Zur Geschichte der in Abgang dekretirten Jntcrimsbrücke.

Selten wohl noch nie, und kaum in der Eisenbahnangele- geuheit ist das Interesse der hiesigen Einwohner so sehr angeregt worden, als in der Frage über die Beibehaltung oder den Abbruch der Jnterimsbrücke. Es dürfte deßhalb bei dem Zwiespalt der Interessen und im Blick auf meine öffentlich be­rührte Betheiligung angezeigt sein, von meinem Standpunkte aus einen Beitrag zur Beurtheilung zu liefern. Ich werde mich wohl nicht täuschen, wenn ich mich zu der Ansicht bekenne, daß die Bewohner der beiden rivalisirenden Stadttheile, der Teinacher Straße und der Badgasse hinsichtlich der Vortheile und Nach­theile , welche sie von der Beibehaltung oder Entfernung der Jnterimsbrücke erwarten, sich wenigstens theilweise Illusionen hin­geben. Ich glaube, man überschätzt auf beiden Seiten die Vor­theile und Nachtheile. Und in dieser Beziehung verdient die Frage die Bedeutung nicht, welche ihr gegeben wurde. Dagegen ist vom allgemeinen Standpunkte aus, vom Standpunkte der Verkehrs - Interessen aus und im Blick auf die mögliche und wünschenswerthe Ausdehnung unserer Stadt die Frage für unsere Gemeinde von größter Wichtigkeit, und dieser Gesichtspunkt ist es namentlich, der mich bestimmt hat, mich für Beibehaltung der Brücke zu verwenden.

Jedem, der nicht bloß oberflächlich und nicht bloß vom Stand­punkte der einseitigen Interessen der beiden rivalisirenden Stra- ßentheile die Frage in Erwägung zieht, muß es zur klaren Ueber- zeugung werden, daß während bisher bei den unbedeutenden Verkehrsverhältnissen für den südlichen Stadttheil eine gute Zufahrtsstraße, die Teinacherstraße, dem Bedürfniß genügte, nach Eröffnung der Eisenbahnlinie nach Stuttgart, Nagold und Pforzheim, wodurch der Güterverkehr vom und zum Bahnhof Dimensionen annehmen wird, wofür man bis jetzt noch keine Vorstellung hat, die bisherige einzige Ausgangs-und Zufahrts­straße denBedürfniffen eines größeren Verkehrs nicht mehr entsprechen wird. Dieß wird die sichere Folge haben, daß in der ohnedieß sehr engen Stuttgarter Straße die bedauerlichsten Verkehrssto­ckungen und Unzuträglichkeitcn entstehen, wie dieß sogar jetzt schon bei nur etwas bedeutenden Wochen- und Jahrmärkten vorkommt. Will man hier den nöthigen Raum schaffen, so kann dieß nur mit enormen Opfern geschehen. Aber auch dann, wenn dieß geschieht, hat man nur eine für Ab- und Zufuhr nicht genügende Straße. Ich hielt es deßhalb schon längst, ehe noch die Wünsche der Einwohner hierüber laut wurden, für meine Pflicht, die Zukunft ins Auge zu fassen, und die günstige Gelegenheit zur Abhilfe des sicher eintretenden Uebelstandes nicht entschlüpfen zu lassen, und habe deßhalb schon vor der Agitation hierüber mit dem Eisenbahnbauamt verhandelt.

Nach Lage der Sache war es angezeigt, die zwei südlichen durch die Nagotd getrennten,einander paralell gegenüberstehen­den Vorstädte mit einander zu verbinden, um den Güterverkehr vom und zum Bahnhof zu theilen, anstatt einerzwei Zu-und Abfuhrlinien zu schaffen und so Verkehrsstörungen vorzubeugen, zugleich aber auch für den weitaus größeren Theil der Gemeinde einen näheren und bequemeren Weg zum Güterbahnhof zu geivinuBi, denn wie bekannt, führt der Walkmühleweg in fast horizontaler Ebene in gerader kürzerer Richtung in das Herz der Stadt, so daß nicht bloß für die Bewohner der Badgasse, son­dern auch die der untern Marktstraße, Metzgergasse, Leder­gasse, Marktplatz, Vorstadt rc. dieser Weg der kürzeste und be­quemste märe, zumal bekanntlich der Güterbahnhof vis-ä-vis der Jnterimsbrücke zu stehen kommt. Der Güterverkehr vom und zum Bahnhofe wäre auf diesem Wege, das ist wohl jedem Unbe­fangenen klar, bedeutend erleichtert worden. Man scheint aber hier dem Sprichwort-,Zeit ist Geld" keine praktische Bedeu­tung beizulegen. Wer aber weiß, wie sehr durch erleichterten Verkehr die Geschäftsverhältnisse gewinnen, der wird gewiß mit mir bedauern, daß eine so günstige Gelegenheit, die nimmer wie­derkehrt, nicht mit beiden Händen ergriffen wurde.

Äber nicht allein dieser Gesichtspunkt war für mich maßge­bend, cs hat mich noch eine weitere Rücksicht geleitet. Es ist be­kannt, wie sehr es hier an geeigneten Bauplätzen fehlt. Es wäre bei geeigneter Verbmdnng des Walkmühlewegs mit dem Bahn­hof zu erwarten gewesen, daß sich Baulustige, Gewerbetreibende an diese Straße in nächster Nähe des Bahnhofs und in unmit­telbarer Verbindung mit demselben vorzugsweise angesiedelt hätten, hier hätte auf Jahre hinaus das Baubedürfniß befriedigt werden können. Wie sehr aber zu wünschen ist, daß unsere Stadt

sich weiter ausdehnt, und die Gelegenheit dazu eröffnet wird, das bedarf keiner weiteren Ausführung, und diese Hoffnung ist mit dem Wegfall der Brücke abzeschnitten.

Es wird dieß, wie ich von vielen Seiten höre, um so mehr bedauert, als die großen Vortheile mit einem Opfer von einigen 100 fl. zu erreichen gewesen wären. Nun sagt nian zwar wohl auf der Gegenseite, man würde nach der jetzigen Lage der Sache diese Opfer nicht scheuen, man fürchte aber den Aufwand für die Zukunft, man fürchte, daß später, wenn die Brücke in Abgang komme, eine solche mit einem Aufwand von 67000 fl. herge- gestellt werden müsse. Dieser Einrede wurde aber entgegen­halten, daß die dermalige Brücke in so gutem Zustande sei, daß nach Ansicht von Sachverständigen auf eine Dauer von 8tO Jahren zu rechnen sei, stelle sich in dieser Zeit heraus, daß der Verkehr so bedeutend werde, daß eine Brücke absolutes Bedürfniß sei, so wäre das ein fo erfreulicher Beweis von dem Aufblühen un­serer Industrie, daß dann anch ein weiterer Aufwand gerechtfer­tigt wäre und im allgemeinen Interesse liegen würde. Sei dieß aber nicht der Fall, so sei man ja nicht daran gebunden, und man könne schon jetzt, um solchen Befürchtungen vorzubeugen, aussprechen, daß die gegenwärtige Erwerbung der Interims brücke keine Ansprüche auf Erneurung begründe. Jedenfalls könnte man die Brücke, wenn sie nach Ablauf von 8lO Jabren einer größeren Reparation bedarf, mit einem Aufwand von 1000 fl. !auf weitere 1012 Jahre Herstellen, und wenn je nach ca. 25 ! Jahren eine vollständige Erneurung nöthig würde, so wäre dieß mit einem Aufwand von 3000 fl. zu bestreiten. Um die richti­gen Anhaltspunkte zur Beurtheilung über das Bedürfniß beim eröffneten Eisenbahnverkehr zu erhalten, wäre es angezeigt gewesen, die Brücke vorerst stehen zu lassen. Eine weitere Ein­rede. welche geltend gemacht wurde, daß die Expropriation auf Schwierigkeiten stoßen würde, wurde durch die Erklärung besei­tigt, daß nach den bestehenden und bekannten Grundsätzen eine Beanstandung von Seiten des Geheimen Raths nicht zu erwar­ten wäre, und das um so weniger, als vom Gemeinderath schon früher der höheru Behörde gegenüber, als es sich um Aufrecht­haltung des Plans über die Herstellung der Thalstraße handelte, besonders betont wurde, daß, wenn dieser Plan, Anlegung der Thalstraße nicht ausgeführt würde, der Walkmühleweg als Er­satz dafür eintreten müßte, um sonst unvermeidlichen Verkehrsstö­rungen zu begegnen.

Jedenfalls wäre es gewiß nicht angemessen, wegen etwaiger Schwierigkeiten, denen man bei der Erpropriation begegnen könnte, sich von Verfolgung eines Plans abhalten zu lassen, den man im allgemeinen Interesse für nöthig hält.

Ein weiterer Bestimmungsgrund, der übrigens von unterge­ordneter Bedeutung ist, war für mich weiter der, daß sich nach der Sperrung der Jnterimsbrücke ergeben hat, daß schwere Fuhr­werke , welche den ebenen Walkmühleweg mit 2 Pferden leicht befahren konnten, nun zur Ueberwindung der Steigungsverhält- niffe der Zufahrtsstraße Vorspann nöthig haben.

Man hat nun zwar als Ersatz die Erbreiterung und Her­stellung des Walkmühlewegs von der Jnterimsbrücke an bis zum Rudersberg, bis zur Einmündung in die dortige Staatsstraße vorgeschlagen; das ist aber ein ganz ungenügender Ersatz, denn erstens kostet die ordnungsmäßige Erbreiterung und Herstellung das 34-fache des jetzigen Aufwandes für die Brücke, sodann fallen aber dabei die genannten 2 Haupworlheile der erleichterten kürzeren Verbindung mit dem Güterbahnhof für den größeren Theil der hiesigen Einwohner, sowie die Hoffnung auf Vergröße­rung der Stadt durch Bauten in der Bädgasse und am Walk­mühleweg, welche namentlich bei der nahen Verbindung mit dem Bahnhof in Aussicht zu nehmen wären, weg.

Wenn ein Theil gewinnt, gewinnt das Ganze, dieser Volks« wirthschaftliche Grundsatz ist im vorliegenden Falle total verkannt worden.

Die Gemeinde hat große Opfer für den Eisenbahnbau ge­bracht und ich habe wohl ein Jahr meines Lebens an die Errei­chung dieses Ziels gesetzt und keine Mühe, kein Opfer gescheut und jetzt, wo es sich darum handelt, die Vortheile im allgemeinen Interesse zu verwerthen, auszubeuten, dem Verkehr dienstbar zu machen, jetzt schreckt man vor einem verhältnißmäßig kleinen Opfer zurück. Und warum?

Ich kann nur mein tiefstes Bedauern hierüber aussprechen. Wahrlich, solche Erfahrungen könnten entmuthigend wirken, wenn nicht höhere Rücksichten gebieten würden, darüber hinwegzusehen.

Am 30. März 1870.

Stadtschultheiß Schuldt.