348
Zufall im Tunnel zum Zug hinaus. Der Zug kam ohne Zugmeister hier an; vom Bahnwärter wurde Mühlhäuser, der das Genick gebrochen hatte, im Tunnel todt aufgefunden.
— Ueber Herrn Holtum, den Kanonenkönig, schreibt der „Münchener Volkssreund": Der durch seine auf dem Gebiet der Athletik bewunderungswürdigen Leistungen bereits weit und breit bekannte Herr John Holtum hat, wie wir soeben erfahren, München, wo er bei jeder seiner kunstreichen Vorstellungen den lautesten Beifall erntete, verlassen und sich nach Stuttgart begeben. Ganz Außerordentliches leistete der Athlet besonders bei seinem letzten Auftreten in dem großen Garten des Cafe Harras in Sendling. Er zog nämlich zwei sehr starke Pferde, von denen eins an seinen rechten, das andere an seinen linken Arm befestigt war, mit herkulischer Kraft zu sich rückwärts, als sie ihn fortziehen wollten. So etwas ist bei uns noch nie gesehen worden. Auch als Kanonenkönig bewährte sich Herr Holtum, indem er vier Männern, welche sich eingebildet, die von dem Kanonenkönig ausgeschriebene Belohnung von 1500 Mark verdienen zu können und sich deßhalb erboten hatten, die aus der Kanone abgeschosscne Kugel in gleicher Weise, wie der Meister, aufzufangen, durch seine unübertroffene Kraftanstrengung und staunenswürdige Gewandtheit belehrte, daß Sprechen leichter ist als Thun. Keiner dieser neuen Kanonenkönige nämlich war so glücklich, die Kugel zu fangen und zu halten.
— Heiden heim. Ein Hund, welcher hier am letzten Montag ein Kind gebissen hat, ist am Mittwoch der Wuthkrankheit erlegen. Hundesperre ist angeordnet.
— Ulm, 29. Juli. Heute Nacht ist der berüchtigte Matthias Stengele von Holzheim, Baiern, welcher schon gegen 40 Vorstrafen wegen Raubs, Diebstahls rc. erstanden hat und seit längerer Zeit bei dem K. Oberamtsgericht hier wegen mehrerer größerer Diebstähle in Untersuchungshaft sich befand, aus dem Krimiualgefängniß entwichen und ist es bis jetzt nicht gelungen, desselben wieder habhastzu werden; derselbe ist einer der gefährlichsten Gauner der Gegend.
— Friedrichshafen, 29. Juli. Heute Abend O^/z Uhr traf
Seine Kaiserliche Hoheit Erzherzog Albrecht von Oesterreich mit Gefolge auf der Rückreise von Frankreich über Romaushorn hier ein. Derselbe wurde von Sr. Maj. König Karl am städtischen Hafens empfangen und herzlich bewillkommt. !
— Friedrichshafen, 30. Juli. Heute Vormittag kamen 106 Kellner und Kellnerinnen des Herrn Suter von Zürich hier durch, welche zur Bedienung in der Festhalle in Stuttgart bestimmt sind. Sie werden staunen, wenn das „Hörnli* blast, wie da Alles am „Schnürst" geht. „D' Fränkli" dürfen mit den Märkli nicht ver- wechselt werden, heißt K. 1 der Instruktion. Viel Vergnügen und Gut's Wetter!
— Baden trifft eben seine Vorbereitungen auf die Ergänzungswahlen in der Abgeordnetenkammer, indem ein Drittheil der Abgeordneten austreten und dafür neugewählt werden muß. Hier haben die Liberalen in fast allen Bezirken ziemlich sichere Aussicht und die Ultramontanen nur sehr geringe.
— Baden-Baden, 29. Juli. In Betreff des frechen Betrugs, dem eine hiesige Spitzenhändlerin zum Opfer gefallen ist, sei noch erwähnt, daß dieselbe erst in Stuttgart, wohin sie in Geschäften reiste und wo sie das Bankbillet von 10,600 Francs' bei einem Bankier umsctzen wollte, in Erfahrung brachte, daß sie betrogen sei und daß solche Bankbillets überhaupt nicht existiren. Die Betrogene, eine Schweizerin von Geburt, hatte sich durch jahrelangen Fleiß ein kleines Vermögen erworben, um das sie nun mit Einem Schlage durch eine fremde Abenteurerin sich verkürzt sieht.
— Wenn man die Listen der für den baierischen Landtag neugewählten Abgeordneten überblickt, so begreift man den tiefen Groll, der in den ultramontanen Reihen herrscht. Alle Capaciläten der liberalen Partei sind im Besitz von Mandaten verblieben; nnr die Professoren Gcrstner und Edel gingen ihrer Sitze verlustig. Dagegen bildet das clericale Contingenl eine wahre Musterkarte dissentirender Elemente und man vermuthet, daß Spaltungen im clericalen Lager nicht auSbleiben werden. Zunächst soll der Plan der clericalen Partei dahin gehen, daß bei der Präsidenten- und Ausschußwahl die liberale Partei einfach übergangen, und die Cassation unterschiedlicher liberaler Wahlen durchgesetzt werden soll.
— Köln, 30. Juli. Alle Versuche, die Kaiserglocke durch Schwingung zum Läuten zu bringen, blieben bis jetzt erfolglos. Gestern brachte man einen unten sehr dicken und in seiner übrigen Ausdehnung ganz schmalen Klöppel in derselben an und zog sie dann nahezu eine ganze Stunde; allein auch dieser provisorische Pendel verharrte, trotzdem die Glocke in mächtigen Schwingungen aus und nieder schaukelte, in starrer Ruhe. Der Finger Gottes spukte bereits in einigen klerikalen Blättern. — (Dem Dombau Verein wurde von einem Privatschreiben Kemitniß gegeben, in welchem die Ansicht ausgesprochen
ist, der Schwerpunkt des Klöppels der Kaiserglockc liege zu hoch; erst dann, wenn diesem Fehler abgeholfen sei, werde der Erzkoloß beim Läuten seine Stimme erschallen lassen.)
— Köln, 36. Juli. In der Stadtverordneteu-Dersammlung fand heute eine lange Debatte statt über den Antrag von C lassen - Kappel- mann: die Versammlung der Stadtverordneten möge aus ihrer Mitte eine Kommission ernennen, welche die Sedanfeier vorbereite, den erforderlichen Kredit beantrage und mit den hiesigen Vereinen in Verbindung trete, um das Sedanfest zu einer Volksfeier zu gestalten. Dieser Antrag wurde schließlich mit 14 gegen 6 Stimmen abgelehnt.
— Detmold, 25. Juli. Mit dem heutigen Tage ist die letzte Hülle des Hermann-Denkmals gefallen; dasselbe zeigt sich nunmehr in seiner ganzen Großartigkeit. Morgen wird der Bildhauer v. Bändel durch Einfügung eines Reliefbildes des Kaisers Wilhelm in das Postament des Denkmals die letzte Hand an dasselbe legen. Für die Unterbringung von etwa 30,000 Fremden ist durch die umsichtige Leitung des Festcomite's bestens gesorgt; die Militärbehörde hat dasselbe durch Ueberlassuna von 5000 wollenen Decken und Strohsäcken in zuvorkommender Weise unterstützt.
— Berlin, 28. Juli. In Betreff sder Rückkehr des Kaisers ist vorläufig bestimmt, daß, nachdem derselbe am 7. k. M. das letzte Bad genommen hat, noch an demselben Tage die Abfahrt nach Salzburg erfolgt. Am 8. findet die Abreise nach Eger, und am 9. die Ankunft in Berlin statt.
— Berlin, 30. Juli. Der „ Reichsanzeiger * publicirt eine kaiserliche Verordnung, welche den Eröffnungstermin der elsaß lothringischen Bezirkstage auf den 13. September, den Schlußtermin auf den 25. September, den Beginn der ersten Sitzungsperiode der Kreistage auf den 16. August, den der zweiten auf den 4. Oktober festsetzt.
— Berlin, 29. Juli. Der Bischof von Ermland hat dem Oberpräsidenten die Erklärung abgegeben, daß er sich entschlossen habe, zur Ausführung des Gesetzes vom 20. Juni d.' I. über die Vermögensverwaltung der katholischen Kirchengemeinden mitzuwirken und diedurch dieses Gesetz den bischöflichen Behörden beigelegten Rechte auszuüben.
Schweiz. Bern, 29. Juli. Unter den Arbeitern am Gotthardt, tunnel ist ein allgemeiner Strike, an welchem etwa 2200 Arbeiter theil- nehmen, eingetretcn. Dieselben versperren bewaffnet den Tunnel auf der Seite nach Göschenen. Die Regierung von Uri hat eine Kompagnie Militär zur Wiederherstellung der Ordnung dorthin entsendet. Die Arbeiter fordern Lohnerhöhung und wollen von der Verpflichtung entbunden sein, ihre Alimentation aus den Depots Favre's zu beziehen. Favre hat deßhalb bewaffnete Unterstützung verlangt. — Die sinkenden Arbeiter (Italiener) wurden am 28. Mittags durch Plakate ausgefordert, sich zu zerstreuen. Als dieß nicht geschah, rückten Abends 5 Ubr 30 Soldaten auf, über 1000 Italiener postirten sich auf der Straße und den Anhöhen beim Postbaus. Der Gemeindeamman hielt eine beruhigende Anrede mit der Bitte, auseinandcrzugehen. Doch die Zahl der Tumultuanten mehrte sich. Ein Bajonnettangriff um 5 Uhr 20 Minuten Abends wurde mit einem Steinregen beantwortet. Steine wurden mit Flintenschüssen erwiedert, was auf die Menge derart wirkte, daß 5 Uhr 40 Minuten sich Alles zerstreut hatte. Leider gab es zwei Todte (Italiener), mehrere Verwundete. Die Nacht war ruhig. Im Uebrigen fand keine weitere Störung statt.
Bern, 30. Juli. Von den Gotthardttunnel-Arbeitern bei Göschenen sind seither keine weiteren Ruhestörungen verübt worden; jedoch erfolgte ein noch größeres Trnppenaufgebot.
Freiburger 1 5Franken-Loo s e. Der Hauptgewinn von 50,000 Franken, welcher am 15. November 1871 auf die Serie 7709 Nr. 19 fiel, ist, nach der neuesten Ziehungsliste, nebst verschiedenen anderen Gewinnen noch nicht erhoben worden. Wir machen die Besitzer von diesen Loosen darauf aufmerksam, daß die Gewinne fünf Jahre nach den Ziehungen für verfallen und ungiltig erklärt und am 15. August d. I. verschiedene Serien werthlos werden, wenn sie bis dahin nicht erhoben sind.
Spanien. Madrid, 29. Juli. Amtlich wird berichtet: Don Carlos hatte 3 Offiziere beauftragt, seinen Bruder Alfonso zu bitten, daß er den Oberbefehl über die karlistischen Truppen in Catalonien wieder übernehme. Don Alfonso erklärte sich unter der Bedingung bereit, daß Savalls abgcsetzt würde. — Nachrichten zufolge, die der „Agence Havas" aus Spanien zugehen, versuchten die Karlisten Logronno zu bombardiren, wurden aber mit erheblichen Verlusten zurückgeworfen.
Aus Portugal macht ein merkwürdiger Hirtenbrief des Bischofs Amerika von Porto die Runde, worin sich derselbe mit Entschiedenheit gependen Syllabus, gegen das Dogma der Unfehlbarkeit, die unbefleckte Empfängniß u. dgl. ausspricht. Don Amerika fordert die Pfarrer dringend auf, jedes heftige Wort von der Kanzel zu verbannen, darüber zu wachen, daß ihre Pfarrkinder sich vor Wunderwaffern, wie den von Lourdes und ähnlichem Schwindel hüten und die Reinheit der Lehre wahren
vtediqlrt, fl cd ruckt und verlegt von A. OelschlLger.