussah in seiner grünen, mit goldenen Tressen besetzten Uniform.

Der Gottesdienst fand in der herkömmlichen Weise Statt. Nach dem­selben begab man sich in denletzten Heller", wo die Bauern von den Einöd­höfen sich bei allen Festtagen zusammenzufinden pflegten, um nocheinen mitzunehmen".

Heute waren auch viele Männer aus dem Dorfe, sogar von Marien­wahl und Murrheim da, und die große Wirtsstube war von Tabakswolken umnebelt, wie der Krater eines seierspeienden Berges mit Rauch. Der Wirt, rund wie eine Biertonne, keuchte von einem Tisch zum andern und wußte jedem Gaste irgend einen Scherz zu sagen; denn er kalkulierte, daß das Lachen durstig mache.

Draußen ging eben der Rentmeister mit seiner Tochter in Begleitung Heribert's vorüber, und der Holderjörg, der gleichzeitig aus dem Stalle trat, wo er nach den Rappen gesehen hatte, hörte ihn sagen:

Ja, ja, es ist etwas rasch gegangen und, wie gesagt, ich habe das Mandat angenommen. Das Bezirksamt und alle Beamten und Geistlichen haben mich gedrängt, und ich kann mich dem Wohle des Vaterlandes nicht entziehen."

Er gab sich dabei eine Duldermiene und strich sein rundes Bäuchlein.

Sie waren stehen geblieben und betrachteten das Gefährte vom Holder­hofe, und Heribert erwiderte höflich:

»Ich glaube, daß unser Landstand eine gute Acquisition an Ihnen machen wüde, Herr Rentmeister. Sie sind redegewandt und verklären Ihre

Vorträge zugleich durch einen gewissen Hauch von Poesie, der seine Wirkung auch in der Residenz nicht verleugnen wird."

Der Gefeierte lächelte geschmeichelt, sagte aber sofort mit einem gewissen Nachdruck:

»Ich hoffe ganz besonders auch auf Ihre Unterstützung, Herr Förster. Sie besitzen sowohl unter den Gebildeten, als unter den Bauern schon Ihrer Abstammung wegen einen bedeutenden Einfluß, und ich denke, daß es der gnädige Baron, der bald zurückkehren wird, jedenfalls gut vermerken wird. Es könnte Ihnen nach Umstände den TitelOberförster" eintragen."

Er sah Heribert dabei aufmerksam und wie berechnend an, und auch Mariens dunkle, ausdrucksvolle Augen richteten den Blick auf ihn. Sie schien dabei übrigens nicht an den Landstand zu denken. Heribert war etwas verlegen bei dieser unverblümten Werbung. Er strich mit der Hand über die blaulackierte Seite des Wagensitzes und sagte dann langsam:

Es ist sehr freundlich von Ihnen, mir einen derartigen Einfluß zuzu­trauen, den Sie übrigens nicht überschätzen dürfen. Gerade meine Abstammung brächte mich in dieser Angelegenheit in eine Art von Zwitterstellung. Die Beamten, die meistens aus sogenannten vornehmen Familien stammen, zählen mich nur halb zu ihnen, und das Landvolk dürste ein gewisses Mißtrauen in meine amtliche Stellung setzen. Es wird auch Ihren Versprechungen nicht recht trauen, Herr Rentmeister, und ohne Versprechungen geht nun ein­mal keine Kandidatur an; nach Umständen dürfte ein einflußreicher Gegen­kandidat auftreten, und dann geriete ich vielleicht in eine sehr schiefe Lage. Offen gestanden, bliebe ich am liebsten ganz aus der Affaire, will aber damit nicht sagen, daß ich nicht an geeigneter Stelle nach Veröffentlichung Ihres Programms für dasselbe eintreten würde." (Forts, folgt.