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Staates hervorgebracht hat. Das Tagesgespräch bildet der Zustand der Staatskasse in Theben und die auf l'/e bis 2 Millionen Drachmen sich belaufenden Unterschiede des Rendanten derselben, Velenlsas. Seit 10 Jahren hat dieser biedere Staotskasfier die seiner Fürsorge anvsriraute Kasse der Eparchien Böotiens in großartiger Weise bestohlen, und, was das Schlimmste dabei ist, in 10 Jahren hat niemals eine Oberbehörde trotz vielfacher Denunziationen und ofizieller Anzeigen es für angezeigt gehalten, den Zustand der Kaste zu untersuchen und die Wahrheit oder Falschheit der bezüglichen Anzeigen an das Licht zu bringen. Ganz unglaubliche Sachen hat die bisherige Untersuchung, in Folge deren schon nicht wenige der höchsten Staatsbeamten, gravirend kompromittier, bezw. verhaftet worden sind, zu Tage gefördert: der Kassier bat viele Hunderttausende unterschlagen, hat niemals ordentliche Abschlüsse mit den gesetz- und ordnungsmäßigen Belegen und Duplikaten an den obersten Rechnungshof eingeliefert, hat griechische Stempelmarken für viele Tausende gefälscht, hat seinerzeit türkisches Papiergeld nachgemacht, hat endlich auch griechische falsche Poümarken angesertigt und durch seine Verwandten und Freunde an den Staatskosten einzulösen versucht. Das letzte Verbrechen hat endlich die Aufmerksamkeit der Behörden erregt und die Untersuchung desselben seine Verhaftung und die Aufdeckung der anderen Mistethaten herbeigeführt
Bulgarien
Sofia, 7. Juni. Ein fürstl. UkaS proklamier den Belagerungszustand über Bulgarien. Eine unter Vorsitz des Exarchen gehaltene Konferenz beschloß einstimmig, den Fürsten zu unterstützen. _
> Tages Neuigkeiten.
Calw, 7. Juni. Das Pfingstfest hat den hiesigen Katholiken eine recht angenehme Ueberraschung gebracht: zu ihrem projektirren Kapellenbau erhielten sie durch Verwendung des Stadtpfarrers in Weil der Stadt vom hochwürdigsten Bischöfe in Rottenburg und vom Ludwig-Missions-Verein in München js 2000 „1L; dazu kommen noch 1000 die vor einigen Monaten aus Paderborn zu gleichem Zwecke nach Weil der Stadt übersendet wurden. Auch die Katholiken hiesiger Stadt und Umgegend haben nicht ermangelt, ihre milde Hand nach Kräften zu'öffnen und zur schnelleren Förderung des schwierigen Werkes einen namhaften Beitrag zu leisten. So sind nun im Ganzen mit Gottes Hilfe und gutherziger Leute Gaben nahezu 6000 v/L zusammengebracht, gewiß ein guter, vielversprechender Anfang in diesen wenigen Monaten, seitdem die Ausführung des Projektes energischer in die Hand genommen wurde. Die große Bedeutung der bereits gesammelten Beiträge liegt vor allem darin, daß das mit bangen Befürchtungen begonnene Werk nunmehr in der Hauptsache gesichert ist und sicherlich manche ängstliche Seele, die am Gelingen zweifelte und deßwegen ins Blaue hinein nichts geben wollte, jetzt lieber ihre milde Hand auf- thut und gerne den wenigen und meist armen Katholiken auch ein scherf- lein für ihren Kapellenbau beisteuert. Mö>>e bald der Tag kommen, wo es uns vergönnt sein wird, auch an den Thüren unserer lieben Mitbürger anzuklopfen und an ihren erprobten Opfersinn zu apelluen; unseres freudigsten Dankes und unserer besten Segenswünsche dürfen sie versichert sein. 8t.
— Menagerie Weidauer-Batti. lieber diese hier auf--isem Brühl angekommene Menagerie erhalten wir aus Heidelberg, wo sie zuletzt war, folgenden Bericht: „Bei wiederholtem Besuche der Weidauer-Battl'schen Menagerie hatten wir Gelegenheit, die musterhafte Pflege sämmtlicher Thiere Wahrzunehmen. Zahlreich vertreten sind in erster Linie die Löwen, dann verschiedene Spezies von Panthern und Leoparden, olle wohlgenährt und kräftig gebaut. Die Dressur der Thiere, so wie sie uns der Löwenbändiger, Herr Batti, vorführt, läßt an Gewandtheit und Eleganz nichts zu wünschen übrig Ebenso überraschend sind die Produktionen des zweiten Thierbändigers, des jugendlichen Herrn Harry von der Psordten, mit dem afrikanischen Königslöwen und das Auftreten des Frl. Batti im Centralkäfig, auf deren Gebot sich Bären, Hyänen und Wölfe gehorsam zu ihren Füßen schmiegen und deren Blick wie lähmend auf alle diese Bestien wirkt Jedenfalls verdient diese auf das Reichhaltigste mit prächtigen Thieren versehene Menagerie die volle Aufmerksamkeit des Publikums, insbesondere
aber auch der Herren Lehrer in Stadt und Land, denen hier herrliche Gelegenheit geboten ist, ihren Schülern den aus der Naturgeschichte erlernten Stoff auf praktischem Wege zur Anschauung zu bringen."
— An der K. Universität Tübingen befinden sich im lausenden Sommerhalbjahr 1230 Studirende. worunter 783 Württemberger und 447 Nichtwürttemberger. Die angegebene Frequenz von 1230 Studirenden übertcifft die des verflossenen Wintersemesters 1074 Studirende um 156, die des vorjährigen Sommersemesters (l 223) um 7, und ist überhaupt die höchstebisjetzt erreichteFrequenz derUniversität Tübingen.
— Aus der bayrischen Rheinpfalz, 5. Juni. In Ludwig s h a f e n ist ein Konflikt zwischen dem Stadtrath und der katholischen Geistlichkeitim Anzug oder vielmehr schon eingetreten. Die katholische Geistlichkeit hat es sich vorgenommen, dort Heuer zum ersten Mal die Fronleichnamsprozession durch die Straßen der Stadt zu führen und zwar glaubt sie, dieß, gestützt aus eine veraltete Ministerialentschließung, aus der Bbel'schen Aera (1838) thun zu können, ohne der Genehmigung des Stadtraths zu bedürfen. Der Stadtrath hiegegen behauptet, sie müsse um seine Genehmigung nachsuchen, da das bayr, Vereinsgesetz von 1800 alle öffentlichen Aufzüge von dieser Bedingung abhängig gemacht und die Prozessionen, soweit sie nicht an einem Ort herkömmlich sind, ausdrücklich darin inbegriffen hat Herkömmlich kann aber begreiflicherweise eine Prozession nicht sein, wenn sie zum ersten Mal gehalten wird. Der Stadtrath hat die katholische Geistlichkeit ersucht, für dießmal von ihrem Vorhaben abzustehen und zu warten, bis die Kontroverse von den höheren Instanzen entschieden ist. Obwohl schon wegen möglicher Ruhestörungen die Klugheit geböte, diesem Ersuchen Folge zu leisten, ist kaum anzunehmen, daß die katholische Geistlichkeit es thun wird. Besteht sie auf ihrem Vorhaben, so bildet aller Wahrscheinlichkeit eine strafgerichtliche Verhandlung wegen Zuwiderhandelns gegen das Vereinsgesetz dar Nachspiel.
— Kaiserslautern, 2. Juni. Hier sind Aufrufe vertheilt worden, welche auf den zweiten Pfingstlag zu einer Judenyetze auffordern. Die Exemplare des Pamphlets sind unterzeichnet: „Das JuvenvertilgungS- Komite." Auch in München wurden an verschiedenen Laoenthüren, insbesondere an den Zeitungeexpeduionslokalen, Pamphlets folgenden Inhalts angeheftet: „Aufruf I Nicht wahr, christlicher Bruder, wir zahlen zwar Steuern; aber das Judenthum muß fort. Rache und Tod, das ist unser Entschluß! Tod und Brand. Das Exekutiv-Komile für Juden." Diese Anschläge wurden polizeilich entfernt.
— Berlin, 1. Juni. Der Bote Paul Bretsch, genannt W e r- nicke. erhielt gestern Vormittag von seinem Prinzipal, dem in der Sommerstraße wohnenden Bankier P a d e r st e i n , den Auftrag, 21,000 bei dem Bankierhause S. Bleichröder zu erheben und diese Summe bei der Bank des Berliner Kassenvereins einzuzahlen. Der Bote hat das Geld in 21 Stück Tausend-Markscheinen ausgezahlt erhalten und damit das Weile gesucht. Die bisher staltgehabten Recherchen haben ergeben, daß Wernicke in Gemeinschaft mit dem Handlungslehrling Paul Rüge, der anscheinend sein Komplice ist, gestern Nachmittag bei einem in der Jägerstraße wohnenden Trödler sich Anzüge gekauft und sich unter Zurücklassung ihrer bisherigen Kleidung umgezogen haben. Auf die Ergreifung und die Wiederherbeischaffung der unterschlagenen Summe hat der Geschädigte eine Belohnung von 2000 autzgesetzt.
K. Standesamt Ealw.
Vom 3. bis 9. Juni 1881.
Geborene.
4. Juni. Karl Friedrich Adolph, Sohn des Jakob Friedrich Hohl, Eisenbahnkon-
duklcurs bier.
7. , Emma, Tochter des Friedrich Gnndert, Buchhändlers hier.
9. „ Hermann Friedrich, Sohn des Jakob Euglert, Steinhauerö hier.
Gestorbene.
5. , Wilhelmine Friederike, geb. Janzi, Ehefrau des Jakob Wcinbrenner, Schuh
machers hier, Ü8 Jahre alt.
6. , Christian Johannes, Sohn deö Karl Rühle, Tuchmachers hier, 7 Wochen alt.
8. , Johann Georg Wilhelm Krönlein, gew. Lederhändler von Nördlingen rn
Bayern, 63 Jahre alt.
„Ich wundere mich nicht darüber", meinte die junge Frau. „Der Doctor ist zwar ein Mann der Wissenschaft, aber er macht dem Manne des Geldes, oder eigentlich seiner Frau, die Reverenz. Es sollte mich auch nicht wundern, wenn nun ein Geladener, der zu dem Doctor in Beziehung steht, ein ähnliches Billet folgen ließe. Nimm die Liste Philipp, und streiche die Personen."
Es ergab sich, daß diese beiden Familien die Hälfte der geladenen Gäste ausmachten. Bald kam ein drittes Billet an. Madame X meldete. daß sie einen unerwarteten Besuch erhalten habe.
„Wer bleibt uns noch?" fragte Josephine in großer Heiterkeit.
„Zwei Gäste."
Philipp las auf der Liste: „Fräulein Bartels."
„Eine Klavierspielerin, die wird nicht ausbleiben!" lachte Josephine.
„Fräulein Canzona."
„Eine Sängerin, die ich zur Unterhaltung der Gäste geladen hatte. Lieber Freund, schreibe den beiden Damen ein Absagcbillet und lege einer jeden zwei Louird'or bei — die Gesellschaft wird nicht stattfinden. Wir bleiben allein, speisen zusammen und unterhalten uns, so lange es uns gefällt. Während Du das kleine Geschäft besorgst, mache ich meine Toilette."
Heiter und unbefangen drückte sie einen Kuß auf seinen Mund und verschwand in dem Nebenzimmer.
Philipp besorgte mit beklommener Brust das ihm ausgetragene Geschäft. Jeder Andere würde die Dinge milder beurtheilt haben; er aber, dessen Verdacht einmal erregt war, zerbrach sich den Kopf darüber, ob Josephine nicht Veranlassung zu diesen Briefen gegeben haben könne. „Warum
verheimlicht sie ihre zweite Heirath?" fragte er sich. „Warum will sie immer noch für eine Wittwe gehalten sein?" — Wie schwankend erschienen > ihm die angegebenen Gründe, wenn er seine rasche Verheirathung und alles das bedachte, was sich seit gestern zugetragen hatte Im Stillen segnete er die Hindernisse, die ihn von der Ueberlieferung seines Vermögens abgehalten hatten. Der Besuch des blonden jungen Mannes, den sie verschwieg, gewann eine furchtbare Bedeutung.
Bald erschien Josephine in einer einfachen, geschmackvollen Toilette. Seufzend betrachtete Philipp das reizende Geschöpf, das entweder der reinste Engel oder der boshafteste Dämon sein mußte. Sein Lebensglück hing von der Entscheidung dieser Frage ab, und er beschloß, mit großer Vorsicht die Lösung derselben zu suchen. Ais er sich entfernte, halte Josephine keine Ahnung von seinem Seelenzustande; su erinnerte ihn heiler und unbefangen an den bevorstehenden Abend, und entließ ihn mit einem innigen Kusse. Er hatte nicht den Muth, ein Wort des Mißtrauens zu äußern.
Wäre Philipp eine Viertelstunde später gegangen, so hätte ec einen Fiaker vor Josephine's Wohnung hatten gesehen, aus dem ein stattlicher Mann vielleicht von fünfzig Jahren str?g. Trotzdem er elegante Civilkleider trug, so ließ sich dennoch di- Militairpeison erkennen. Der volle gestutzte Bart über der Oberlippe war braun, das Haupthaar hingegen begann schon zu bleichen. Er sah aufmerksam nach der Hausnummer, dann, als er sie richtig befunden, stieg er die Treppe hinan. An dec Thür las er die Namen : Josephine Lindsor.
„Ich bin am Ziele I" murmelte er lächelnd, „das ist der Name der Engländerin."
(Fortsetzung folgt.)