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Das Soldatenleben brachte ihm Zerstreuung genug. Schnell lebte er sich in dasselbe hinein. Anfangs zwar kam es ihn schwer an, seinen ungebundenen Willen ganz den Befehlen seiner Vorgesetzten unter- zuordnen; eS half nichts. Einige kleine Vergehen in dieser Beziehung ließ er sich zwar zu Schulden kommen; sie wurden ihm indeß, so weit es möglich war, nachgesehcn, da er sich in Allein äußerst geschickt und leicht auffassend zeigte.
Was er au seiner Löhnung abznsparen vermochte, schickte er heim zur Versorgung seiner Mutter und Unterstützung Mariens, auch jeden kleinen Nebenverdienst, zu dem ihm bald manche Gelegenheit wurde.
Auf seinen Wunsch war er Husar geworden. Als Junge hatte er sich viel ans Pferden nmhergetnmmelt und kein Thier war zu wild, das er nicht zu reiten vermocht hätte. Es war, als ob er mit den Pferden sich hätte verständigen können, denn das wildeste beugte sich bald duldsam seinein Willen, sobald es eine Zeit laug ihm auver- trant war.
Mit einem seiner Kameraden, seinem Nebenmann, mit dem er zusammenschlief, dessen Pferd neben dem seinigen stand, schloß er bald die innigste Freundschaft. Auch er war vom Lande, hatte dann Jahre laug bei einem Advokat als Schreiber gearbeitet. Er war ein schlauer, verschmitzter Bursch, der sich aber trotzdem bald Heinrichs Willen fügte, sich gleichsam von ihm leiten ließ und in bestem Einvernehmen mit ihm lebte.
Freilich erwies ihm dieser manche Gefälligkeit. Er putzte und fütterte oft sein Pferd, mit welchem er besser umzngehen vermochte, und stand immer auf seiner Seite wenn er von den andern Soldaten gehänselt wurde oder in Streit mit ihnen gerieth. Einem gewesenen Schreiber glaubten Alle etwas anhängen zu können.
Edua.d Wolfram besaß das störrigste Pferd in! der ganzen Schwadron und trotz aller Mühe, welche er sich gab, vermochte er nichts damit anzufangen. Dieß erschwerte ihm die Hebungen außerordentlich, weil er stets mit dem Thiere zu schaffen hatte.
Verschiedene Male schon hatte ihn der Wachtmeister deßhalb hart angclassen, obschon er keine Schuld daran trug.
„Gib mir Dein Pferd," sprach Heinrich zu ihm. „Ich will es bündigen, ehe vierzehn Tage hingehen, oder das Thier selbst soll zu Grunde gehen."
Wolfram hätte ihm gern das Pferd überlassen, allein der Wachtmeister, der ihn nicht leiden konnte, gab es nicht zu, und sich deßhalb an seinen Rittmeister zu wenden, wagte Wolfram nicht.
Wieder war das Thier eines Tages in der Reitbahn störrischer denn je. Vor einem Hellen Lichtstreisen am Ende derselben scheute es, und so oft Wolfram an jene Stelle kam, wandte es sich scheuend zur Seite. Alle seine Versuche, es ruhig hindurchzubringen, scheiterten,
gendcn zu entfernen. Mehrere Kameraden eilten herbei, dennoch ge- lang es nur mit Mühe.
Wolfram lag bewußtlos da. Blut floß ihm langsam aus dem Munde und verrieth deutlich genug, daß er eine innere Verletzung harte. ^ "
Ein Arzt wurde herbeigeholt; er brachte den Verwundeten zwar wieder zur Besinnung, vermochte die Verletzung indeß nicht sofort zu erkennen und Wolfram selbst war außer Stand zu sprechen.
Er wurde in das Hospital geschafft. Heinrich half die Bahre, ans der er lag, mit tragen. Es ging ihm tief zu Herzen. Wie lustig war er noch vor wenigen Stunden gewesen — und nun! Wenn er starb! Wenn er nie znrückeehrte in seine Heimath! Freilich, er stand allein, ohne Eltern und Angehörige in der Welt da, wie er selbst fast. Doppelt schrecklich erschien es ihm, wenn er sterben sollte ohne daß ein Auge um ihn weinte.
Als er ans dem Spital heimkehrte'', drückte er dem Verwundeten die Hand und sprach leise: „Ich komme bald wieder." Aus dem Blicke, den Wolfram aus ihn warf, sah dieser, daß er ihn verstand.
Daß ein Husar mit dem Pferde gestürzt war, daß er im Hospital lag und die Aerzte bezweifelten, daß er mit demLeben davon kommen werde, das machte im Ganzen wenig Aufsehen. Obenein war cs noch ein Rekrut. Ein Menschenleben! Ein Soldatenlebcn! Pa! —darauf konnte es nicht ankommen, denn wenn Krieg entstand, wurden die Soldaten vielleicht zu Tausenden todtgeschossen.
Wolfrains Kameraden waren zwar der Ansicht, daß der Wachtmeister allein die Schuld trage. Kcinerwagte indeß, dieselbe laut aus- zusprcchen, weil keiner Lust hatte, die Finger zu verbrennen. Der Rittmeister ließ sich Alles vom Wachtmeister mittheilen, auch noch von einigen Andern. Ja — der Wachtmeister trug die Schuld des Unfalls; es wurde indeß weiter nichts daraus gemacht, weil — das Pferd unversehrt geblieben war.
Der unglückliche Wolfram mochte im Spital sterben — das war das Beste für ihn. Er wurde dann begraben, die Leute sagten dann: „Es ist nur ein Husar, der mit dem Pferde gestürzt ist," und damit war Alles abgemacht.
Nur nicht ein solches Versehen an die große Glocke schlagen! Das macht Aufsehen und schadet nur! Der Wachtmeister Härte das nicht nötyig gehabt, das Pferd zu schlagen, er hätte es kennen sollen; nun es einmal geschehen, ist's geschehen.
Nur Heinrich,war über den Vorfall erbittert. Laut sprach er seine Mißbilligung über des Wi chtmeisters Benehmen aus. Dieser erfuhr cs wieder und fuhr ihn heftig an. Er fluchte, donnerwetterte und schwur, und wenn noch zwanzig dumme Rekruten auf diese Weise daransgehen sollten, er werde es künftig ebenso machen und kein Mensch
und er besaßnicht Kraft genug, es mit aller Gewalt zusammenzu nehmen, j habe sich darum zu kümmern. Eher sollten alle Rekruten zu Grunde Der Wachtmeister war erbittert. Jeder sah, daß das Pferd die! gehen,^ehe er zugebe, daß ein einziges Pferd verdorben werde.
Schuld trug, er allein überhäufte den Reiter mit Vorwürfen. Er stellte sich mir der Peitsche an die Stelle, wo das Thier scheute, und befahl Wolfram, in scharfem Trabe anzureiten.
Heinrich wagte, ihm Gegenvorstellungen zu machen, und erbot sich, das Pferd erst einmal langsam am'Zaume vorbeizuführen und dann selbst ans ihm einige Male die Reitbahn zu durchreiten.
„Das Thier scheut sich, weil es sich fürchtet", fügte er hinzu, „es muß deßhalb erst erkennen, daß es keinen Grund hat, sich zu fürchten."
Barsch wies der Wachtmeister ihn zurück und wiederholte seinen Befehl für Wolfram.
Dieser nahm sich mit allen Kräften zusammen, ritt wie ihm befohlen war. Kaum hatte er indeß jene Stelle erreicht, als das Pferd wieder scheu zur Seite sprang.
In demselben Augenblicke versetzte ihm der Wachtmeister einen Schlag mit der Peitsche-
Das Thier bäumte hoch und wild ans. Wolfram suchte es zu bändigen; ehe indeß noch Jemand zur Hilfe herbeispringen konnte, schlug es Huken über und fiel mit seiner ganzen Schwere auf Wolfram, derben Fuß nicht schnell genug aus dem Steigbügel zu bringen vermocht hatte. Von Wolfram war nur ein gedämpfter Aufschrei hörbar.
Während der Wachtmeister, seine eigene Schuld fühlend, über Wolframs Ungeschick fluchte und wetterte, sprang Heinrich zuerst hinzu, um das heftig um sich schlagende Thier von vem darunter Lie-
Da war Heinrich still. Er konnte dem unglücklichen Kameraden doch nicht mehr helfen. Der lag im Hospital imd wurde mit jedem Tag schlechter. In der Brust, da mußte ihm viel zersprengt und zersprungen sein, denn die Schmerzen nahmen immer zu. Und die Aerzte konnten nicht hiueinschauen und greifen und wußten nicht, wie sie helfen sollten.
Jeden Tag ging Heinrich zu. ihm hinaus und blieb bei ihm so lauge, als er Zeit hatte und der Krankenwärter es erlaubte. Stunden lang saß er an seinem Lager. Von seinem Heimathdorse erzählte er ihm, von dem Mädchen das er liebte, und — von ihrem Bater, der im Gefängnisse saß des Mordes wegen, den er nicht begangen hatte.
Kaum hatte er dieß erzählt und den Namen Steiugruber genannt, so fuhr der Kranke mit Hast, erschreckt vom Lager auf.
„Steiugruber?" wiederholte er.
„So heißt er".
„Und den Advokat Feruau soll er ermordesthaben?"
„Ja."
„Er ist unschuldig!" rief Wolfram, alle Kräfte zusammennehmend — „er hat den Mord nicht begangen."
Er sank erschöpft auf das Lager zurück. Heinrich sprang hinzu. Diese Worte hatten ihn aufs Höchste überrascht. Er fürchtete, daß der Kranke in diesem Augenblicke den Geist aufgeben könnte. Er würde ein Geheimniß mit ins Grab genommen haben, an dem ihm so viel lag._ (Forts, folgt.)
Redlgi-rs., gedruckt und verlegt von A. Oelschtä z er