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Am 5. Mai waren es 50 Jahre, daß Napoleon 1. auf der Insel Helena starb. Seine Prophezeiung, daß in 50 Jahren Eu­ropa kosakisch oder republikanisch sein werde, ist nur zum Theil cin- getroffen. Nur Frankreich ist eine Republik, aber was für eine und -die lachenden Erben stehen schon bereit. Die Nachricht vom Tode diese« gewaltigen Mannes, der eine Welt erschüttert hatte, traf da­mals am 4. Juli in London, am 5. Juli in Paris, am 11. Juli in München ein, also nach acht Wochen. In Wien, wo der einzige Sohn des Gewaltigen, der Herzog von Reichsstadt lebte, erhielt Roth­schild die erste Nachricht durch Staffelte am 13. Ju!i. Den Fall seines Neffen Napoleon III. bei Sedan trug der Telegraph m 24 Stunden durch ganz Europa und übers Meer. Die Pariser halten eine seltsame Nachfeier des 5. Mai. Sie legen am 8 . Mai die Bendomesüule, auf deren Spitze der erste Napoleon thront, mit einer gewissen Feierlichkeit nieder. Die Mitglieder der Commune und die Nationalgarde sind zu dem Sturze geladen. Der Kaiser fällt trotz aller Feierlichkeit auf den Dr; denn unter dem Denkmal ist eine dicke Schichte von Dünger vorsorglich anszebrcitet. Eine furchtbare Ironie!

Belgien. Brüssel, 5. Mai. Arnim ist nach Deutschland, Döclero, Gonlard und die anderen sranz. Bevollmächtigten nach Ver­sailles abgercist. I. Favre ist nicht cingetroffen. Die Bevollmäch­tigten kehren am Dienstag hieher zurück.

lieber die Brüsseler Konferenz wird (nach demGaulvis" vom 2. Mai) in den Berichten der französischen Bevollmächtigten in Brüs­sel an das Ministerium des Auswärtigen bittere Klage geführt. Man höre:Bei Eröffnung der Konferenz unterstützten die Bevoll­mächtigten Europa's willig die Bemerkungen der französischen Abge­sandten und nahmen nicht unbedingt die Ansprüche Pr-mßens an. Jetzt ist das anders. Seit dem 25. März verschwinden die aus­wärtigen Sympathieen, man hört die französischen Bevollmächtigten, aber man unterstützt sie nicht mehr. Wenn sie geredet haben, dikiircn die deutschen Bevollmächtigten, fast ohne sic einer Antwort zu wür­digen, ihre Bedingungen, und die Vertreter der Mächte sagen Amen zu dem Unrechte."

Frankreich. Die Kommission von 60 Mitgliedern, welche von der Versailler Nationalversammlung beauftragt worden ist, die ver­schiedenen seit Beginn des Krieges erfolgten Schritte zu untersuchen, hat sich in mehrere Unterabtheilungen geschieden, welche sich in die betreffenden Aktenstücke thcilten. Die Mitglieder dieser Snbkommis- sionen werden unterstützt durch Finanzinsp.ktoren und Referendaren des Rechnungshofes. Man hat, wie die N. A. Ztg. hört, unter diesen Akten stücken höchst seltsame Dinge gefunden. Es gibt darunter namentlich Rech­nungen zder Freiwilligen Garibaldi's, welche zu äußerst skandalösen Enthüllungen Anlaß geben. Sie finden z. B. die Weme von Bur­gund an Ort und Stelle getrunken, sehr nach ihrem Geschmack und haben davon auf Kosten Frankreichs eine geradezu unglaubliche Quan­tität vertilgt.

Versailles, 4. Mai. GeneralLarretelle hat in vergangener Nacht Monlin Saqnet genommen, dasselbe jedoch wieder geräumt, da es zu stark dem feindlichen Feuer ansgcsctzt ist. Die Insurgen­ten verloren an 150 Todte, 300 Gefangene und 10 Kanonen

Versailles, 4. Mai, 8 Uhr Morgens. Die Annähcrungs- arbeiten gegen das Fort Jssy werden fortgesetzt. Die Besatzung desselben kann nicht mehr entkommen. DaS Geschütz- und Gervehr- seucr dauert kort, jedoch hat sich bis jetzt nichts von Bedeutung er­eignet. 60 Gefangene sind gestern in Versailles cingcbracht. Soir" theilt mit, daß der Prokuratur der Republik in Drenx an die Prinzen von Orleans die Aufforderung gerichtet hat, Frankreich zu verlassen.

Paris, 4. Mai, 6^/2 Uhr Abends. Die Ligne de l'Union repnblicaine hat an die Kommune und Thiers die dringliche Aufforde­rung gerichtet, eine Waffenruhe von 20 Tagen cintreten zu lassen.

Fort Jssy befindet sich noch immer im Besitz der Föderirten, obwohl es vollständig zerstört ist. Die Besatzung deckt sich hinter Brustwehren, welche sie aus Trümmern und Matratzen errichtet. Jssy feuert sehr selten, erhält dagegen fortwährend einen Hagel von Kugeln. VanvreS wird ebenfalls heftig beschossen. Die Besatzung dieses Forts hat stark gelitten und antwortet nur selten. Die Ver­sailler haben heute eine gewaltige Batterie sii Montretout demaskirt, welche Antenil, Point du jour und Passy bedroht. Die Ncgiermws- truppen haben Besitz von der Insel Saint Gcrmain ergriffen, wo sie eine Batterie errichtet haben, um den Viadukt von Point du jour zu beschießen. Moutrouge, Hantes Brnyores und Monlin - Saqnet haben unter dem Bombardement stark gelitten. Die Föderirten ant­worten kräftig. Dieselben halten alle Gräben bei Villjuif und Jvry besetzt. In der Gegend von Neuilly, Levallois und Ehamperret wird

beständig gekämpft, ohne daß jedoch ein merkliches Resultat erzielt wäre. Für heute Abend wird ein heftiger Kampf auf der ganzen Linie erwartet.

Versailles, 5. Mai, 10 Uhr Morgens.Journal offiziel" zeigt au, daß Jules Favre und Pouyer Quertier gestern nach Frank­furt abgercist sind, wohin sich Fürst Bismarck ebenfalls begeben wird. Diese Zusammenkunft hat zum Zweck, gewisse Schwierigkeiten, welche bei den Brüsseler Verhandlungen entstanden sind, gemeinsam zu regeln, und auf schnellere Weise die Unterzeichnung des definitiven Friedens. Vertrages herbeizuführen.

Nach Privatnachrichten hörte man gestern um Fort Jssy herum lebhaftes Geschütz- und Gewehrfeuer. Tie Kämpfenden halten noch immer dieselben Positionen besetzt. Die Arbeiten, um das Fort Jssy von allen Seiten zu cernircn, werden fortgesetzt.

Paris, 5. Mai. Ein Dekret der Commune ordnet an, daß keine Pferde ans Paris heransgeführt werden dürfen; ausgenommen sind die Pferde der militärischen Estaffetten und diejenigen, welche zu Fuhrwerken gehören, dsi eine besondere Erlaubniß besitzen.

Paris, 5. M.4, 6 U. Abends. Heute lebhaftes Bombarde­ment gegen die Südforts. Die Versailler haben jetzt im Ganzen 128 Batterien um Paris zur Verfügung u,d zwar 54 Batterien von Positionsgeschützen, 62 Batterien gezogener Geschütze und 12 Batterien Mitraillensen. Das Geschütz- und Gewehrfeucr dauert in Nenilly und Asnieres auf beiden Seiten fort. Dem Vernehmen nach gedenkt das Centralcomite die Einreihung aller Diensttauglichen in die Natioualgarde mit Strenge dnrchzusühren.

In Paris sollen die Insurgenten 630 Stück Geschütze haben und in den Werkstätten der Nordbahn hat die Herstellung neuer Sie- bcnpfünder begonnen; 20 während der ersten Belagerung unvollendet gebliebene Kanonen wurden bereits fertig gemacht und abgeliefert. Die Magazine auf der Place du Chütean d'Eau sind in Spitäler für die Nationalgardcn umgcwandelt worden und bergen bereits viele Verwundete. Auch einzelne Cholerafälle kommen vor.

Rossel, der an Cluseret's Stelle getreten, soll ein sehr latent- voller ehemaliger Schüler der polytechnischen Schule, doch stets sehr exaltirt in politischen Dingen gewesen sein. Cluserct war bei den Nalionalgardisten längst mißliebig, weil er skhr barsch war, die Ga- lons lächerlich zu machen pflegte und die Bataillone von dem faulen Gesindel säubern wollte. Seine Schlappe in Moulineaux bot seinen Gegnern die willkommene Gelegenheit, ihn zu stürzen.

Auf die Köpfe von Thiers, Jules Favre und Mac Mahon hat die Commune in Paris einen bedeutenden Preis gesetzt. UebrigenS werden diese drei Männer aller bürgerlichen Rechte und Ehren für verlustig erklärt, weil sie das Vaterland verrathcn haben sollen.

In dem Hotel des Hrn. Thiers zu Paris soll bekanntlich ein sehr iverthvolles Manuscripl von den Leuten der Kommune ver. nichtct worden sein. Dasselbe enthielt aber nicht, wie es in oen Blättern heißt, eine Fortsetzung des Thiers'schen Geschilsiswerkes, welches die Wissenschaft vielleicht verschmerzt hätte, sondern eine Ge­schichte der Kunst, an welcher Thiers 10 Jahre und darüber gear- beitet hatte (Köln. Ztg.)

Italien. Nom, 4. Mai. Napoleon hat der italienischen Regierung die ihm gehörigen farncsischen Gärten sammt den Ausgra­bungen znm Kostenpreise verkauft.

Türkei. Konstantinopel, 6. Mai. Von gut unterrich­teter Seite wird bestätigt, daß die Mission von Nevres Pascha nach Egypten den besten Erfolg erzielt habe. Alle Mißverständnisse und Verdächtigungen, welche durch falsche Informationen hervorgern- fen wurden, sind beseitigt, der Khedive habe jedem Gedmiken entsagt, Festungen zu erbauen und habe den Bevollmächtigten ersucht, dem Sultan mitzutheilen, er werde baldigst nach Konstantinopcl kommen' um den Sultan mündlich seiner Ergebenheit zu versichern.j

Die Lebcnsversicherungs- und Ersparnißbank in Stuttgart hat wie bisher, so auch pro 187,' wiederum einen äußerst günstigen Rech­nungsabschluß erzielt. Deren Rechenschaftsbericht pro 1870 ist erschienen und ist im Amioncentheil des letzten Blattes ein kurzer Auszug aus solchem gegeben. Diese Anstalt bewährt einen durchaus soliven Fortgang, was am deutlichsten daraus erhellt, daß dieselbe seit ihrem 16jäh- rigen Bestehen ununterbrochen gute Resultate lieferte, und der Durch­schnitt der Dividende von 16 Jahresabschlüssen 38 Procent der Prämie erreicht. Möge die Versicherung des Lebens zu immer größerer Aus­dehnung gelangen, denn es ist dicß der einzig richtige Weg, der Familie eine Reserve zu schaffen, welche mit voller Zuverlässigkeit in dem Augenblick zu Hilfe kommt, wo die Crwcrbslhätigkeit durch den Tod unterbrochen wird.

Redigiri, gedruckt und verlegt von A. Oelschtag er.