230

sind so stark, daß auf eine befriedigende Lösung nur dann zu hoffen ist, wenn die chinesische Regierung ein Opfer an ihren Hoheitsrechten bringt. Der von dem bisherigen französischen Gesandten abgeschlossene Vertrag mit dem König von An am, der den Franzosen das Schutzrecht über Tonkin unter chinesischer Oberhoheit verbürgt, wird wegen der letzteren Einschränkung von der gegenwärtigen französischen Regierung nicht anerkannt, weil er eben unbequem ist und die Eitelkeit der Krsnäe nstion verletzt. Der fran­zösische Gesandte ist deshalb desavouirt und zurückberufen worden. Es ver­steht sich, daß man nicht diese, sondern formelle Gründe, welche die Fehler­haftigkeit der Abschließung dieses Vertrages behaupten, als Motive zu der Entschließung anführt. Inzwischen haben bereits, wie telegraphisch gemeldet wird, mehrere blutige Zusammenstöße zwischen Franzosen und Anamiten- Chinesen stattgefunden. Die Letzteren haben in einer Stärke von 4000 Mann Homoi angegriffen, sollen jedoch zurückgeschlagen worden sein. Frankreich sieht sich deshalb auch genöthigt, außer den in Cochinchina und Tonkin bereits befindlichen 33 Bataillonen Infanterie und Marinesoldaten, weitere Truppenkontingente mobil zu machen und diese wie einen Theil sei­ner Flotte schleunigst nach dem asiatischen Kriegsschauplätze abzusenden, wenn es nicht Gefahr laufen will, daß seine dortigen Streitkräfte von den im An­marsch befindlichen Truppen China's erdrückt werden. Denn, daß die chine­sische Regierung nicht gewillt ist, den französischen Forderungen zu genügen beweist, daß sie Order gegeben hat, in Tientsin ein größeres Truppen­korps kriegsbereit zu halten, um gegebenen Falls in Tonkin einrücken zu können. Wie schon so oft, befindet sich auch diesmal die französische Regie­rung in einer Selbsttäuschung, wenn sie, wie aus den jüngsten Erklärungen des französischen Marineministers hervorgeht, annimmt, daß die Anwesenheit einer imposanten französischen Streitmacht in Tonkin genügen wird, um je­dem Widerstande von Seiten Chinas zu begegnen!

Stuttgart, II. Mai.

35. Sitzung der Kammer der Abgeordneten. Das Notariatssportelgesetz wurde in der E n d a b sti m m u n g mit 73 gegen 8 Stimmen angenommen. Mit Nein stimmten: Mohl, Frhr. v. Gültlingen, Heß, (seit seiner schweren Erkrankung erstmals wieder erschienen) Frhr. Hans v. Ow, Weber, Schwarz, Ehningervon Tuttlingen, Schmidt. Abwesend: Frhr. v. Varnbüler, Frhr. E. v. O w, Frhr. v. Gemmingen, Der. ».Binder, Bühler, Rath. Stälin, v. Keßler, Wendler. Frhr. W. v. König berichtet über die Leistungen an das deutsche Reich, die mit 7,315,651 -4L pro 1883/84 und 7,616,375 -IL pro 1884 85 in den Etat eingestellt werden. Der letztere Etatssatz war ursprünglich mit 7,728,837 exigirt, ermäßigte sich aber nach dem neuen Reichsetat pro 1884/85 auf die oben angegebene Summe, wieHärle bemerkt, in Folge des Abstrichs des Reichstags. Der Etat des Ertrags der Posten und Telegraphen wird ganz nach den Voranschlägen der Regierung angenommen, (Berichterstatter Zip perlen) wobei eine Erhöhung des Ertrags der Posten gegen das Vorjahr sich ergibt, 1,345,800 und 1,346,200 um 21,800 als in der letzten Etatsperiode, die noch mehr machen würde für die Post allein ohne den Telegraphen. Hierbei kam eine Eingabe von einer Anzahl Landpostboten um Aufbesserung ihrer Gebühren zur Berathung; die Kammer ging aber zur Tagesordnung über, weil diese nur von der Regierung nach genauer Eruirung aller Verhältnisse entschieden werden kann. Nächste Sitzung Mor­gen 9 Uhr.

Tages - Neuigkeiten.

Stuttgart, 17. Mai. Die Samojedengruppe, welche heute Abend 4 Uhr hier im Nill'schen Thiergarten eintrifft, besteht aus der etwa 45jährigen Frau Nieja, deren 6jährigen Sohn Ort je, einem 8- jährigen Knaben Otzke, einem 14jährigen Mädchen Piriptia, einer 30- jährigen Frau Chada und einem gleichalten Manne Iderath. Die Gesellschaft begleitet Herr Terne, welcher seiner Zeit auch die Feuerländer vorführte. Als Nahrung nehmen die Samojeden rohe Fische und rohes Rindfleisch zu sich, geistigen Getränken sind sie sehr zugethan, nicht so dem

Rauchen, bis auf den 8jährigen Knaben, welcher ein starker Raucher ist. Die Frauen tragen ihr Haar in herabhängende Zöpfe geflochten, an welche sie die geschenkten Schmucksachen befestigen. Zum Verkauf bieten sie von ihnen gefertigte Holzmesser und sehr primitiv geschnitzte Rennthiere ü 10 ^ aus. Der deutschen Sprache können sie sich bereits etwas bedienen. Um 7 Uhr werden die Samojeden ihre Hütte aufschlagen und sich häuslich einrichten.

Freuden st adt, 16. Mai. Heute traf, begünstigt vom herrlichsten Frühlingswetter, unser neuernannter Dekan und Bezirksschulinspektor Herr- linger von Nürtingen hier ein. Er wurde auf dem Bahnhof und im Gasthof zur Post von Helfer Kolb, Stadtschultheiß Hartranft, dem Gemeinde­rath, den Kirchenältesten und den Lehrern auf's Freundlichste begrüßt und Abends brachten ihm die letzteren noch ein Ständchen.

Hechingen, 14. Mai. Vor dem Schwurgericht kam letzten Mitt­woch die Anklagesache gegen Heinrich Lutz gen. Wohlgemuth und Friedrich Schlotterer, zwei junge Bursche von Hechingen, welche im Februar d. I. den Milchfuhrmann Hoh. Gaulocher vom Hausener Hof ermordeten, nach­dem sie zuvor mehrere schwere Diebstähle verübt hatten, sowie gegen die Mutter des Lutz, eine ledige Händlerin, wegen Hehlerei zur Verhandlung. Lutz ist am 7. April 1865, Schlotterer am 17. Dez. 1864 geboren. Den beiden geistig nicht unbegabten Burschen fehlte die nöthige Zucht und Für­sorge des Elternhauses, sie waren Schulkameraden und auch nach Verlassen der Schule hielten sie bei allerlei Streichen zusammen. Schlotterer entwarf, als der ältere, die Pläne ihrer gemeinsamen Thaten. Ihre erste That war ein Einbruch bei einem Buchbinder, dem sie seine Ladenkaffe mit 40 ^ nebst einigen kleineren Gegenständen stahlen. Als dies geglückt war, verstiegen sie sich zu Höherem, planten Raubanfälle und stahlen hiezu aus einem Eisen- waarenladen mittelst Einschlagens der Fensterscheiben einen Revolver, während Leute im Laden waren. Auch hiebei kamen sie glücklich davon und nun gingen sie mit Patronen, die sie in Ebingen gekauft hatten, auf Raub aus. Der Revolver wurde probirt und da sich Lutz dabei als der bessere Schütze erwies, so wurde ihm derselbe anvertraut, während Schlotterer mit einem Knüppel arbeiten sollte. Der Anfang sollte mit Gaulocher gemacht werden; die beiden zogen am Abend des 2. Februar aus, Schlotterer spielte unter­wegs noch auf einer gestohlenen Mundharmonika, sie legten sich dann auf dir Lauer an der Lindichstraße. Als das Fuhrwerk herankam, schoß Lutz seinen Revolver sechsmal auf den Knecht ab, wovon 2 Schüsse tödtlich trafen, doch so, daß der Knecht sich noch scheinbar zur Wehre setzen konnte, worauf Lutz davonlief. Schlotterer wollte Lutz noch zur Beraubung zurückholen, dieser aber weigerte sich, und beide gingen heim. Der Fuhrknecht starb 18 Tage nach dieser That unter großen Leiden an den erhaltenen Schußwunden. Am Morgen nach der That gingen beide auf die Wanderschaft, wurden jedoch bei Rottenburg festgenommen. Von den Geschworenen wurden die Ange­klagten schuldig gesprochen. Der Gerichtshof verurtheilte Heinr. Lutz wegen Mords und wegen der beiden Diebstähle zu der für jugendliche Verbrecher höchsten gesetzlich zulässigen Strafe von 15 Jahren Gefängniß, Friedrich Schlotterer wegen Mordes zum Tode und wegen des schweren Diebstahls zu 1>/r Jahren Zuchthaus, sowie Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte aus Lebenszeit, die Händlerin Lutz wegen Hehlerei zu 3 Monaten Gefängniß.

Pfullingen, 15. Mai. Zu dem Volksfeste, welches sich all­jährlich am Pfingstmontag im Pfullinger Thal und auf den benachbarten Anhöhen, auf der Wann und dem Wackerstein, in der an diesem Tage be­leuchteten Nebelhöhle und ihrer Umgebung, endlich auf dem jedem Schwaben durch W. Hauffs Dichtung lieb und werth gewordenen Lichtenstein abspielt, war der Zudrang dieses Jahr so stark als je. Man hätte sich aber auch keinen schöneren Tag zu dem Feste wünschen können, als dieser Pfingstmon­tag war. Da Heuer Ostern, als auch Pfingsten früher war, als in den meisten anderen Jahren, so prangten Feld und Wald noch in der ersten Frühlingsfrische, und da ein ausgiebiges Regenwetter vorangegangen war, so hatte man nichts von dem Staube zu leiden, der sonst von den Hunder­ten von Fuhrwerken aufgewirbelt wird, welche die Festgäste theils an den Fuß der Wann, theils das Echazthal hinauf und herab bringen, und der namentlich den Sängern der allenthalben erschallenden Volksweisen lästig fällt. Man sah aber auch lauter vergnügte Gesichter, und von den schlech­ten Zeiten, über die so viel geklagt wird, war an diesem Tage keine Spur wahrzunehmen.

in Bauerntracht kommen daher, mit langen Doppelbüchsen über der Schulter.

Die Wilderer sind's aus Stegelitz," versetzte er ruhig,sie fangen heute früh an. Sie denken, bei der Hitze wird Niemand von den Forstbe­amten im Walde sein. Der alte Förster hält jetzt sein Mittagsschläfchen. Das wissen sie."

Unheimliches Volk!" murmelte der Eberwirth,man hat nicht gern etwas mit solchem Gesindel zu thun. Lang andauern wird's überdies nicht. Der alte Emmerling soll um seine Pensionirung eingekommen sein. Dann wird der Bredow Förster, der wird ihnen das Handwerk schon legen!"

Er trat in's Haus. Offenbar wollte er nicht mit den beiden Männern Zusammentreffen, die langsam auf das Haus zukamen und sich im Flüster­töne unterhielten, wobei sie einige scheue Blicke zur Rechten und Linken auf die Landstraße warfen.

Sehr empfehlenswert!) sahen sie allerdings nicht aus. Das brannt- weingeröthete von einem mähnenartigen Bart eingefaßte Antlitz des Einen bildete einen auffallenden Kontrast zu dem blassen eingefallenen Gesicht des Andern, in welchem die schwarzen Augen wie Kohlen glühten. Der Aus­druck ihrer Züge ließ auf die verderblichsten Leidenschaften schließen, die in einer menschlichen Seele Raum haben.

Ein heißer Tag heut, Martin,- nicht wahr?" hob der Aeltere an, in­dem er sich auf eine der grün angestrichenen Bänke an dem Hause nieder­ließ und mit scharfem Auge in die gegenüber befindliche Waldlichtung lugte. Seid so gut und bringt uns ein Glas Bier!"

Martin zog das Gesicht in Falten, schritt jedoch, ohne ein Wort zu erwidern, in das Haus, um das Verlangte zu holen.

Hochnäsiges Volk, das hier in der Eberschänke!" murrte der Andere. Hält sich für was Besseres, als unser eins! und man zahlt doch so gut, wie jeder andere Strolch, der hier einkehrt und sein Geld verzehrt und von von dem man doch nur in den seltensten Fällen weiß, woher er kommt und wohin er geht!"

Was willst Du, Veit?" nahm der mit dem struppigem Barte das Wort; die Wilderei ist einmal ein verpöntes Handwerk; weil wir den Wald als unser Eigenthum betrachten und hin und wieder einen Hirsch erlegen, der eigentlich doch Gemeingut Aller ist, verachten sie uns! ... sie haben's freilich nicht nöthig. Sie ziehen einfach dem Reisenden das Fell über die Ohren und schlagen dabei so viel heraus, daß sie das Fellabziehen der Hirsche und Rehe Anderen überlassen und sich das Wildpret bereits zuge­richtet in die Küche liefern lassen können!"

Es ist unrecht von dem alten Eberwirth, gegen seine Gäste grob zu sein!" erwiderte der Hagere.Honnette Leute sind wir trotz Waldhüter und Jäger! . . . bezahlen reell, was wir verzehren und leeren manchen Krug im Eber. Könnte sich bedeutend besser stehen, wenn er mit uns in Geschäftsverbindung träte."

In diesem Augenblick trat Martin wieder aus dem Hause. Er trug zwei gefüllte Biergläser in den Händen und setzte sie vor die Gäste auf den Tisch. Wie auf Kommando faßten die beiden Wilderer die Henkel, setzten die Gläser an die Lippen und leerten sie auf einen Zug.

(Fortsetzung folgt.)