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würde, um sich definitiv der Idee einer Verlängerung der Vollmachten des Marschalls Mac Mahon unpischließm."

Paris, 11. Okt. Nachrichten aus Versailles bestätigen, daß der Herzog d'Aumale durch den Kriegsminister und den Minister des Auswärtigen bei der deuts chen Regierung um Erlaubniß zur Besich­tigung der Schlachtfelder Lothringens nachgesucht habe, und daß die deutsche Regierung geantwortet habe, sie sähe es lieber, der Herzog unternähme die Reise nicht.

Trianon, 10. Okt. (Prozeß Bazaine.) Die Verlesung des dem Bericht des Generals Rlviere angefügten Documentes, welches die Versuche, mit der Armee von Metz in Verbindung zu treten, be­handelt, wird fortgesetzt. Zunächst werden eine Anzahl von den zur Verwendung gekommenen Boten aufgezählt, von welchen allein 20 als Zeugen in dem Proceß fungiren. Der Bericht betont die Wichtigkeit der Depesche vom 23. August, erwähnt der Ballons-Anwendung, welche zur Herstellung einer Verbindung Bazaine verweigert habe, und bespricht die Anstrengungen der Regierung der National-Verthei- digung, um eine Communikation mit Metz herzustellen. Sodann führt der Bericht den Beweis, Bazaine sei davon unterrichtet gewesen, daß in Thionville große Vorräthc von Lebensmitteln aufgespeichert waren. Ferner bespricht die Schrift die Lage der Artillerie, gibt die Zahl der vorhandenen Geschütze, deren Ausrüstung an Munition an und tritt der Behauptung Bozaine's entgegen, daß er aus Mangel an Munition seine Operationen habe einsielleu müssen. Es wird genau nachgewiesen, daß die vierpfüudigen Geschütze am 16. August 284 Schuß pro Geschütz besaßen, wovon sie nur 39 verschossen, und ebenso, daß an demselben Tage von den vorhandenen 17^/z Millio­nen Gewehr-Patronen nur eine Million verbraucht wurden. Es sei sonach kein Mangel an Munition da gewesen. Der Bericht sagt wörtlich:Wenn man von Munitionsmangel gesprochen habe, so habe man nicht kämpfen wollen." Bezüglich der Lebensmittel-Frage weist das Documcnt auf die Unvorsichtigkeit hiu, mit welcher die Verpro- viantirung von Metz am Anfänge des Krieges verzögert und dem­nächst die Lebensmittel vergeudet worden seien. Einem hier cursiren- den Gerüchte zufolge wird der Vertheidiger, Advokat Lachaud, den Antrag stellen, daß nach Verlesung der Anklageschrift eine von ihm verfaßte Vertheidiguugsschrifl vorgelesen werde.

Tr ianon, 11. Okt. Die Lesung eines zur Rechtfertigung Ba- zaine's verfaßten Berichts wird bestimmt erwartet. Die heutige Si­tzung wurde um 11 Uhr eröffnet und der Bericht des Generals Ri- viöre weiter verlesen. Derselbe untersucht, in welcher Weise die in Metz vorhandenen Lebensmittel verwendet wurden, bespricht die von Bazaine zur unmittelbaren Versorgung der Armee getroffenen Maß­nahmen und erörtert die vom General Coffiniöre als Commandautcn von Metz bis znm 26. Oktober, an welchem Tage derselbe das Com - mando an Bazaine abtrat, zur Versorgung der Stadt angeordneten Maßregeln. Eine große Verantwortlichkeit, so führt der Bericht aus, treffe den Marschall Bazaine dafür, daß er gezögert habe, die nöthige Sparsamkeit rechtzeitig anzuordnen. Hierdurch sei die Intendantur zum Theil entlastet. Bazaine trage aber doppelte Verantwortung, erstens dafür: daß er nicht Alles gethan, was zur regelmäßigen Ver­pflegung der Armee anzuordnen nöthiz gewesen wäre, und zweitens dafür, daß er durch ungenaue Auskunft seine Unterchefs an der Aus­führung der von denselben angestrebten Vorsichtsmaßregeln verhindert habe. Schließlich wird die Haltung Bazaine's während der Einschlie­ßung selbst untersucht. Am Schluß der heutigen Sitzung, nachdem das Schluß-Resurnö, welches die einzelnen Punkte der Anklage reca- pitulirt, verlesen war, gab der Präsident den Befehl, die Rechtfcrti- gungsschrift Bazaine's zu verlesen. Die Denkschrift ist eine fast vollständige Wiederholung des bereits bekannten von Bazaine verfaßten Buches über die Rheinarmee. Das Memoire erinnert mit ziemlicher Kürze an die Schlacht bei Forbach, legt ihr dieselbe Eigenschaft bei, wie der unzeitig unternommenen und durch den Kaiser angeordneten Affaire von Saarbrücken, sucht nachzuweisen, daß der Kaiser alle Be­fehle gegeben habe, bespricht die Schlacht bei Borny, schreibt dieselbe den schlechten Dispositionen des Generals Coffiniöre und den langsa­men Märschen d:S 14. und 15. August zu, behandelt die anderen Schlachten, berührt aber nur leichthin diejenigen Punkte, auf welche sich die Anklage stützt. Bei der Besprechung des Kampfes am 7. Okt. schiebt er die Verantwortlichkeit für dessen schlechten Ausfall den Offizieren zu. Dieselben h ätten eine angeordneteBewegung so schlecht ausgeführt, daß er einen ernstlichen Versuch, den Marsch nach MeziöreS einzuschlagen, nicht mehr hätte machen können. Er schließt: Die Ereignisse seien stär­ker als alles Andere gewesen und fügt hinzu, sein Gewissen mache ihm keinen Vorwurf. Nachdem die Lesung des Berichts beendet ist, ver­liest der Herzog von Aumale den Schlußspruch der Anklage-Akte, welcher lautet,daß nicht alles gethan sei, was Pflicht und Ehre vor - schrieben". Bei diesen Worten zeigt Bazaine eine lebhafte Auf regung,

Redigin, gedruckt und rrriex

sein Gesicht ist von einer plötzlichen Röthe übergossen. Montag um 1 Uhr wird das Verhör Bazaine's beginnen.

Eine der interessantesten Parthicn der Anklage gegen Bazaine ist die Geschichte des Depeschenwechsels vom 18. Aug. bis 1. Septbr., dem Zeitraum, da es sich noch um die Vereinigung der beiden Ar­meen von Mac Mahon und Bazaine handelt. Am 19. oder 20., als Bazaine seine Lage besser übersehen konnte, schickte.;er 3 Depeschen ab, eine an den Kaiser, eine an Palikao, die dritte an Mac Mahon. Die letzte ist die wichtigste. Sie lautet:Ich mußte bei Mel- Stel­lung nehmen, um den Soldaten Ruhe zu gönnen und sie mit Lebens­mitteln und Munition zu versehen. Der Feind wird immer stärker um mich herum. Ich werde sehr wahrscheinlich, um mich mit Ihnen zu vereinigen, die Richtung der Festungen des N or d ens eiuschlagen und Sie von meinem Marsch in Kenntniß setzen, wenn ich denselben überhaupt, ohne die Armee zn gefährden, unternehmen kann." Diese letztere Depesche wurde unterschla­gen, und zwar, wie General Riviöie mit Evidenz nachweist, von Oberst Stoffel, und zwar unterschlug derselbe sowohl die Depesche am 22. August, als das Original derselben, das 4 Tage nachher in Rethel auch in seine Hände kam. Die beiden andern gelangten an ihre Adresse. Stoffel leugnete es im Verhör ab, aber er war sehr verlegen. Er scheint Befehl dazu erhalten zu haben; daß er aber sich zu einem Manöver hergab, welches den Zweck hatte, seinen eige­nen Chef zu täuschen, dem gegenüber er mehr als sonst jemandem zur Wahrheit verpflichtet war, damit hat Oberst Stoffel eine uner­hörte That begangen. Man hatte in Paris ein Interesse, Mac Ma­hon, der bekanntlich gegen den Marsch nach Metz mit Recht sehr ein­genommen war, um jede» Preis dazu zu bringen. Wenn er diese, sehr wenig einladende Depesche Bazaine's erhalten hätte, wo der Durch­bruch des letzteren als mindestens sehr ungewiß und sehr schwierig er­scheint, so hätte er für seine Einwendungen eine ungemeine Verstär­kung erhalten.

Der berühmte Seiltänzer Eloudin, welcher einst auf einem den Niagarafall uberspannendcn Seil seine Spaziergänge machte, hat einen Rivalen an Signore Balleui gefunden. Balleni ist kein Humbuger, wie man bei seinen ersten Ankündigungen glaubte; er hat wirklich das Wagniß kürzlich Nachmittags auSgeführt und zwar viel großartiger als sein Rivale Blondin. Das Seil, das Signore Balleni über­schritt, war 1400 Fuß lang und führte vom Cliftou Haus des einen nach dem Prospekt Park des andern Ufers. Der berühmte Blondin hatte den 'Niagara da überschritten, wo die Ufer nur 800 Fuß von einander entfernt sind. Balleui hat jedoch, bevor er seinen Marsch antrat, das Publikum sehr aus die Probe gestellt. Es war 3 Uhr, aber Signore Balleni war noch nicht da; es war 4 Uhr, und das Publikum hatte sich immer noch die Zeit mit schlechten Witzen zu vertreiben. Um Uhr endlich erschien Balleni, gekleidet in weiße Tricot, und mit einer 22 Fuß laugen und 40 Pfund schwerer Ba- lancirstange ausgerüstet. Die Musikbande fing an zu spielen, Sig­nore Balleni bestieg das Seil. Noch war er keine 10 Schritte ge­laufen, so fing er wieder den Rückzug an. Das Seil mußte stram- mer gezogen werden. Nun begann Balleui zum 2. Mal das Seil zu besteigen; ruhigen und sichern Schrittes ging er vorwärts ; bei dem Publikum herrschte Todcsstille, viele der Anwesenden waren bleich wie der Tod, aus Furcht, das Wagniß möchte mißglücken. Nach 7 Mi­nuten hatte er ungefähr die Mitte erreicht, das Getöse der Fälle war ärger als je, sie schäumten und wütheten um ihr Opfer. Bal­leni hielt an, er bedurfte einen Augenblick der Ruhe. Das Publikum benutzte die Pause, um dem Waghalse seinen Beifall zu bezeugen.

Das Seil war in der Mitte stchlaffer und schwankte hin und her,

als Balleni seine Tour fortsetzte, zudem ging es auch Berg auf. Aber sein Schritt war fest und nach 14 Minuten hatte er das an­dere Ufer erreicht. Das Beifallsgeschrei der Menge kannte keine Grenzen. Balleni war sichtlich erschöpft, nachdem er aber 20 Mi­nuten geruht hatte, schickte er sich zur Rückreise an. Dem Publikum

sollte noch eine weitere Ueberraschnug bereitet werden. Er war im

Laufschritt bis zur Mitte des Seiles angekommcn, da entfiel ihm die Balancirstange ein Schrei des Entsetzens Signore Balleni war der Stange ins Wasser nachgestürzt. Das Wasser spritzte hoch auf und es verstrich einige Zeit, bis man seiner wieder ansichtig wurde. Endlich erschien er; mit kräftigen Armen vertheilte er das Wasser; ein Boot war bereit, das ihn aufnahm, dort wurde er mit warmen Decken umhüllt und ans Ufer gebracht. Signore Balleni wird jede Woche zweimal diese Vorstellung wiederholen. Bei dem Sprung ins Wasser, den sein Vorgänger Blondin nicht gethan hat, bedient er sich einer an das Seil befestigten elastischen Leine. Henry Balleni ist in England von italienischen Eltern geboren, 5 Fuß 7 Zoll groß, 132 Pfund- schwer und vo n schmächtigem Körperba u._