Drentelen sagte den um Schutz flehenden Juden, er könne wegen einiger Juden seine Soldaten nicht in Gefahr dringen. Endlich schritt da» Militär ein. und da die Menschenmasse der Aufforderung, auseinanderzugehen, nicht Folge leistete, wurde geschossen. Wie man sagt, blieben sieben (nach anderen 4) Plünderer todt. und viele Andere wurden verwundet. Mittlerweile hatte der Aufruhr sich über das Weichbild unserer Stadt hinaus auszubreiten begonnen. Die Plünderer zogen in die Nachbarorte, um dort ihr Zerstörungswerk fortzusetzen. Hunderte von Familien sind obdachlos und haben ihr Hab und Gut verloren. Der vermögendere Theil der Juden verschaffte sich Pässe und verließ die Stadt; Viele retteten nicht« als das nackte Leben
Bulgarien
Sofia, 10. Mai- Der Fürst hat die diplomatischen Vertreter der Mächte empfangen; General Ernroth hat ihnen die ernste Lage Bulgariens auseinandergesetzt. Der Fürst sei genöthigt, die verfassungsmäßigen Einrichtungen auf sieben Jahre zu suSpendiren und die ganze Negierungsgewalt in seine Hände zu nehmen. Die Subranjs (Abgeordnetenkammer) soll nur das Budget zu diskutiren haben und ein oberster, aus vier Mitgliedern gebildeter Rath im Konfliktrfalle zwischen Fürst und' Kammer entscheiden. — Dem Metropoliten, der heute an der Spitze einer von den Konservativen entsendeten Deputation den Fürsten zu bleiben bat. antwortete Alexander, er sei alles für das Vaterland zu opfern bereit, sein Verbleiben hänge aber von den Beschlüssen der Nationalversammlung ab. — General Ernroth hat vom Fürsten unbeschränkte Vollmachten erhalten.
Sofia, 11. Mai. Die Wahlen für die große Versammlung sind für den t5. Juli ausgeschrieben; Ende August erfolgt deren Einberufung nach Sistow. Bulgarien soll zunächst eine Militärverwaltung erhalten.
Griechenlan d.
Athen, 11 Mai Die Artillerie und die Kavallerie von Athen haben Befehl erhallen, sich zum Ab morsche nach der Grenze bereit zu halten, um die Besetzung der an Griechenland abgetretenen Gebietstheile in Th'ssalien auszuführen. Andererseits fährt die Pforte fort, in Thessalien Truppen zu konzentriren. deren Zahl sich aus.5790 Mann beläuft. _
Lehrlingsprüf nn gen.
Am Donnerstag, den 12 Mai, wuroen 5 Lehrlinge, nemlich 4 Schuhmacher und 1 Schneider, im Saals des Georgenäums einer Prüfung unterworfen. Dieselben hatten einige Tage zuvor „Gesellenstücke" gefertigt unter Controls von hiezu berufenen Fachmeistern; die Arbeiten waren zur Besichtigung aufgelegt und wurden gut bis recht gut erfunden. Die Lehrlinge hatten schriftliche Aufgaben auszuarbeiten und es wurden ihnen auch practische Rechen-Aufgaben zur sofortigen mündlichen Lösung gegeben. Einige der jungen Leute hatten die gewerbl. Fortbildungsschule gar nicht besucht, einige andere nur in früheren Jahren, weßhalb auch ihre Kennl- nisss im Schreiben und Rechnen etwas weniger befriedigten; ferner wurden sie von Fachmeistern über Erlerntes in ihrem Gewerbe befrag«; die Antworten waren meist befriedigend. Außer Len Fachmeistern und Lehrherren waren noch einige Mitglieder des Gewerbk-Vereins-Ausschusses und ein Lehrer der gewerblichen Fortbildungsschule anwesend. Schließlich wurde jedem der Geprüften ein Diplom über Kenntnisse, Fertigkeit und Verhalten aus gefertigt von den betreffenden Meistern, dem genannten Lehrer und den anwesenden Gewerbe-Vereins-Mitgliedern unterzeichnet. Wie bei früheren Prüfungen, so war auch diesmal die ganze Handlung von sichtbar gutem Eindruck auf die jungen Leute, an welche noch freundlich ernste Worte der Ermahnung und Ermunterung zu fortgesetztem Fleiß und unablässigem Streben für weitere Ausbildung gerichtet wurden. Weitere Prüfungen werden in nächster Zeit folgen. AK.
Tages-Iteuiftkeiten.
Die Abschiedsfeier des Herrn Landgerichtsrath S ch u o n.
(Schluß )
Daß, wo dem Manne die wohlverdiente Ehre erwiesen wird, auch der Frau der gebührende Anlheil zufallen muß, ist nur selbstverständlich und hat daher der ihr geltende Toast des Hrn. Cam. Verw. Ninck den lautesten
Beifall gefunden. »Abschied. Abschied, böse Stunde! wer hat dich zuerst ersonnen?" Mit diesen Dichterworten leitete er seine Rede ein, die zunächst betonte, daß ebenso allgemein, wie die Freude über den ehrenvollen Anlaß, der Hrn. Schuon aus unserer Mitte entführe, auch das Leid über sein Scheiden sei, das ja de« Hrn. Landgerichtsrath selbst schwer genug falle. Der bereits ausgesprochenen Versicherungen gegenseitigen freundlichen Andenkens bedürfe es nicht weiter. Dagegen haben wir ganz besonder» Grund, der Frau Gemahlin zu gedenken, die ja den ersten Äntheil an Allem habe, was den Mann betreffe, nicht als ob sie Anlheil an seiner amtlichen Thätig- keit genommen hätte, sondern einen andern Antheil habe er im Auge. Die Beamten haben ja so manches Widerwärtige zu erfahren und eine dem entsprechende Stimmung verfolge sie bis in den Familienkreis. Und da sei es dann die Gattin, die die Wolken von der Stirne des Mannes verscheuche und ihn mit ihrem freundlichen, lieblichen Wallen von Neuem befähige, seinen Beruf zu erfüllen. Darum haben wir auch allen Grund, dieser Frauen besonders zu gedenken, und der Hr. Landgerichtsrath werde wohl erlauben zu sagen, daß seine Gemahlin diesen höchst legitimen Einfluß auf sein amtliches Wirken ausgeübt habe. Möge sie diesen liebenswürdigen Beruf noch lange Jahre an seiner Seite üben I Mit diesem Wunsche erschalle ihr ein llfaches Hoch I
Was sodann Hr. Bahnhofinspektor Proß in poetischem Gewände, ausgezeichnet nach Form und Inhalt, vortrug, war dem Res. leider nicht möglich, zur Wiedergabe aufzufassen; er gibt aber die Hoffnung noch nicht auf, daß es ihm gelingen werde, den allgemeinen Wunsch der Veröffentlichung nicht nur dieser, sondern auch der nachher von Hrn. Rekt.or vr. Müller vorgetragrnen, ebenso sinnigen poetischen Ansprache noch zu erfüllen.*)
Eine Pflicht der Dankbarkeit erfüllte Hr. Amtsrichter Deck inger, wenn er, anschließend an die Worts des Dankes und der Anerkennung, die Hr. Schuon seinen Dienstergebenen dargebracht habe. und mit der Versicherung, daß es stets sein Bestreben gewesen sei, die Zufriedenheit seines Hrn. Vorgesetzten zu erwerben und ihm eins treue Stütze zu sein, ganz besonders hervorhob, wie viel er Hrn. Schuon zu danken Habs, der ihn als Referendar vor 4 Jahren mit unermüdlicher Geduld in dis Praxis eingeführt und ihm seine spätere, in Folge des neuen Gerichtsverfahrens doppelt schwierige Stellung als Richter mit der freundlichsten Nachsicht erleichtert Habs. Man möge daraus ersehen. wie schwer ihm das Scheiden von einem solchen Vorgesetzten falle. Diese Gefühle theilen aber auch alle Angestellten des Gerichts und es sei ihm eine angenehme Pflicht, die besten Wünsche sür sein Wohlergehen ihm in seinen neuen Beruf nachzusenden.
Nachdem sodann Hr. Oberamtsarzt B eilte r, der als Gerichisarzt und Hausarzt in manchfache nähere Berührung mit Hrn. Schuon gekommen, ihm und seiner Familie die herzlichsten Glückwünsche, insbesondere den sanitären Wunsch dargebracht hatte, daß er in den Wogen des schwäbischen Meeres seine volle Gesundheit wiederfinden möge, verübte Hr. Schultheiß Ziegler von Gechingen als Schul- und Jugendfreund des Hrn. Landgerichtsraths eins jener drolligen und drastischen Reden, welche des allgemeinen Beifalls sicher sind, aber nicht wohl rvirdergegeben werden können. Die Reve begann mit der Erinnerung an die SchulaufnahmS- prüfung in einer längst verklungenen Zeit, wobei Männer wie Fischer, Schuldt, Albrechi, Ramsperger thätig gewesen, und wobei auch ein Junge aus der Stechpalmengegend; erschienen sei. Dieser habe sich in späterer Zeit auf einmal als Krsisrichter entpuppt, mit dem er Jahre lang ein freundschaftliches Verhältniß gepflegt habe. Als derselbe dann aber Oberamtsrichter und damit sein Vorgesetzter geworden, da habe sich das Blatt gewendet u. s. w. u. s. w. Aber trotzdem sei die Jugendfreundschaft stets die gleiche geblieben, und auf düse und „unfern" Schuon bringe er ein Hoch aus. Als Angehöriger der bürgerlichen Kreise wendete sich*Hr. Fr. Würz, Obmann des Bürgerausschuffes, an den Mitbürger, der gewohnt war, regsten und wärmsten Antheil an allen bürgerlichen Verhältnissen zu nehmen und der insbesondere auch als Pfarrgemeinderath seine lebendige Theilnahms an dem kirchlichen Leben unserer Stadt bewiesen
*) Diese Hoffnung hat sich bereits erfüllt und sind wir in der angenehmen Lage, beide Gedichte in der nächsten Nr. ds. Blattes zu veröffentlichen.
„Spiele die Beschützerin der schönen Künste und Wissenschaften, und lade mich als einen armen Novellensckreiber zu Tische."
„Vortrefflich, Philipp, so kannst Du Charakterstudien machen, denn Du wirst interessante Persönlichkeiten vorfinden."
Beide saßen beim Frühstück, als die Kammerfrau ein junges Mädchen anmeldete, das zugleich beifolgende Karte übergeben habe.
Josephine betrachtete das elegante Papier, es enthielt den Namen der Madame F, der Gattin des befreundeten Banquiers. Auf der Rückseite standen die Worte: „Ist Madame Lindsor dringend empfohlen." Da ein Abweisen unstatthaft war, gab Josephine Auftrag, die Ueberbringerin der Karte eintreten zu lassen. Eine Minute später öffnete die Zofe die Thür wieder, und ein junges Mädchen erschien schüchtern auf der Schwelle.
„Treten S.e näher, mein Kind!" sagte freundlich Josephine.
Die Angeredete war ein allerliebstes junges Mädchen von neunzehn Jahren mit blonden Haaren, einem feinen rosigen Teint, großen himmelblauen Augen und von zarter, eleganter Gestalt Sie mußte trauern, denn sie trug ein schwarzes Kleid von grober Wolle, und einen kleinen Hut ohne allen Schmuck von derselben Farbe. Trotz der noch herrschenden Frühlingsfrische lag nur ein leichtes Tuch auf den schneeweißen Schultern. Ihre von Weinen gerötheten Augen, sowie der schmerzliche Ausdruck ihres lieblichen Gesichts verriethen, daß sie viel gelitten hatte. Die Trauernde stand mit gesenkten Blicken stumm und unbeweglich neben der Thür. Unter dem linken Arme trug sie einen Karton von blauer Pappe. Philipp bemerkte mit Erstaunen, welch' eine züchtige Jungfräulichkeit über der ganzen Erscheinung ausgegossen lag. Er konnte kaum seine Blicke von ihr ab
wenden. Josephine war gerührt von ihrem Anblicke.
„Ich bitte, mein liebes Kind." sagte sie mild, „tragen Sie mir ohne Scheu Ihr Anliegen vor. Die Empfehlung, dis Ihnen vorangegangen, sichert Ihnen ein geneigtes Gehör."
Dis bleichen Wangen des jungen Mädchens färbte ein flüchtiges Roth. Dann schlug sie die langen Augenwimpern empor, und sagte in einem zitternden Tone, der indeß mehr Schmerz als Furcht vsrrieth:
„Madame, dieser Karton enthält ein Kleid, das ich bereits den ersten Damen der Stadt zum Kaufs angsboten habe; allein alle weisen es mit dem Bemerken zurück, daß sie die dafür geforderte Summe nicht zahlen könnten."
»Hat Ihnen auch Madame F , deren Karte Sie mir überreichten, dieselbe Antwort ertheilt?" fragte Josephine, die eine Anspielung auf ihren Geiz in dem ganzen Handel zu erblicken glaubte.
„Ja, Madame! Sie fügte noch hinzu, daß eine Dame ihres Alters ein so kostbares Kleid nicht tragen dürfe, ohne lächerlich zu erscheinen, auch wenn sie den Kostenpunkt nicht berücksichtigen wolle. Dann gab sie mir die Empsehlnngskarte mit dem Bemerken, daß Madame Lindsor keinen Grund haben könne, den Kauf abzulehnen. Sie sei jung, schön und reich!"
Die letzten Worte flüsterte das trauernde Mädchen so leise, daß sie kaum zu verstehen waren. Und zugleich nahm sie den Deckel von dem Karton, trat dem Sopha näher, und präsentirte ihren Verkaussartikel.
(Fortsetzung folgt.)