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Politische Nachrichten.
Deutsch«- Reich.
— Berlin, 2. März. Reichstag. Bei Fortsetzung der Berathung der Militärnovelle trat Namen» der Re chspartei Frankenberg für die Annahme der Vorlage ein, besonder» auf Moltke's Ausführung sich stützend. Stauffen berg. eine kleine Minderheit der Nationalliberalen vertretend, führt aus, daß die au» der politischen Lage Europa» für die Vorlage hergrnommene« Gründe wenig bedeuten, so lange nicht autoritäre Eröffnungen Geilen» de» kettenden Staatsmann«« darüber gemacht seien. Niemand «olle an der Macht de« deutschen Heere» rütteln, wen« auch in einzelnen Punkten die Meinungen au», einandergehen. Der Geficht«punkt. wiefern das Volk die geforderte Mehrbe. lastung noch tragen könne, dürfe nicht außer Acht gelaffen «erden. Mattzahn- Eültz (kons.) erklärt, daß nur die Ueberzeugung von der Nolhwendtgkeit der Armeeverstärkung zur Mehrbelastung de« Volke» führen könne, Windthorst betont, daß, wenn seine Freunde sich der Vorlage gegenüber auch mehr ab »ehrend verhalten, sie doch nicht minder bereit seien, für die Wehrkraft des Lande» da« Erforderliche zu bewilligen, wie irgend eine andere Partei. Worauf Alles ankomme, sei der Nachweis, daß die geforderte Vermehrung der Armee nothwendig sei. Dann müsse natürlich die Bewilligung erfolgen. Die Gründe aber, die au» der politischen Lage der Gegenwart, welche keine andere sei als sie seit lange gewesen, für die Vermehrung hergeleitet werden, will er nicht gelten lassen. Die 3jährige Dienstzeit, welche Bebel nach allen Richtungen al» verderblich ausmalt, würde nicht bestehen, wenn für die besitzenden Klaffen nicht der einjährig-freiwillige Dienst vorhanden wäre. Um aus der gegenwärtigen erdrückenden Lage herausznkommen, bleibe »ur übrig, daß die Dienstpflicht eine wirklich allgemeine, die Dienstzeit aber eine kürzere werde. Gneist weist staatsrechtlich nach, daß e« keine unerhörte Zumuthung sei, den Bestand de» Heere« auf 7 Jahre festzustellen» vielmehr haben wir einen anderen als einen solchen Zustand niemals gehabt. Alle konstitutionellen Verfassungen Deutschlands haben eine eiserne Heeretzahl mitbekommen. Nach verschiedenen persönlichen Bemerkungen wird die Vorlage an eine Kommission von 2r Mitgliedern gewiesen.
— Dresden, 1. März In der 2 . Kammer erwiderte der Minister de» Innern auf eine Interpellation de» Sbg. Liebknecht bezüglich des Zwickau» Grubenunglück», die Regierung habe behuf» Besserung der Verhältnisse der Vnappschaft«kassen die Aufstellung von statistischen Unterlagen angeorvnet, »nd diese Unterlagen dürsten sich auch für andere Staaten brauchbarerweisen. Bezüglich einer Revision de« Haftpflichtgesetze« stehe er auf dem Standpunkte be» Reichskommiffär» und pflichte dessen Erklärung im Reichstage bei, eine Revision drese« Gesetzes nicht ohne Lösung der Frage der Altersversorgung ber Arbeiter vorzunehmen; er befürworte eher eine ZwangSversicherung gegen Unfälle ait ein« Verschärfung de« Hsstpflichtgesetze».
Frankreich.
Pari», 2. März. Gestern Aoend sollte, wie »an dem „B. T.* meldet, i« der Halle de» Ecole«, Rue d'Arra«, eine von Studenten ««berufene Volks- Versammlung statlfiaden, um zu Gunsten de« inhastirten Russen eine Resolution zu fassen. Da»- radikale »Mot d'Ocdre* hat «ine PetitionSkampague behuf» Einwirkung aus da« Parlament in Hartmann'» Interesse organisirt. Die radikale Presse schäumt überhaupt vor Wuth gegen den Pariser Polizeipräfekten und verlangt dessen eigene Auslieferung an die Irrenärzte. Polizei Präsident Andrieux ebenso wie Fürst Orloff sollen in den letzten Tagen Droh triefe erhalten Häven, die ihm seine Ermordung mitten in der Polizeipräfektur für den Fall der Auslieferung Hartmaun'» auktndigen. Daß auch der Premier Freycinet mit dergleichen Zuschriften behelligt worden, ist ein grund loses Gerücht. klebrigen« erscheint Hrn. Andrieux' Abberufung zweifellos. Die Minister werden ihn opfern müssen, um sich selbst vor den radikalen Schreiern -u schützen, obwohl das gesammle anständige Pariser Publikum den jetzigen Polizelchef hochschätzt und der »Frage Hartmann* durchaus kühl gegenübersteht. Im Mtnisterralh sollen Magma und Tirard lebhaft gegen die Auslieferung, der Justizmimfter Cazot für dieselbe plaidiren, während Freycinet sich persönlich noch ntcht geäußert hat.
Belgien.
Brüssel, 3. März. Gestern Abend nach Schluß der Vorstellung im Theater de ia Monuaie erfolgte im Augenblick, wo der Hofwagen mit der Königin um die Ecke der Rue Keuper bog. eine heftige Detonation. Da« Gerücht verbreitete sich, daß auf den Wagen der Königin geschossen worden sei. Li» sofortige Untersuchung ergab, daß e» sich um die Explosion einer von einem Individuum geworfenen Petarde handelte.
Rußland.
St. Petersburg, 2. März. (Feier de» 25jährigen Regierung«, jubiläum«). Heute Vormittag 10 Uhr wurde vor dem Winterpalai« ein Ständchen gebracht. Gelinde« Wetter mit durchblickevde« Sonnenschein be« gtnstigle du Feierlichkeit. Die Empfangscour fand nach 12 Uhr statt. Laib nach Io Uhr nahmen auf dem kleinen Platze vor dem Winterpalai» Deputationen von je 100 Mann von jedem Garderegi«ent Aufstellung. Eine unabsehbare Volk«meag» füllte beide Plätze vor dem Palai» an. Um 1o>/< Uhr erschien der Kaiser auf dem Balkon, von den Soldaten und der Volk» menge mir unbeschreibliche« Jubel empfangen» und verweilte etwa ein halbe Stunde, fortgesetzt von den freudigen Zurufe« und Segenswünschen der zahllose» Menschenmenge begrüßt. 3H« zur Seite stand die Großfürstin Thronfolger, sie «achte gleichsam die Honneur« an Stelle der erkrankten Kaiserin. Während ein Mufikkorp» die Hymne .Gott erhalte den Zare«^ spielte, wurde» ioi Kanonenschüsse gelöst. Zugleich begannen die Glocken sämmtlicher Kirche» zu länten. Um 11'/, Uhr begann in der Kirche de» Wmterpalai» der Festgottesdieust. Die Stadt ist di« in die entlegensten Lheile reich mit Flagge» geschmückt. Au« allen Gebieten de« Reich« , au» allen Gesellschafl«kr«rsen sind zahlreiche Adressen, Geschenke und Darbringungen aller Art eingegangen. Die mannigfachsten Stiftungen zum Gedächluiffe de» Lage» wurden gemacht. Zwischen 2 und 3 Uhr »achte der Kaiser eine ahrt durch mehrere Straße», «ob«i »r »»» der zahllos»» Volk»ma§» über-
all mit nicht endenwollendem Jubel begrüßt wurde. Sämmtliche Blätter feiem den Festtag durch Leitartikel und drücken in ihren Rückblicken auf da« ver- floffeue Vierteljahrhundert die dankbarste Anerkennung für die durch den Kaiser gewährten wohlthätigen Reformen au». Einstimmig wird die Heber- zeugung ausgesprochen, daß weder auswärtige Schmierigkeiten noch innere Feinde im Stande seien, den regelrechten Entwickelungsgang Rußland« und die Anhänglichkeit de» Volke» an den Kaiser zu erschüttern. Der „Regierung», bote* veröffentlicht einen kaiserlichen Erlaß, durch welchen verschiedenen Klassen der Bevölkerung eine ganze Reihe von rückständige« Abgaben und Geldbußen erlassen wird.
St. Petersburg, 2. März. Nach der russischen „Peter«burg«r Zeitung* ist die Nachricht von der Anwesenheit und Verhaftung der Vera Sassulitsch Hierselbst unbegründet. Man nimmt an, daß die Nachricht geflissentlich verbreitet wird, um irrezuleiten.
St. Peter»b>prg, 3 März. Ein unbekannter etwa ZOjähriger Mann schoß mit einem Revolver au« unmittelbarer Nähe auf Loris-Melikoff, als dieser von seine« Hause in den Wagen stieg. Der General blieb unser, letzt, seine Uniform wurde durchschossen. Er selbst ergriff den Verbrecher.
St Petersburg, 3. März. Graf Loris Melikoff ergr.ff den Akten» täter selbst; letzterer machte einen Fluchtversuch, wobei sich aber ein Junge ihm entgegen«arf, so daß jener zu Boden stürzte, worauf die Verhaftung erfolgte. Die Untersuchung ist im Gange Der Großfürst-Thronfolger, sowie di« übrigen Großfürsten und zahlreiche hohe Würdenträger statteten Lori«. Melikaff sofort Besuche ab. _
TageSNeuigkeiten
<Eingesc»det.)
— Calw. De« Vernehmen nach wird un« am nächsten Montag Abend wieder, wohl zum letztenmal in diesem Winter — Gelegenheit verschafft, die bekannten Hirsauer und hiesigen Kräfte in eine« Instrumental- und Vokal» konzert zu hören. Da» Programm wird, wie sich nach den Vorgängen er- «arten läßt, ein fein gewähltes sein. Wir können die Verdienste der Mit» wirkenden nicht genug anerkennen, zumal sie Alle nicht wenig Mühe und viel kostbare Zeit zur Vorbereitung auswendeu müssen; sie finden zwar ihren Lohn in der Befriedigung über das Gelingen, aber das Genießen ist lediglich auf Seiten der Zuhörer. Erweisen wir un» dankbar durch recht zahlreiche» Be» such, ganz besonder« dießmal, den« der pekuniäre Zweck des Konzertes ist: der magern Casse des jungen Hirsauer Verschöaerungsvereinr aufzuhelfen, ein Verein, der recht eigentlich die Frucht der schönen Thäligkeit de« hiesigen ist, an dem wir schvn deßhalb unsere Freude haben müssen, weil er zeigt, wie gute Beispiele wirken.
Erinnern wir noch daran, daß wie sich Hirsauer um unsere Winterabende bemühen, so von dort aus auch mit feinem Verständniß für herrliche Natur- Genüsse in der besseren Jahreszeit gesorgt wird, denn „wer hat dich, du schöner Wald* zugänglich gemacht hoch droben? dann kann es nicht fehlen, daß alle Schichten der Bevölkerung am Montag Abend ihre Anerkennung durch zahlreicher Erscheinen an den Tag legen. _
(Eingcs-ndet)
Frau Lina Glitz-Hohenfelr, welche vor längerer Zeit hier im Waldhornsaale «inen dramatischen Vortrag gehalten hat, wird auf Veranlassung einiger hiesiger Kunstfreunde hier auf ihrer Durchreise in der ersten Hälfte Liese- Monat» einen zweiten dramatischen Vortrag abhalten; die Künstlerin hat zu» letzt in Stuttgart ein Gastspiel absolvirt, und wurde von der gesammie» Stuttgarter Presse auf da« beifälligste beurtheilt, wir lassen hier wegen Raummangel nur die Kritik des „Schwäbischen Merkur* folgen und zwar schreibt derselbe in Nr. 47.: Unter doi so mannigfaltige» Genüssen, die un« der verflossene Winter in seinen reichen Vorträgen gebracht, dürfte derjenige, den Frau Lina Glitz-Hohenfels gestern bereitete, ihren Zuhörern in angenehmer Erinnerung bleiben. Es handelt sich weniger um die von der Dame für den Vortrag gewählte neue Dichtung: Gräfin Lea, Schauspiel in 5 Alten vo« P. Lindau, at» vielmehr um die Art und Weise, wie eine Dame einer Auf- gäbe von so bedeutender Schwierigkeit: ein ^so umfangreiche», wechselvolles, personenreiche» Stück mit dramatischer Lebendigkeit auszustakten und vorzu- tragen, sich zu eutledigen verstanden. Es find in dem Stücke mehr al« 20 Personen verwendet; diese 20 Charaktere darzustekeu, ist em« menschliche Stimme, sei e» Dame oder Herr, entfernt nicht im Stande. Es genügt auch für den Zuhörer vollkommen, wenn in der jeweiligen Szene oie handelnden Figuren mit Geschick auseinander gehalten werden. Da« ist der Frau Lina Glitz-Hohensel« in vollem Maße gelungen. Obgleich sie ihr Organ zu diesem Zwecke vielfach zu moduliren hat. verliert der Vortrag in kemer Weise an Deutlichkeit; die Stimme und der Vortrag waren tm kleineren Saale de» obern Museum« anch in der entferntesten Ecke noch ia jeder Silbe vollkommen verständlich. Da» ist um so mehr zu verwundern, al» die Dame mit einer Geläufigkeit vorlrägt, wie sie eben nur einem weiblichen Organ vergönnt ist. Diese Sicherheit de» Treffen» war der Frau Glitz-Hohensel» nicht bloß in ruhiger Konversation eigen, sie beherrschte die Situation auch daun vollständig, wenn c» galt, die heftigsten Konflikte, die aufgeregtesten Szenen darzustellen. E» ist deßhalb leicht zu begreifen, daß der Beifall, welcher der Dame von de« immerhin sehr ansehnlichen Publikum zu Ttzeil wurde, sich von Akt zu »kt steigerte. Die junge Dame erschien in einer Toilette von feinster Eleganz, in ei nem Prinzesstnkleid au« Rosaatla». _
— Ellwangen, 29. Febr. Sestern Abend wurde ein Man» au« Hütt-
lingen, VA. Aalen, auf einem Wagen verwundet hier eingebracht. Deifeld« wurde im Walde bei Röthlen von zwei Handwerksdurschen augefalle». Der eine setzte ihm eine Pistole auf die Brust, der andere vifitirte seine Taschen. Bei de« Versuch de» Augefallene», die Pistole von sich abzuwrhrea. ging sie lo». Der Schuß traf ihn in die linke Hand. Nachdem di» Strolche ihn seiner Laarschaft, die nicht viel mehr al» 1 Mk. betrug, beraubt hatte», suchte» sie da« Weite. Ihre Spur ist bi« jetzt nicht aufgefundeu. Die Verletz, u», der Hand ist «icht unbedeutend, sie könnte die Abnahme derselben zur Falze habe».