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dem Reichstage Kenntniß zu geben. Darauf wird der Antrag Schorlemer angenommen.
— Berlin, 26. Mai, Abends. Das Abkommen mit Hamburg wegen des Zollanschlusses wurde heule hier abgeschlossen. Für Hamburg Unterzeichneten die Senatoren Versmann und Oswald, der hanseatische Gesandte Krüger. Hamburg tritt in den Zollverband des Reichs nach einer bestimmten Reihe von Jahren, es behält ein Freigebiet sür den Großhandel und den Weltverkehr, wohin Seeschiffe das Zollgebiet mit Zollflagge passtren zum freien Löschen und Laden. Auch der Verkehr bleibt ohne Zollkontrole. Zur Errichtung von Docks tragen Hamburg und das Reich gemeinsam bei. Für Zollerleichterungen wurden Zusicherungen gegeben, aber nicht in bindender Form. Das Abkommen bedarf der Zustimmung des Senats und der Bürgerschaft von Hamburg, des Bunderraths und Reichstags.
— Aus Posen bringt die Post folgendes Tel.: An 2 Stellen sind in vergangener Nacht geschriebene Plakate folgenden Inhalts angeklebt und von der Polizei sofort entfernt worden: „Tod den Juden. Bis Freitag 27 Mai, Nachts 12 Uhr, findet der Untergang und Tod sämmt- licher Juden statt. Der Anführer A. W." Die Stadt ist in voller Aufregung.
Frankreich.
Wie ein Vater des Vaterlandes istGambetta auf seiner Reise oder vielmehr auf seinem Triumphzug nach Lahors, seiner Vaterstadt, geehrt und gefeiert worden. Die Verwaltung der Orleanr-Eisenbahn ehrte ihn, als wenn er das Vize-Staatsoberhaupt wäre. Sie halte nicht allein ihre höchsten Beamten zu seiner Begrüßung gesandt, sondern ihm auch «inen besondern Zug zur Verfügung gestellt, und damit dem großen Bürger kein Unglück zustoße, den Abgang des gewöhnlichen Ex- prcßzuges um 20 Minuien verzögert, was von den gewöhnlichen Reisenden übel vermerkt wurde. In allen Dörfern wurden die Glocken geläutet! Um 92/4 Uhr lief der Zug unter dem Donner der Kanonen in den Bahnhof von Cahors ein. Ein Gesangverein, der sich auf dem Quai befand, stimmte d i e e i g e n s sür diese Gelegenheit gedichtete Kantate an: ,8slut, Sranc! oito^sn!" Die Feuerwehrmänner und eine Kompagnie Infanterie bildeten Spalier; die ganze Stadt Cahors ist in und um den Eisenbahnhof, und die Hochrufe auf Gambetta ertönen von allen Seiten. Beim Aussteigen empfingen die Behörden der Stadt den großen Bürger und begrüßten ihn mit einer kurzen Ansprache, auf die er mit bewegter Stimme antwortete; dann umarmte er seinen Vater und seine Mutter, die sich eingefunden, und stieg mit ihnen, dem Bürgermeister und dem Präsekten in einen Wagen. um zum Hotel des Ambassadeurs zu fahren. Alle Straßen, durch die „Er" kam, waren beflaggt und geschmückt und von einer dichten Menge bedeckt, dis ohne Aufhören Hochrufe ausstieß. Gambetta hält heute Ruhetag, wird aber Abends durch die Straßen fahren, um die Illumination anzusehen. Gambetta wird in seiner Vaterstadt wirklich wie der neue Messias der großen Nation gefeiert. Das Geburtshaus Gambettas ist mit einer Gedenktafel geschmückt worden; es werden Erinnerungsmedaillen an den Besuch verkauft. Fünfzehnhundert Personen haben sich zur Audienz bei dem Kammerpräsidenten eingeschrieben.
England.
London, 25. Mai, Abends. Die Geschworenen haben den Redakteur d. Bl. „Freiheit", Johann M 0 st, der Ausleihung zum Morde schnitz i g gefunden; mit mildernden Umständen; die Verkündigung des Urtheils- spruches ist noch vertagt worden.
Tages-Neuigkeiten.
— Calw, 30. Mai. Als am Freitag Morgen der Stationsmeister Stegmaier inMjüLL-dem um 7^ dort «»kommenden Zuge den Hrn. Inspektor Pr 0 ß von hier entsteigen sah, muß er wohl von der Ahnung einer sür ihn verhängnißvollen Untersuchung gepackt worden sein; denn er entfloh sofort durch einen Gepäckwagen hindurch in den jenseits der Geleise liegenden Wald. Was ihn zu diesem auffallenden Schritte bewog,
war bald klar, da sich bei Prüfung feiner Bücher ein Defizit vsn ca. 800 „/L herausstellte. Im Walde muß er sich den ganzen Freitag und Samstag Herumgetrieben haben, am Samstag Abend soll er im Welzberg gesehen worden sein und die erste Nachricht, die man über ihn bekam, war die, daß er am Sonntag früh um 2 Uhr in Monakam ein Fuhrwerk genommen und damit nach Pforzheim gefahren sei. In Pforzheim entledigte er sich seiner Dienstkleidung, kaufte für 23 ^ einen andern Anzug und fuhr um V-lO Uhr mit der Bahn weiter. Wie weit er auf dieser kommen wird, wird sich bald zeigen, da ihm der telegraphische Steckbrief nach verschiedenen Richtungen vorausgeeilt sein wird. Unklar ist, woher er das Geld zur Reise bekam, da die Tageskasse in Ordnung war und die Untersuchung ihn jedenfalls unvorbereitet fand.
— Böblingen, 26. Mai. Heute früh um 4 Uhr wurde der bei Bierbrauer Zahn in Arbeit gestandene 27jähr. led. Zimmermann Heller von Magstatt auf dem Pflaster liegend und um Hilfe rufend aufgesunden. Er wurde alsbald ins Krankenhaus verbracht und ohne äußerliche Verletzung gesunden, war jedoch innerlich so verletzt, daß er nicht mehr zum Bewußtsein gekommen ist und um 12 Uhr seinen Geist aufgegsben hat. Er soll ein Nachtwandler gewesen sein, war bei seinem Dienstherr« wegen seines soliden Betragens und seines Diensteifers sehr beliebt und wird allgemein bedauert.
— Stuttgart, 25. Mai. Gestern Nachmittag gegen 2 Uhr saß in den unteren Anlagen bei dem Schwefelbrunnen ein Herr, der dort seinen Spaziergang zu machen gewohnt ist, auf einer Bank; in seiner Nähe hatte ein 24jähriger Bierbrauerbursche Namens Otto Gottfried Christian Ma rer von Karlsruhe Platz genommen. Als der Herr aufstand, um weiterzugehen und etwa 50 Schritte von dem Brunnen entfernt war, hörte er mit einem Male einen Schuß und fand, zurückkehrend, den jungen Mann von der Bank hinabgestürzt mit einem Schuß in der Brust, den er aus einem Terzerol aus sich abgefeuert hatte. Der Tod war sofort eingetreten. Die Leiche wurde alsbald durch die Polizei entfernt.
— Stuttgart, 25. Mat. In den Tagen vom 16. bis 16. Juni findet in Stuttgart der siebente Deutsche Fleischer-Kongreß statt. Der „Deutsche Fleischer-Verband", der über 300 deutsche Städte in sich vereinigt, gehört zu den am weitesten verbreiteten gewerblichen Vereinigungen Deutschlands. Die Vorlage für die Tagesordnung dieses Kongresses weist Punkte auf, deren Erlevigung hervorragend im Interesse des Gesammtpublikums ist; es verdient hervorgehoben zu werden, daß auch die Errichtung von Spezialschulen für Fleischer aus die Tagesordnung des diesjährigen Kongresses gesetzt ist. — Mit diesem Kongreß ist auch eins Ausstellung von Maschinen, Gerüchen und Werkzeugen für die Fleischerei. Fleisch- und Wurstwaaren-Fabrikation in der zu diesem Zweck eigens erbauten Halle verbunden. Eine Prämiirung der besten Erzeugnisse ist in Aussicht genommen.
— Stuttgart, 27. Mai. Die in der LandeSgewsrbeausstellung angebrachten Plakate: „Warnung vor Taschendieben" seien zur Beachtung empfohlen, indem u. a. bei der Mastviehausstellung einem hiesigen Privatier seine goldene Uhr mit schwerer Kette im Gesammtwetthe von 500 ^ durch die Langfinger eskamotirt wurde.
— Stuttgart, 27. Mai. Am Mittwoch Abend wurde von C. u. E. Fein eine elektrische Flamme angewendet, mit der sich ein großer Theil des Gartenbauoierecks erleuchten ließ. Am Donnerstag Vormittag konnte das elektrische Licht, System Siemens und Halske, in Szene gesetzt werden; Abends brannten 12 Ballons; die Wirkung war eine überraschende. Der elektrische Motor wird durch die öOpferdige Dampfmaschine von Hildt u. Metzger in Bewegung gesetzt. Die Wirkung des Lichtes, das durch gedämpfter Glas in seiner Schärfe gebrochen wird, war in der Halle großartig und trat am auffallendsten hervor, wenn man die in trübem, roth- gelbem Schimmer flackernden Gasflammen verglich. Von Interesse ist, zu beobachten, welche Wirkung das elektrische Licht auf die Jnsektenwelt ausübt. Zu Tausenden und Tausenden stürzten sich die kleinen und kleinsten Thierchen in den Flammenherd. Aber nur ein wohlgenährter Maikäfer ist im Stande, die Flamme einen Augenblick zu stören. — In den ersten 8
Anblick des Geldes hatte den armen Schriftsteller in eine fieberhafte Bewegung versetzt, daß er kaum das Schloß an der AuSgangSthür öffnen konnte. Und dabei plagte ihn eine unbesiegbare Neugierde.
„Liebe Frauflüsterte er, „sendet die Dame wirklich nur den hohen Preis, weil sie die Arbeit desselben werlh erachtet, oder hat sie noch andere Gründe?"
„Ich bedaure, daß ich Ihnen keine Auskunft geben kann I" anwortete lächelnd die Kammersrau
»Ist Ihre Herrin jung und schön?" fragte EtiaS weiter, der nach neuem Stoffe für seine Novelle forschte.
Die Frau sah verwundert den kleinen zitternden Mann an.
„Sie ist jung und schön."
„So I das ist mir lieb." flüsterte Elias wie zerstreut. „Daß sie einen großen Reichthum besitzt, läßt sich denken. Aber nun muß ich noch Eins wissen, liebe Frau."
„Was?"
„Ist die schöne und reiche Dame schon verheirathet?" fragte mit einem so gutmüthigen Lächeln der arme Schriftsteller, daß man hätte glauben mögen, er wolle ihr einen vortrefflichen Mann besorgen, wenn sie noch frei sei.
Die Kammerfrau war die einzige Mitwisserin des Geheimnisses Jo- sephinen's, eines Geheimnisses. dessen Wichtigkeit sie kannte. Diese Frage mußte natürlich ihren Argwohn erregen, da sie die poetische Absicht des Magisters nicht ahnte.
„Haben Sie ein Interesse dabei, lieber Herr?"
„Ei, das will ich meinen, ich würde mir sonst diese Frage nicht
erlaubt haben I"
„Madame Lindsor —"
„Ah. sie ist eine Madame!" flüsterte Elias gedehnt. „Das paßt mir allerdings nicht," fügte er nachdenkend hinzu, indem er die Hand an sein kleines Kinn legie. „Da muß ich meinen Plan ändern. Jung, reich und schön, das wäre mir gerade recht gewesen. Hm, hm , was fange ich denn da an?"
Die Zofe konnte kaum ein Lachen unterdrücken, als sie das betrübte Gesicht des Magisters mit den weißen Haaren sah.
„Mit dem ist es nicht richtig," dachte sie. „Nun, lieber Herr, beruhigen Sie sich nursagte sie laut; „Madame Lindsor ist eine Wittwe, sie war nur zwei Jahre verheirathet. Jetzt ist sie wieder zu haben."
„Wahrhaftig?" fuhr Elias aus.
^Das ist himmlisch! Da wäre ich ja aus meiner ganzen Verlegenheit! Danke, liebe Frau, für gütig ertheilte Auskunft!" rief er der Davoneilsnden nach. „Nehmen Sie sich nur in Acht, daß Sie nicht fallen, es sind fünf Treppen, und jede Treppe hat siebzehn Stufen. Zählen Sie nur, dann können Sie nicht fehlen I"
Seelenvergnügt kehrte Elias zu seinen Miethsbewohnern zurück. Er wollte die beiden glücklichen Menschen beobachten, um treu nach der Natur zu zeichnen, was er bei einer Novelle für unerläßlich hielt. Zu seiner Verwunderung richtete weder der Vater noch die Tochter eine Frage an ihn, es schien, als ob sie wüßten, wer der großmüthige Wohlthäter sei.
„Ich täusche mich nicht." dachte der gute Magister, „hier ist bemt« eine Liebschaft angeknüpft. Beobachten wirl" (Fortsetzung folgt.)