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Thiiter genau vertraut mit dem Ermordeten waren; sonstige Anhalts- punkte hat man kisine.

Diegestrengen Herren* Mamemrs, Pancrvtiü'S und Servatius, welche mit ihrer kühlen Witterung nach. Angabe ^hos .AalylderS erst heute (Samstag) erwartet wurden, sind, soweit" es Berlin betrifft, einen Tag früher tingetroffen. Am Freitag früh bei Sonnenauf­gang war das Thermometer bis auf 1 Grad Minus gesunken, und da es ausnahmsweise gerade einmal windstill war, hat diese geringe Kälte genügt, um nicht unerheblichen Schaden in Garten und Feld onrurichtm Bon den Bäumen baben am meisten die Wallnußbänw- u. Eichen gelitten, deren schwarz gefrorene Blätter einen traurigen Anblick gewähren. Bon Garten, und Feldfrüchten wurden durch den Frost nur Kartoffeln und Bohnen betroffen. Den Erbsen und insbesondere dem Roggen, der schon voll in den Aehren steht, vermochte die ge> ringe Kälte keinen Schaden zuzufügen.

Es ist der »Tribüne- bekannt geworden, daß die erste Kugel des Attentäters so dicht an der Stirn des Kaisers vorüberflog, daß dies« aufspringend, mit dem Rücken der linken Hand über die Stirn führ in dem Glauben, er sei verwundet!

Berlin, 15. Mai. Der »Prov.-Corresp." zufolge erwiderte der Kaiser bei dem am Sonntage in Gegenwart des Kronprinzen stattgehabten Empfange des Staatsministeriums auf die Glückwunsch- ansprachr des ältesten Ministers, des Justizministers Leonhardt: Es sei das dritte Mal, daß auf ihn geschossen worden; so erschütternd und betrübend das sei, so finde er doch Trost in der Thcilnadme der Bevölkerung, welche sich vom ersten Augenblicke an so lebhaft kund- gegeben und ihm sehr wohl gethan habe. Man dürfe solche Dinge in keiner Weise zu leicht nehmen; er habe in der Zeit, als er Mit­glied des Staatsministeriums grwfsen, stets auf dir Gefahren hinge­wiesen, welche sich aus der Geltendmachung der damaligen staatsfeind­lichen Richtungen ergeben müßten. Seine Befürchtungen seien durch das Jahr 1848 leider bestätigt worden. Jetzt wiederum und in erhöhtem Maße sei es Aufgabe der Regierung, dahin zu wirken, daß revolutionäre Elemente nicht die Oberhand gewinnen. Jeder Minister müsse dazu da« Seinige thun. Insbesondere komme es darauf an, daß dem Volke die Religion nicht verloren gehe. Dies zu verhüten, sei die hauptsächlichste Aufgabe.

Zu der Aeußerung des Kaisers, es sei nun das dritte Mal, daß ein Altentat auf ihn gemacht worden sei, ist zu bemerken: Außer dem Hödel'schen und Becker'schen Attentat wurde ein solches 1849 verübt, als der damalige Prinz Wilhelm sich nach Baden begab, um das Kommando der gegen die Insurrektion aufgebotenen Truppen zu über- nehmen. Bei Mainz wurden aus einem Weinberge Schüsse auf den Wagen des Prinzen abgefeuert; es wurde jedoch nur der Postillon verwundet.

Nach dem »Berliner Börsencourier" hat die Frau Großherzogin von Baden im Kreise der königlichen Familie und auch zu anderen Personen sich dahin geäußert: sie habe mit großer Genauigkeit gesehen, wie Hödel aus einer Entfernung von vier oder sechs Schritten den Revolver gegen den Kaiser abgefeuert und wie er direkt aus ihren Vater gezielt habe; es sei ein Wunder, daß die Kugel nicht getroffen habe. ES ist wahrscheinlich, daß §ie Frau Großherzogin im Palais als Zeugin vernommen und daß ihre Aussage ins Proiokoll ausge­nommen werden wird. Der Kaiser selbst hatte den Thäter erst gesehen, als derselbe schon festgehalten wurde.

Vor dem Untersuchungsrichter waren am Dienstag Vormittag zehn Zeugen geladen, die sämmtlich mit Entschiedenheit Hödel als denjenigeu rekognoSzirten, der den Revolver gegen die Person des Kaisers gerichtet hatte. Von so viel gegen ihn sprechenden Beweisen erdrückt, änderte Hödel sein System und meint nun, wenn er aus den Kaiser geschossen, dann sei er verstandlos gewesen, denn wenn ich, ruft er aus, meinen Verstand gehabt hätte, hätte ich jeden getroffen, auf den ich gezielt.

Der 100. Geburtstag Jahn'S wird in Berlin an zwei aufein­ander folgenden Tagen, den 17. und 18. Aug., gefeiert werden. Am ersten Tage werden die Mitglieder der Turnvereine und Schülerdepu- tationen aller Schulen zu einem großartigen Festzuge sich vereinen. Derselbe wird sich nach der Hasenheide zum Denkmal Jahn'S begeben und zu dessen Füßen ein großes Schauturnen halten. Am nächsten Tage werden die sämmtlichen Schüler Berlins, 60,000 an der Zahl, in 5 Gruppen getheilt, nach 5 verschiedenen Turnplätzen marschiren, um dort Frei- und Ordnungsübungen, sowie Turnspiele vorzunehmen.

Die freikonservativen Abgg. v. Schund (Württemberg) und Dr. Lucius haben AbänderungS-Anträge zum Tabaks-Enqustegesetz ringebracht, welche den Entwurf wesentlich umgestalten. E» sollen nicht »statistische Erhebungen", sondern eine Untersuchung stattfinden, welche durch eine vom Bundesrath unter Zuziehung von Sachver- Kündigen zu berufende Kommission geführt wird. Mit den örtlichen

Erhebungen find Bezirkskommissionrn zu beauftragen, welche je au» einspkBpnnttru plfk Darstand und-A sachkundigen.Mitgliedern bestehen. Dse K-mmisflKrsmitgliedru find eidlich zu verpflichten, über die bet der Erhebung zu ihrer Kenntniß gelangenden Angelegenheiten der Ge» werbtreibenden Amtsverschwiegenheit zu beobachten. Die Einsicht in die Geschäftsbücher soll den Kommissionen im Allgemeinen nicht zustehen, nur wenn ein Verpflichteter die vorgeschriebenen Angaben verweigert oder unzweifelhaft unrichtige Angaben macht, so ist die Erhebungs- kommission des Bezirks befugt» die Vorlage der Geschäftsbücher zur Einsicht zu verlangen. Geyen die Verfügung der Kommission, durch welche die Vorlage der Geschäftsbücher verlangt wird, ist die Be­schwerde bei der höheren Verwaltungsbehörde Zulässig. Das Maximum der Geldstrafen ist auf 300 statt auf 500 festgesetzt. Unterstützt ist der Antrag u. a. durch Staelin, Günther, v. Kardorff, Graf Be- thusy-Huc, v Knapp, v. Schwarze, Stumm, Thilo, Graf v. Luxburg.

Bei dem Amendement Schund Lucius zum Tabaksenquetegesetz (s. o.) besteht der Unterschied zwischen der Vorlage und dem Amen­dement im Wesentlichen nur darin, daß einestheils dem Beschlüsse des Bundcsraths über die Form, in der die Erhebungen stattfinden sollen, vorgegliffen und die Zuziehung von Sachverständigen in da» Gesetz ausgenommen wird, und daß anderentheils einige Schärfen der Vorlage, namentlich in den Strafbestimmungen, beseitigt werden. Von den Eingangsbestimmungen abgesehen, wird das Amendement kaum mehr Aussicht auf die Zustimmung der nat.lih. Partei haben, als die Vorlage des Bundesraths.

London, 14. Mai. Die auswärts verbreitete Nachricht, daS Kriegsamk habe die Berufung der indischen Truppen sistirt, ist unbe­gründet.

London, 15. Mai. Gestern Abend brachen ernste Ruhestör­ungen in Blackburne aus. Große Massen von Sinkenden durchzogen die Straßen, warfen die Fenster in den Hauptwühlen ein, zerstörten daS Vordertheil des Hauses des Arbeitsgebers Hornby. Letzterer wurde durch Steinwürfe verwundet. Das Haus des Obersten Jack­son, Vorsizender des Vereins der Arbeitgeber, wurde iu Brand gesteckt und gänzlich zerstört. Starke Abtheilungen Infanterie und Kavallerie sind angekommen. Der Tumult dauert fort.

Konstantinopel, 13. Mai. Die Pforte hat mit hiesigen Banken einen Vorschuß von 700,000 türkischen Pfund abgeschlossen, unabhängig von dem für die Repatriirung der Flüchtlinge nothwendigen Vorschüsse von 300,000 Pfund. Die Regierung zahlt 12 Proz. Zinsen und 2 Proz. Kommission. Garantirt wird der Vorschuß durch die Zollcinnahmen auf 15 Monate.

Ko n ftant inopel, 14. Mai. Die Verhandlungen wegen Räumung der Festungen Seitens der Türken und gleichzeitigen Rückzugs der Russen von San Stefano sind gescheitert, da der Rück- zugSplan des Generals Totleben in St. Petersburg nicht genehmigt wurde.

Washington, 14. Mai. Nach einem Telegramm aus Philadel­phia kommen fast auf jedem Dampfer aus deutschen und französ. Häfen russische Offiziere, Seeleute und Agenten in New Aork an. In allen atlantischen KüstenstMen erregen ihre Bewegungen große Aufmerksamkeit. Sie reisen zwischen New-Aork, Washington, Boston und Southwest-Harbour hin und her und geben sich den Anschein, als ob sie wichtige Geschäfte zu besorgen hätten.

Vermischtes.

In München zertrümmern seit einiger Zeit Frcvlerhändr auf räthselhafte Weise die großen Spiegelscheiben an Kaufläden und Kaffee­häusern. Während de« lebhaftesten Verkehrs in den Abendstunden klirrt eine solche Scheibe, ohne daß man einen Knall oder sonst etwas Verdächtiges wahrnähme, und zeigt sich dann wie von einem Schrot­korn von außen durchlöchert. Ob Windbüchsen, Zimmerpistolen oder Blasrohre dazu gebraucht werden, hat noch nicht ermittelt werden können. Der Verdacht richtet sich indessen auf eine neuere Schuß­waffe, sogen. Blasrohrstöcke, deren Verkauf und Führung von der Polizei streng untersagt worden ist.

Jetzt, wo die Tabaksfrage die Gemüther so beschäftigt, dürfte es nicht uninteressant sein, zu hören, was ein Elsässer Journal über die Entstehung des Tabakmonopols ln Frankreich erzählt. An einem Novemberabend des Jahrs 1810 fand ein Hofball sii den Tuilerieen statt, bei dem sich eine Dame durch ihre Anmuth und ihre Dia­manten auszeichnele. Der Kaiser und der Hof waren von dem Glanz, und Luxus geblendet und fragten nach dem Namen der schönen Tänzerin. Man antwortete dem Kaiser, es sei die Gattin eines durch de» Tabakshandel reich gewordenen Kaufmanns.Dieses Geschäft trägt also viel ein?" fragte Napoleon, und die Folge davon war, daß am 29. December und am 11. Januar 1811 Dekrete erschienen, welche die Fabrikation und den Verkauf des Tabaks ausschließlich dem Staate zuwiesen.'

Siedattiou, Druck uud Verlag »»» S. Oetschlager m Ealw.

(Hiezu Rro. 20 deö UuierhaltuvgsblattS