Dazu ist aber vor Allem nöthig, daß man sich gänzlich des Gedankens entschlägt, aus den wenigen hier die Musik professions­mäßig treibenden Männern einen StadtmusikuS schaffen zu wollen. Wer auf dem Kirchthurme, auf der Orgel, oder auf der Kirch- weihe die Posaune, das Horn, oder die Clarinette, wenn auch die jeweiligen Ansprüche befriedigend, blasen kann, ist noch lange kein Musiker in unserem Sinne. Die Musik ist eine edle, da« Leben und den Menschen veredelnde Kunst; sie ist die Trägerin unserer Gefühle, unserer Freude, unseres Schmerzes, unserer Andacht. Darum soll sie weder in der Kirche, noch in der Fa­milie, weder an den Orten der Trauer, noch bei den Gelegen­heiten allgemeiner Freude fehlen. Allein wenn sie diese ihre Aufgabe erfüllen soll, muß sie auch sich selbst über das Stadium ordinärer Gewöhnlichkeit erhoben haben, sie muß eine veredelte sein, wenn sie nicht je die gegentheilige Wirkung üben, z. B. die Andacht stören, die Freude mit Aerger, die Trauer mit Unlust mischen soll.

Findet die städtische Behörde, die sich ohne Zweifel in der nächsten Zeit mit der Wahl eines Stadtmusikus wird beschäftigen muffen, all das Gesagte richtig, so wird sie gewiß auch oie Bitte, die Einsender im Namen Vieler ausspricht, in Erwägung ziehen, für diese Stelle eine öffentliche Concurrenz zu eröffnen, und die­selbe so zu dotiren, daß ein durchaus fähiger Mann sich darum bewerben kann. Wenn dadurch auch die Mittel der Stadt un­gleich mehr in Anspruch genommen werden, als bisher, so wiegt doch gewiß der Gewinn, den unser ganzes öffentliches und pri­vates Leben daraus ziehen wird, die Mehrausgabe mehr als zur Genüge auf; die Männer aber, die in solcher Weise die Zeit und ihre auch in dieser Richtung fortschreitenden Ansprüche be- Lreifen, werden sich den Dank ihrer Mitbürger verdienen. _

. Tagesneuigkeiten.

§§ Calw, 27. Nov. Heute Vormittag nach 10 Uhr traf ein Extrazug mit 75 Mitgliedern der hohen Ständeversammlung hierein. Die Verwaltung war vertreten durch Se. Exc. den Geheimerath v. DilleniuS und mehrere Beamte der Eisenbahndirektion. Nach kurzem Aufenthalt auf dem Bahnhof, dessen Verwaltungsgebäude in den letz­ten Tagen dem Verkehr übergeben worden ist, wurde die Fahrt zu­nächst nach Nagold fortgesetzt, von wo die Rückkehr nach 1 Uhr erfolgte. Durch die bürgerlichen Kollegien und sonstige Einwohner be­grüßt, wurden die Gäste unter Böllersalven in die festlich beflaggte Stadt geleitet und deren Sehenswürdigkeiten, insbesondere das Gcor- genäum und die Anlagen des Verschönerungsvereins gezeigt, während ein anderer Theil dem Kloster in Hirsau einen Besuch abstattete. Diesen Herren wurde eine angenehme Ueberraschimg dadurch zu Theil, daß sie mittelst eines Extrazuges auf der Psorzheimer Linie in Hirsau abge- holt und bis an den Badischen Hof geführt wurden (was nach der An­sicht einiger Herren auf eine künftige Station an dieser Stelle schließen lassen soll). Um 3 Uhr fand in diesem Gasthof ein den Wirth und seine Küche ehrendes Festessen (mit durchaus deutschen Gerichten, wobei auch das saftige Sauerkraut nicht fehlte) statt, an welchem sich auch eine grö­ßere Anzahl Einwohner der hiesigen Stadt bctheiligte. Den ersten Toast brachte der Präsident der I. Kammer, Fürst von Wald- burg-Zeil, aus Se. Majestät den König aus. Hr. Stadtschultheiß Schuldt dankte den Mitgliedern der Kammer für die Verwilligung der Mittel zur Erbauung unserer Bahn, welche seit ihrer Eröffnung hinreichend bewiesen habe, wie nützlich und nothwendig sie in volks- wirthschaftlicher Beziehung sei. Wir Calwer seien jetzt mit Verkehrs­wegen reich gesegnet und wollen diese Wohlthaten auch andern noch um dieselben kämpfenden Bezirken, namentlich unser» Nachbarn in Böb­lingen, gönnen. Hr. Ober-Tribunal-Rath von Weber,Präsident der II. Kammer, brachte ein Hoch aus auf Se. Exc. Hr». Geh.-Ratl, v. DilleniuS, unter dessen Leitung die württ. Verkehrsanstalten zur höchsten Blüthe gelangt seine, so daß sie dem Ausland zur Bewun­derung und zum Vorbilde dienen. Hr. Geh.-Rath v. Dillenius dankte für die ihm gewordene Anerkennung; er warf einen Blick auf seine Jugendzeit zurück, wo er sich als muuterer fröhlicher Knabe auf den- selben Calwe.' Bergen herumgetummell habe, die jetzt ein anderer nicht minder belebter Tummelplatz der Eisenbahn geworden seien. Er ließ die Stadt und ihre Bewohner hochleben. Herr Vice-Präsident Höl- der gedachte in warmer Anerkennung der kühnen und geistreichen Ar- beiter der Erbauer unserer Eisenbahnlinie. Hr. Präsident v. Weber machte in einer äußerst humoristischen Rede allerlei Excursionen, seine heitere Laune führte ihn von der Anerkennung der Leistungen der frommen und gewerbreichen Stadt Calw, insbesondere seines hochge­achteten Freundes und Kammer-Collegen, Hrn. Comm -Rath G. D ör- teubach, zu Satyren auf die culpa und ävlus- und Klassentaiel-Ber- haudluugen in den letzten Kammersitzunzen und die auf einer Cann- stattcr Anthropologen - Ver sammlung vcrtheidigte Darwinsche Theorie '. Redigtn, gecrucki und verlegt

der Abstammung des Menschen vom Affen, wobei er seinen Cannstat- tern nachdrücklichst die Abstammung vom Menschen und nicht vom Affen oder gar Mammuth wahrte; er schloß mit einem Hoch aus den um Calw hochverdienten Hrn. Comm.--Na!h Lörtenbach. Staatsmin. v. Linden toastirtc mit einem Rückblick auf das Fest der Eisinbahner­öffnung, auf die Damen von Calw, Hr. Oberstaatsanwalt B « cher auf das wiedergeeinigte, nach seiner Meinung schwarzweigoldroth sein sollende deutsche Vaterland. Den Schluß bildete ein Toast des Hrn. Louis Wagner ans die beiden Herren Kammerpräsidenten. Das Mahl verlies in fröhlichster Weise, nur zu bald ertönte das Signal zum Aufbruch. Das an diesem Tage so hoch gefeierte Dampfroß entführte uns Abends 7 Uhr unsere hochverehrten Gäste; ein begeistere tcs Hoch und Lebewohl war unser Abschiedsgruß.

1V6. Stuttgart, 23. Novbr. (108. Sitzung der Kammer -^Abg.) Tagesordnung: fortgesetzte Berathung des Stcuerrescrmgesetzes. Die Kammer steht bei den S trafbestimmungen hinsichtlich d erGewcrbesteuer. Art. 101 bestimmt denBegriff der Stcuergefährduna." Vor allem ist nach dem Anträge v. Stein'S der Begriff der Steucrgefährdnng durch das Wort vorsätzlich" einzuschränken. P fciff er: so lange es milden Fassionen nicht ganz bestimmt sei, so lange sei es mit den Geldstrafen (50 Thlr.) etwas Miß­liches; das werde so wirken, daß es die Kleinen nöthige, richtig zn faliren, während die Großen sich mit Vergnügen jährlich eine Ordnungsstrafe von 50 Thalern gefallen lassen. Erst müsse die Frage der Fassionen entschieden sein, «he dieser Art. festgestellt werden könne. M»hl zeigt, welcher chicanöse Miß­brauch, sogar zn politischen Zwecken, gegen Gewcrbetreibenbe getrieben werden könnte, wenn der Verwaltung eine zu große diskretionäre Gewalt eingcräumt würde. Macht dann einen Exeursus durch die Gesetzgebung verschiedener Län­der. Das sei denn doch zuviel, daß man der Behörde gestatten wolle, einem Steuerpflichtigen die Fassion zu Erhöhen und nachträglich noch den Prozeß, zu machen. Stellt demgemäß eine Reihe von Anträgen. Finanz.-Min. v. Renner tritt den Uebcrtrcibungeu Mohl'S entgegen. Die Gewerbe sollen i» keiner Weise überlastet werden, da« sei auch dis zctzt nicht der Fall gewsen. Fast ebensoviel, als vie Gewerbe an Staats-Steuer bezahlen, werde aus der Staatskasse wieder für die Gewerbe auSgcgeben. Fetz er will nicht zustimmcu. zu einer Strafbestimmung, die einen Steuerpflichtigen auch dann noch belan­gen könne, wenn er den ihm auferlegten Beweis der Unschuld, den Beweis,, daß er eine Defraudation weder habe verüben wollen, noch können, geführt Habs. Schmid: das sei durchaus nicht der Fall; von einer prassumtio doli sei keine Rede; ein Defraudationsverdächtiger werde nicht gleich als schuldig an­genommen. Der Antrag v. Stein'S sei gut gemeint und sei criminalistisch korrect, werde aber die Wirkung haben, daß" die Defraudation unter den Große» straflos ausgehe; denn unter 1000 Fällen von Defraudation werde cS kaum, einmal möglich sein, die Absichtlichkeit der Defraudation nachznweiscn. Ohne Strafbestimmung auszukommen, sei weder der unsrigcn, noch einer anderen Gesetzgebung möglich. Eine ZwanaSmaßrcgcl sei unentbehrlich, schon im In­teresse der ehrlichen Fatenten. Mohl's Anträge seien nicht blos gegen die Strafbestimmungen, sondern gegen das Gesetz selbst gerichtet. O e st e rl en fin­det den Gesetze«^Entwurf ganz "der Jahrhunderte alten Praxis, dem Geist der zngelassenen Neuerungen, sowie dem fiskalischen Standvnnkte des Finanz-Mim und des Abg. Schnnd angemessen. In Wirklichkeit sei die prsesumtio doli vorhanden und der Gesetzcs-Entwurf sei nichts anderes als eine monströse Hingebung des Rechts. Warnt vor chicanöser Behandlung der Steuerpflichti­gen, und stellt einen, dem Mohl'schen ähnlichen Antrag in Aussicht. Ein bes­serer Entwurf als der vorliegende sei von der sächsischen Kammer zurückgcwie» sen worden. Wenn man den Gewcrbestand nicht in einen lebenslänglichen Verdacht der Defraudation versetzen wolle, so müsse man zum Wenigsten den Antrag des Hrn. v. Stein annehmen, v. Sarwey: allerdings haöc dieser Antrag mit den Modifikationen von Oesterlcn, sowie Pvn Bücher etwas Be­stechendes ; allein sie seien unannehmbar, wie bereits Lenz und Schmid auS- gesührt. Zeigt nun, daß die Unterscheidung zwischen culpa und dolus gerade bei den in Frage stehenden Vergehen eine keineswegs unbestrittene Frage sei. Die Milderungsanträge würden uns in Widerspruch mit der ganzen vorhandenen Gesetzgebung bringen. Warum viel mildere Grundsätze bei der Gewerbe- Steuer als bei der Einkommenssteuer? v. Schab: Für den Negierungs-Ent­wurf, der ein Schutz der Ehrlichen gegen die Unehrlichen sei, empfiehlt deßhalb auch einen von der Hälfte der Comm. beantragten verschärfenden Zusatz. Be­richterstatter Simon vcrtiitt kurz den Standpunkt der Regierung. Probst: angesichts der Grundsätze in anderen Gesetzen sei es sehr schwierig, andere Be­stimmungen aufzunehmen, als diejenigen, die von derRegierungvorgeschlagr» worden; er sei übrigens der Ansicht, daß man mit einer etwas höheren Ord­nungsstrafe auskommen und die Defraudationö-Strasc ganz entbehren könne, v. Kern: die Frage der Defraudation sei keineswegs so leicht zu entscheide»; eine gewisse Sicherung müsse jedoch der Verwaltung gewährt werden; er bean­trage deßhalb eine etwas erweiterte Fassung des Art. 105. (Schluß folgt.)

Stuttgart,' 24. Nov. Ihre Majestäten der König und die Königin haben auf die Nachricht von dem furchtbaren Unglück, welches die Bewohner der deutschen Ostseeküste durch die Sturmfluth am 12. und 13. Nov. betroffen hat, sofort die Summe von 1000 fl. zur Linderung des hiedurch verursachten Nothstandes bestimmt.

Sonntag Nacht, wenige Minuten vor 11 Uhr, wurde in Tübingen, sowie auch in Reutlingen ein starker Erdstoß verspürt.

Laut stadtschultheißenamtlicher Anzeige ist in mehreren Ställen derOber- amtSstadt Tettnang die Maul- und Klauenseuche ansgebrochcn.

Berlin, 26. Nov. Das Abgeordnetenhaus erledigte heute die dritte Le­sung der KrersordnungSvorlage. Alle Paragraphen mit dem Wahlrcglcmcnt werden angenommen, sodann wird in namentlicher Schlußabstimmung das ganze Gesetz mit 288 gegen 91 St. in der Fassung der Regierung angenommen.

S Nach jetzt vorliegenden Berichten über die schwere Stnrmfluth am 16. d. M. wurde eine Strecke von etwa 80 Meilen Länge hcimgcsncht; man darf annehmen, daß wohl an 100 Menschenleben der Fluth znm Opfer fielen und der Gesammtverlust an bewegt, und unbewegt. Habe nach vielen Millionen zählt, England. Seit Freitag hat wieder ein Siurm über dic Jnje! gewüthct, der die jüngsten Äquinoktialstürme an Heftigkeit nach übcrtrifft. Eine nngewöhn- lichgroß Anzahl Schisfbrüche mit großem Verlust an Menschenleben wird gemelde ^

von A. Oel, chlä^er. (Hiezu Nr. 48 des UnterhalttmgsblattS.)