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wie wir hier noch nachtragen wollen, von der ersten Kammer nicht angenommen. Im November oder Dezember sollen die neuen Wahlen stattfinden. (N. T.)

Böblingen» 29. Juni. In dem 1668 Einwohner zählenden Psarrdorfe Altdorf sind in letzter Zeit 30 Personen am Typhus erkrankt, von denen eine bereits gestorben ist. Wie die von dem K. Oberamtsphysikate vorgenvmmene Untersuchung ergeben hat, ist diese Epidemie wahrscheinlich eine Folge des Genusses von Wasser vom sog. Kirchhofbrunnen in der Holzgerlinger Vorstadt, in dessen Leitung Auswurfstoffe einer von Stuttgart nach Altdorf gekommenen typhus. tranken Person eingedrungen sein muffen. Die nöthigen Maßregeln wurden sofort ergriffen.

Ravensburg, 28. Juni. Vor dem Schwurgerichtshvfe wurde heute der Taglöhner Friedr. Tangelmaier von Dieterskirch, OA. Ried­ringen wegen Mords zum Tode verurtheilt. Derselbe hatte, wie er nach anfänglichem Leugnen gestand, seine Schwiegermutter, die 62 Jahre alte Wittwe Harter in ihrem Zimmer erwürgt, sodann auf die Bühne getragen und an einem Dachsparren aufgehängt, um in den Besitz ihres Geldes und Vermögens zu gelangen. Es ist dieß seit geraumer Zeit wieder das erste Todesnrtheil, welches in Würt> temberg gefällt wurde.

Niedling en a. D., 29. Juni. Am 10. d. M. hat unser Oberam törichter Kolb Riedlingcn verlassen, ohne wieder dahin zurück- zukehren. Es darf mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden, daß er seinen Tod in der Tiefe des Bcdensee's gesunden hat; bis .setzt konnte übrigens der Leichnam nicht entdeckt werden. Das Be- dauern des ganzen Bezirks und der näheren Bekannten insbesondere ist ein außerordentlich großes, denn Kolb war ein Biedermann, als .pflichtgetreuer Beamter und gerechter Richter, w>e als guter Patriot in hohem Grade geachtet und geliebt. Es waren seit längerer Zeit Spuren von Melancholie bei ihm bemerkbar und es wird wohl diese als Ursache seines Todes angenommen werden müssen, denn äußere Gründe sind nicht vorhanden, wie denn auch die seither flattgesundene Gerichtsvisitation sicherem Vernehmen nach alles in Ordnung getroffen hat.

Friedrichshafen, 29. Juni. Hier und andern Ons steht noch viel Wasser, theilweise bis zu 67 Fuß hoch, in den Kellern der Wohngebäude am See. Vorgestern Nacht sah man vcn Mit> ternacht an eine große Helle Feuersäule über den See hinüber in der Richtung bei Staad; es brannten in Rheineck 7 Gebäude ab; noch Morgens 8 Uhr war der Rauch an der Brandstätte von hier aus sichtbar.

Pforzheim, 30. Juni. Heute früh wurde auf dem Eisen­

bahngeleise, in der Nähe des Blumenheckenwegs der Leichnam eines jungen Mannes aufgefunden, welchem der Kopf in der Mitte quer durchschnitten war. Die avgestellten Nachforschungen ließen in dem Unglücklichen einen hier beschäftigten 20 Jahre alten Schuhmacherge­sellen ermitteln. (Pf- B.)

Offenburg, 29. Juni. In Ncnnenwcier Hot, wiederO. B." erzählt, eine Anzahl Bürger, die nahe Gefahr erkennend, die vorschriftsmäßige Herstellung eines Dammes, die 50 fl. gekostet und Schutz gewährt hätte, verlangt, >,der Eemeinderalh ober die 60 fl. nicht ge­nehmigt, so daß nun Schaden v. Hundertr. eintrai. In Altenheim soll der Wasserschaden sich auf 300000vk6, u. in Marlen ans 36,((0-^ belaufen.

Gütenbach, 28. Juni. Während im Winter die hiesige Gemeinde in großer Aufregung war, weil ein Altkalholik vor seiner Wohnung heimlich überfallen und zu Boden geschlagen wurde, sind wir jetzt nicht minder in Aufregung, weil die Gärten der Allkatho­liken, ja selbst die Gräber von Angehörigen altkotholffcher Familien durch ruchlose Hand verwüstet werden. Weil gerade nur Altkatholikcn hcimgesucht wurden, kann man es Niemanden verübeln, wenn er glaubt, die Heimsuchung sei von Neukathuliken bewerkstelligt worden.

Berlin, 29. Juni. Der Geheime Medizinal! ath Professor Lima» ist gestern aus Ragatz in der Schweiz zurückgekehlt, wohin er sich auf Einladung des ehemaligen Botschafters Grafen Harry von Arnim begeben hatte, um dessen Zustand zu untersuchen. Das Re­sultat dieser Untersuchung hat Herr Professor Liman in einem Zeug- niedergelegt, nach welchem gegen den Grafen Arnim eine Haft- Maßregel zeitlebens nicht zur Vollstreckung kommen darf. Tieres Zeugniß, resp. eine beglaubigte Abschrift ist dem Berliner Stadtgericht und dem Berliner Kammergericht von Seiten der Vertheidigung eiw gereicht worden, so daß nunmehr ex officio die wider den Grafen Arnim erkannte Gefängnisstrafe in eine Geldstrafe rmgimoudelt und von einer Präventivhaft in dem LaritlSverrvthsprozesse Alstand ge- nommen werden muß.

Berlin, 30. Juni. Nach der Amttentsetzung des Erzbischofs von Köln werden demnächst auf den 12 preußischen Eischossstühlen nur noch 5 Bischöfe, und zwar die von Culm, Ermlar.d, Hildcsheiw, Osnabrück und Limburg rechtmäßig amtiren. 5 Bischöfe die von Münster und Paderborn, die beiden Erzbischöfe von Köln und Posen-

Gnesen, sowie der Fürstbischof von Breslau sind durch Crkcnntniß des geistlichen Gerichtshofes ihrer bischöflichen Funktionen enthoben. Zwei Bisthümer, die von Fulda und Trier, sind durch den Tod ihrer Oberhirten verwaist und haben noch nicht wieder besetzt werden können, da betreffs der eventuellen Kandidaten zwischen Regierung und Dom« kapitel keine Einigung erzielt werden konnte. Tie Verhandlungen wegen Wiederbesetzung des Trierer Visthums sind noch nicht abgeschlos­sen. Das betreffende Kapitel soll eine Deputation nach Rom gesandt haben, um die Einwilligung des Pabstes zur Mahl eines gemäßigten Bischofs zu erlangen.

Berlin, 29. Juni. Die Setzer und das Maschincnpersonal der Mehrzahl der hiesigen Zeitungen, auch bei dem Reichsanzeiger, legten gestern die Arbeit nieder. Die Zeitungen crsckeimn in beschränktem Umfange. Ursache des Strikes ist der von den Prinzipalen gemachte Vorschlag, den vor 3 Jahren vereinbarten Berliner Lokalzuschlag von 331/2 pCt. auf 20 pCt. herabzusetzen.

Wien, 28. Juni. Trotz den sehr düster gefärbten Aussichten werden die Friedensfreunde nächsten Freitag eine Sitzung abhalten, um zu berathen, was im Verfolg ihrer im Frühjahr auf Marvartor» Veranlassung gefaßten Beschlüsse über eine allgemeine Abrüstung weiter zu unteinehmen sei, und ob Heuer noch eine Abgeordnetenkonfe­renz einzubcrufen sei. Da diese Männer ja nicht für den Tag ar­beiten, sondern die Zukunst im Arge haben und gar wohl wissen, daß sie gar viele Streiü e werden führen müssen, ehe der Baum fällt, 'den sie zu beseitigen haben, so ist es wohl unzcitig, sich über ihr Be­ginnen lächerlich zu machen, wie es von einigen Seiten geschieht.

Frankreich. Tie Begnadigungen, Strafumwandlungen und Strafermäßigungen, welche der Maischall'Präsident verfügthat, komwen 941 Verurtheilten in Guayana, den Centralanstaltcn, landwirthschaft- lichen Zuchtanstalten u. s. w. zu gut.

Belgien. Brüssel, 30. Juni. Ein Artikel des Nord sagt: Das Einvernehmen der 3 Kaisermächte für die Erhaltung des allge­meinen Friedens bleibt unverändert; Hessen wir, daß die übrigen euro­päischen Regierungen sich ihnen anschließen. Hauptsache bleibt die Beobachtung des Grundsatzes absoluter Nichteinmisckung; diese Nicht­einmischung darf aber nicht vollständige Gleichgültigkeit sein. Europa würde immer die Pflicht haben, dem Kriege Einhalt zu thun, wenn derselbe in einen Krieg der Verwildenirg aukartete, der keine andere Aussicht läßt, als vollständige Vernichtung.

Rußland. St.P et e r sb urg. In Belgrad ist am 30.auf direkten Befehl des Kaisers seitens des dortigen russischen Vertreters, bis zu­letzt Alles aufgebvten worden, um den Fürsten vom Ueberschreiten der türkischen Grenze abzuhalten. Der Fürst erklärte jedoch, er könne, von der Bevölkerung gedrängt, dem Vorgehen der Türken in Bosnien und den Verletzungen der serbischen Grenze nicht ruhig zuschen; er glaube, daß, wenn der früher erwartete Vorschlag, ihn, bei voller Wahrung der Svuveränetüt des Sultans zum Vizekönig von Bosnien zu ernennen, von der Pforte angenommen worden wäre, die Bewegung und die Unsicherheit der Verhältnisse ausgchört hätte; die Pforte wolle aber keine Unterhandlungen mit Serbien, deshalb müsse er der Stimmung des Landes Gehör geben und dasselbe schützen.

Türkei- Die Streitmacht, welche die Pforte zum sofortigen Kampfe gegen Serbien disponibel hat, wird von türkischer Seite auf 200,000 Mann angegeben. Man hält dieß für übertrieben, glaubt jedoch, daß die Zahl der an der serbischen Grenze zusammengezogenen Truppen immerhin 120,000 bis 140,000 Mann betragen dürfte. Die Ausrüstung der serbischen Armee gilt für mangelhaft, obwohl umfoffende Ankäufe von Waffen und Equipirungsgegenständen im Aus­lande stattgcfunden haben. Ob es bei dem serbischtürkischen Krieg, oder bei dem Kriege der Vasallenstaaten gegen die Pforte bleiben werde» ist die Frage, welche jetzt die europäische Diplomatie beschäf­tigt und sie in fieberhafter Thätigkeit erhält. Ei» Wiener Korre- iror dcnt derAllg. Ztg." möchte diese Frage nicht unbedingt bejahen. ,dcnn", sagt er,es gibt wvhlivformirte Kreise, in welchen man schon jetzt offen von der Eventualität eines englisch-russischen Kriegs spricht und die Hast, mit welcher die englischen Ceervstungen dem neuesten Telegramm zufolge betrieben werden, unterstützt diese Auffassung.

Belgrad, 29. Juni. Unter Kanonendonner und dem Zurufe der Berölkervvg ist Fürst Milan heule Morgen nach der Grenze abgereitt, vcn den Ministern bis Semendria begleitet. Der Fürst wird an der Grenze eine Proklamation erlassen. Der Metro­polit und die Bischöfe sind abgcicist, um die Armee zu segnen.

Belgrad, 30. Juni. Sicherem Vernehmen nach ist da« Ultimatum an die rüikuche Regierung vorgestern nach Konstantinopel abgegangcn, und dürfte Morgen oder übermorgen überreicht werben.

Rumänien. Nach der Polit. Korr, ist ein 2000 Mann starkes rumänisches B ccbcchtur gskorps an der Grenze gegen Serbien auf- gestellt worden.

Redaktion, Druck und Verlag von S. OelschlSger in Calw.