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auf dem Baume, nur von Vorteil sein. Wie wir schon früher bemerkt, und wie man sich in jedem Weinberg und an jedem Markttage überzeugen kann, sind die Trauben in ganz ausgezeichnetem Stande. Keine Traube läßt auch nur eine kranke Beere erkennen. Das Holz ist vorzüglich ausgereift. Der Regen kann bei dem ausgetrockneten Erdreiche für die ausgereiften Trauben nur zuträglich sein.
Fellbach, 3. Oktbr. Ein seltenes Mißgeschick wiederfuhr gestern einem Pferde. Ms nämlich Morgens der Knecht eines hiesigen Bürgers in den Stall kam, vermißte er das Pferd und gewahrte mit Schrecken eine große Oeffnung, die durch den Kellerhals in den Keller führte. Schlimmes ahnend, öffnete man die nach außen führende Kellerthüre, man trat ein, und siehe da, das Pferd stand im Keller. Sofort wurde eine Brücke auf die Staffel gelegt, hurtig eilte das Thier ans Tageslicht und war froh, aus dem dunkeln Kerker, in welchen es so unglücklich geraten war, wieder erlöst zu sein.
Großbottwar, 1. Okt. Bei der gegenwärtig sehr warmen Witterung, wozu noch ein kleiner Regen zu wünschen wäre, stehen unsere Weinberge in prächtiger Gesundheit und Vollkommenheit da, schon das Holz der Stöcke zeigt durch seine braune Färbung die vollständige Reife ihrer Früchte an. Die Weingärtner sind in jeder Art befriedigt und hoffen größtenteils reichlichen Ertrag und ausgezeichneten Stoff. Einzelne Weinbergbesitzer lesen schon in dieser Woche Rißling; der allgemeine Herbst dürfte Ende nächster Woche oder übernächster beginnen.
Schrozberg, 2. Okt. Vor ca. 14 Tagen unternahmen einige hiesige Herren behufs Wahlagitation eine Ausfahrt. Kaum hatten sie den Ort verlassen, da bog das Pferd in einen gewohnten Feldweg rasch ein, wobei das Gefährt umgeworfen wurde. Die Insassen wurden sämtliche mehr und minder verletzt, einer derselben der fürstl. Forstwart Schund, ein langjähriger, pflichtvoller Beamter und beliebter Mann erlitt so schwere Verletzungen, daß er heute denselben erlag. Die weiteren, bei besagtem Unfall Verletzen, befinden sich auf dem Wege der Besserung.
Stetten a. H., 3. Oktober. In den hiesigen Weinbergen sieht es Heuer gut aus; die Berge gaben zwar weniger Wein, aber in den niederen Lagen hat es viel und sehr schöne Trauben, namentlich sind die Clevner und Schwarzrißling, welche hier vorherrschen, prachtvoll, solche hängen wie die Mohren da, wie auch die Trollinger. Daß der Wein ausgezeichnet wird, dafür ist vor einigen Tagen gelesener Portugieser Beweis, welcher 95 Grad wog und von dem Sachverständige wirklich überrascht waren. Die Qualität atbertrifft jedenfalls die 1868er und wird der 1865er nahe kommen. Da der hiesige Ort Station an der Heilbronn-Eppinger Bahn ist, auch die Weingärtner die leeren Fässer gerne auf der Bahn holen, und gefüllt wieder dorthin führen, so dürste den Käufern ein Besuch hier wohl empfohlen werden.
Leith, 3. Okt. Der heute von Island eingetroffene Dampfer Craigforth berichtet: ein heftiger Orkan hat die Insel am 11. Sept. heimgesucht; 19 Schiffe, hauptsächlich norwegische, sind verloren, 32 stark beschädigt, 60 kleine Fischerboote völlig gescheitert. Der Menschenverlust ist groß.
Wien, 4. Oktober. Der berühmte Maler Professor Hans Makart ist gestern abend gestorben. — Mit Makart hat die deutsche Kunst eine ihrer ersten Koryphäen verloren. Er war weitaus der berühmteste Vertreter der koloristischen Richtung der modernen Malerei, genial und bahnbrechend in der Behandlung der Farben, großartig und völlig neu und originell in koloristischen Effekten, während allerdings häufig Idee und Zeichnung in seinen Gemälden viel zu wünschen übrig lassen. Künstler und Mensch waren bei ihm in vollster Harmonie: beide in den Gebilden einer üppigen Phantasie schwelgend, im Raffinement einer hyperluxuriösen farbenprächtigen Umgebung mit
Leben mit ihren Angehörigen und dem geretteten Vieh auf die Grenzdörfer Höhe am diesseitigen Ufer gezogen.
Nachdem dem schwerverwundeten Hanjust die erste Hilfe zu Teil geworden war, hatten die Knechte den toten Selbstmörder nach einer offenen Wagenhalle getragen und mit einem großen Leintuch zugedeckt. Als bald darauf die Flut jählings hereinbrach und Alles mit dem Retten lebender Wesen beschäftigt war, rissen die Waffermafsen die Leiche mit sich fort.
XII
In den späten Nachmittagsstunden bot die ganze Thalebene, so weit man sehen konnte, ein ergreifendes Bild. Da, wo noch gestern das erste saftige Grün aus den Wiesen hervorlangte, wo die Winterfrucht auf dem Felde mit der kaum umgepflügten Ackerscholle abwechselte, wirtliche Pfade das Auge des Wandrers erfreut und seinen Weg erleichtert hatten: da brauste, so weit das Auge reichte, jetzt eine wildbewegte, in metallischemGlanzeschimmernde Flut. An manchen Stellen bezeichnte eine aus der endlosen Wasserfläche ragender Baumwipfel das Gartenland des vertriebenen Tagelöhners. da und dort bekundete ein hervorsehender Schornstein oder ein Giebel die Stätte, wo sein kleines Haus stand, das er mit saurem Schweiß gebaut und als Heimstätte für Kind und Kindeskind betrachtet hatte. Vom Grenzhof blickten nur noch die Dächer der Wirtschaftsgebäude, die alte hohe Linde vor der Thüre und der Giebelaufsatz des einstöckigen Wohnhauses hervor. Der Grenzbauer hatte ihn erst im vorigen Jahre bauen lassen, um, wie die Leute meinten, seine durch einen kühnen Einbruch im vorigen Jahre stark bedroht gewesenen Geldschränke in größere Sicherheit zu bringen.
In glücklicherer Lage als die Gemarkung des Grenzbauern und, mit Ausnahme einer hügelartigen Erhebung, auch die daran grenzende Thalebene, war das jenseitige Stromgelände. Vom einem kleinen, eine halbe Stunde stromaufwärts gelegenen Dörflein an, stieg das Ufer teraffenförmig, um in einer waldbegrenzten Höhe über dem Schifferhäuschen zu gipfeln.
Jetzt in den Stunden der Not, in welchem das entfesselte Element in
fieberhafter Ueberreizung schaffend. Wer so aus dem Vollen schöpft wie Makart, dem ist kein langes Leben beschieden, aber das Sprichwort: vits drovis ars lonxa wird für ihn in einem anderen Sinne gelten: in seinem kurzen Leben hat er Kunstwerke geschaffen, die seinen Namen unsterblich machen. Makarts Auftreten ist ein Markstein in der Geschichte der deutschen Kunst: viel angestaunt, aber auch viel angefeindet von den Anhängern einer strengeren Richtung, welche die Aufgabe des Künstlers mehr in der schönen und richtigen Zeichnung als in der Darstellung einer faszinierenden märchenhaften Farbenwelt erblicken. Wenn aber Makart dann und wann zu den Realisten gezählt wird, so ist das ein großer Irrtum; niemand hat sich von allen Be. dingungen der Realität mehr emanzipiert, und dem „gesunden Menschenverstand" mehr Anlaß zu berechtigter Kritik gegeben. Aber aus all seinen Schöpfungen leuchtet hohe künstlerische Begeisterung, ein fast dämonisch zu nennender Drang, ein vielleicht verkehrtes, aber zum Schaffen zwingendes übermächtiges Schönheitsideal darzustellen, und er wird darum stets zu den ersten Malern aller Zeiten gezählt werden. Von seinen Schöpfungen nennen wir: „die Pest in Florenz", zu der er durch Boccaccio angeregt wurde; „die Julia auf der Bahre" (im Belvedere in Wien), „die Abundantia" (im Besitz des Grafen Palfy), die „Katharina Cornaro" (in der Berliner Galerie), die „Cleopatra" (im Stuttgarter Museum der bildenden Künste), eine „Spazierfahrt auf dem Nil", „der Einzug Karls V. in Antwerpen", „die fünf Sinne", „die Jagd der Diana" und einige neuere Schöpfungen, u. a. die Jahreszeiten, nebst einer Anzahl Porträts. Von seinem Lebensgange erwähnen wir, daß M. am 29. Mai 1840 zu Salzburg geboren ist, und anfangs unterschätzt, längere Zeit brauchte, bis er erkannt wurde. Er studierte unter Piloty, ging aber bald seine eigenen Wege, da ihn die strenge historische Schule kalt ließ. Kaiser Franz Joseph war unter den ersten, welche sein Genie erkannten und würdigten, er ließ ihm ein prachtvolles Atelier erbauen, das Makart nach und nach zu einem feenhaften Raume umschuf. Er war Richard Wagner darin ähnlich, daß ihm die Arbeit nur in luxuriösen , an das Alltägliche nicht erinnernden Räumen von Statten ging. Ein geistreicher Kritiker hat Makart, Wagner und Hamerling als ein Dreigestirn von gleichgearteten Künstlern zusammengestellt. Der Maler, der Musiker und der Dichter haben mit einander das gemein, daß sie die Phantasie in eine sinnenberückende, farbenglühende Welt rücken und dadurch die stärkste, weil unmittelbarste Wirkung auf den Menschen ausüben. Markart starb an einer Gehirnhautsentzündung. (St. Anz.)
Paris, 1. Oktober. Ein schreckliches Familiendrama spielte sich vorgestern Abend in dem Hause Nr. 3 der Nue de Meaux ab. Ein Deutscher, C., kehrte zur Effensstunde heim und fand seinen Schwager, mit dem er aus gespanntem Fuße lebte, in Unterhaltung mit seiner Frau. In heftiger Zornsaufwallung ließ sich C. zu Schmähreden Hinreißen, über welche Frau C. so sehr außer sich geriet, daß sie ein Messer vom Tisch ergriff und dasselbe ihrem Gatten ins Gesicht schleuderte, ihm dadurch eine Wunde an der Nase zufügend. Der Verwundete griff nun gleichfalls nach einem Messer und die über ihre That und das Aussehen und Gebühren des Gatten erschrockene Frau flüchtete durch das Fenster. C. warf seine Waffe von sich und eilte nach dem Fenster um die Unglückliche zurückzuhalten, die sich nur noch an einigen vor demselben angebrachten Waschleinen hielt. Die Waschleinen rissen und beide Ehegatten stürzten aus der Höhe des dritten Stockwerks aus die Straße. Die Frau war augenblicklich tot, der Mann erhielt nur einige Quetschungen. Er hatte sich in der Wohnung, in welche man ihn zurückgebracht, kaum erholt, als sein 20jähriger Sohn aus Wut über den Tod seiner Mutter den Revolver ergriff und einen Schuß auf ihn abgab. C. wurde nicht getroffen, allein so groß war die Raserei des Sohnes, daß ihn die Nachbarn bis zur Ankunft der Polizei mit Stricken fesseln mußten, um ihn an der Ermordung des Vaters zu hindern. Dies schauerliche Drama spielte sich während weniger Minuten ab.
das friedliche Leben der Thalbewohner wie ein Dämon hereingebrochen war: jetzt wurden diese erhöhten Gelände ein Zufluchtsort von vielen Hundert obdachlosen Menschen. Ueber die noch gangbaren Wege und Stege kamen sie im Abendrot scharenweise mit Allem gezogen, was ihr Arm bei der plötzlichen Flucht der zerstörenden Gewalt noch zu entreißen vermocht hatte. Frauen, die ihre Kinder an der Hand führten, trugen wie Lasttiere zusammengeballtes Bettzeug, Kleidungsstücke und Nahrungsmittel auf dem Rücken, andere mit bleichen Wangen und tiefliegenden Augen schleppten sich mit dem kaum geborenen Säugling an der Brust mühsam weiter. Ein Trupp Bursche hatte sich vor einen Müllerwagen gespannt, der mit Spreu bedeckt und notdürftig zum Lager der Kranken hergerichtet war,' ein zweiter größerer Haufe führte das laut brüllende Vieh, ein dritter fuhr Balken, Bretter oder sonstiges Material zum Aufbau von trockenen Lagerstellen und vorläufigen Schutzhütten herbei. Der Anblick der laut jammernden und die Hände ringenden Unglücklichen hätte einen Stein erbarmen können.
Eben hatte sich ein Teil der Obdachlosen ganz nahe an der Landstraße auf einer schnell mit Brettern und Wagendecken bedeckten Erhöhung niedergelaffen, als im Ausgang eines Seitenpfades eine Gestalt sichtbar wurde, deren Erscheinung den Meisten einen leisen Schreckensruf entlockte. Es war der Grenzbauer, der mehr einem unstäten Geist als einem wirklichen Menschen ähnlich sah. Sein graues Haar hing ihm wirr um den Kopf, aus seinem sonst stets geröteten Antlitz war der letzte Blutstropfen gewichen und seine Augen stierten gläsern und teilnahmslos aus den tiefliegenden Höhlen. Als er nach eiligem Lauf dicht neben den Flüchtigen angekommen war, hob er seinen Kopf hoch und blickte nach den immer mehr in der Flut verschwindenden letzten Ueberbleibseln seines stolzen Gehöftes hinüber. Einen Moment ruhte sein starres Auge auf dem Giebelstübchen hinter dem Geäste des Lindenbaumes, dann streckte er flehend beide Hände zum Himmel empor, stieß ein dumpfes Stöhnen aus und brach bewußtlos zusammen.
(Fortsetzung folgt.)