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den angelangt. Seit Menschengedenken weiß man sich eines solchen Vorkommnisses nicht zu erinnern. Diese Flottille bot bei ihrem Einlaufen in den Hafenkanal ein wirklich interessantes Schauspiel. — Paris, 21. Aug. Nach der „Presse" werden die in der Armee zu vertheilcnden „Mitrailleuses" (Kugelspritze) kontrolirt; jede Compagnie soll eine solche erhalten; bis jetzt sind mehrere Hundert fertig
„Fragen!" sprach der Polizeirath und legte wie mit eisernem Griff die Hand auf Cnnze's Schulter. „Fragen, wo Sie heute vor drei Jahren zwischen halb ein und halb zwei Uhr waren, und warum Lue damals in der Werkstatt bei Meister Hammer in blendend weißem, frischem Hemd arbeiteten, da Sie in der Regel sich nur Sonntags und Mittwochs in frische Wäsche kleiden. Wir wissen Alles,
und es sollen von den 2000 vom Kriegsminister bestellten Stuck der! auch wie Sie zu dem Dolche gekommen sind, ein offenes Gestiind-- größere Theil noch vor Ende des Jahres abgeliefert sein. Iniß kann Ihnen vielleicht Begnadigung erwirken, sprechen Sie!"
England. London, 2ü. Aug. Ein gemeinsames Grab nahm > ^ „Herr Polizeirath", sprach der Schreiner gefaßt, „mißbrauchen
gestern in 32 Särgen Alles ans, was die Flamme von den Opfern der Eisenbahnkatastrophe übrig gelassen hatte. Zahlreiche Angehörige und ein großes Publikum hatten sich aus dem Friedhof von Abergele versammelt, um der in ihrer Einfachheit ergreifenden Leichenfeier beizuwohnen.
Türkei. Der Vicckönig von Egypten hat in Konstant ino- pel eine förmliche Revolution der türkischen Sitten angerichtet. Er gab in seinem Palaste am Bosporus ein Banket, an welchem Man
ner und Frauen Theil nahmen. Die Frauen saßen an der einen! Trotz. -Er bekannte, Seite des Tisches, .die Männer ihnen gegenüber. Die Küche war That begangen habe, französisch und trotz Koran wurde manches andere getrunken als Wasser; denn die feinsten Bordeaux- und Champagner-Weine machten die Runde. Nach Tisch plauderten Herren und Damen mit einander, nnd die Damen waren nicht etwa vermummt, sondern ganz ä In Paris gekleidet und unbekleidet. Das Fest machte so viel Aufsehen als seiner Zeit die Niedermetzelnng der Janitscharen.
Aus Amerika wird berichtet, daß die dießjährige Getreideernte der Bereinigten Staaten die reichste sein werde, die je erlebt worden ist.
Unterhaltendes.
Seltene Fügung.
Nach einer wahren Begebenheit erzählt von F. E. Hahn.
(Fortsetzung nnd Schluß.)
„Wahrscheinlich Cunze selbst; er ist etwa dritthalb Jahre eta- blirt; ein junger, kräftiger Mann, ziemlich hübsch, nicht?"
„Ja, so ist es'; nun, ich mache vielleicht Geschäfte mit ihm.
Ist es wohl ein Mann, dem man Credit schenken kann? Doch das sollte ich denken, auffallend reinliche Leute sind auch immer gute Zahler!"
Alle lachten, der Geistliche sHar lachte herzlich, denn der alte Doktor und Literat Alberti, der Jahr aus, Jahr ein Schulden machte und stets etwas schlottrig und ungekämmt aussah, saß mit am Tische. Als geistreicher, lustiger Mann lachte er mit und der junge Kaufmann ebenfalls lachend, sagte eifrig: „Es ist doch, wie ich sagte, meine Herren. Auf Leute in den höheren nnd reicheren Ständen läßt sich freilich mein Spruch nicht anwenden, aber ein Handwerker, zumal ein Gesell, ist stets pünktlich im Zahlen, pünktlich in Geldsachen, wenn er pedantisch reinlich ist, und mein Schreinergesell trug, obgleich es Freitag war, bei seiner Arbeit ein schneeweißes Hemd."
„Freitag", murmelte Ernst Haller, „erinnern Sie sich auch des Datums und der nähern Umstände noch?"
Der Kaufmann entgegnete höflich: „lieber das Datum müßte ich mein Notizbuch zu Rathe ziehen, denn ein Kaufmann muß immer Alles Schwarz auf Weiß haben. Ich werde Ihnen gern jede Auskunft geben."
„Lassen Sie uns den Weg nach Waldenan zusammen machen."
„Mit Vergnügen, Herr Doktor!"
Sie Ihr Amt nicht, die Zeiten sind vorüber, wo die Polizei allmächtig war. Ich habe Nichts zu bekennen, hat es Jemand M hen, daß ich Doktor Burke erstochen habe, so stelle er sich mirp genüber; bis dieses aber geschieht, verlange ich in Ruhe gelM zu sein!"
„Du selbst hast gegen Dich gezeugt; Häscher, nehmt den Mörder mit und führt ihn in das Gefäugniß!" gebot der Polizeirath. In dem dunklen, feuchten Raume verließ den Bösewicht sein
Den andern Tag hatte Ernst Haller eine lange Unterredung mit seinem Vater.
Zur Mittagszeit saß der Kunstschreiner bei seinem Mahle, seine Braut hatte ihm seine Lieblingsspeisen geschickt, aber es wollte ihm nicht recht munden und vor sich hinstarrend sagte er: „Wäre nur erst der erste Juni vorüber!"
Männcrtritte wurden auf der Flur hörbar, Cunze wechselte die Farbe, die Thüre ward geöffnet, der Oberbürgermeister, der Polizeirath, Ernst Haller, der fremde Kaufmann und zwei Häscher traten ein.
„Was wollen Sie, meine Herren, jetzt zur Mittagsstunde?" rief der Schreinermeister mit erkünstelter Barschheit und an allen Gliedern zitternd.
daß er, gelockt von Burke's vielem Geld, die Sechstausend Thaler in Gold hatte Cunze mitgenommen. Zu seiner Entschuldigung sagte er, die Liebe zu einem wohlhabenden Mädchen, deren Vater einen vermögenden Freier für seine Tochter verlangte, habe die Sehnsucht nach Geld in ihm erweckt. Burke's Melancholie und sein von ihm selbst ausgesprochener Wunsch, er möge nicht lange mehr leben, habe ihn eher als Wohl- thäter denn als Mörder des guten Herrn erscheinen lassen. Mil allerlei Sophistereien suchte der halbgebildete, verschrobene Mensch seine böse That zu entschuldigen.
I Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde, daß der wahre ! Mörder entdeckt sei, durch die Stadt, nur zu dem abgelegenen Hause ' Pedraglia's war sie noch nicht gedrungen.
Er saß eben in seinem Garten und erzählte seiner Tochter, was diese ans einzelnen Aeußerungen ihres Vaters geahnt hatte, daß er der natürliche Sohn eines englischen Offiziers und einer italienischen Sängerin sei, welche von dem Geliebten verlassen, ihm Rache geschworen habe. Der Engländer hatte sich zehn Jahre nach Pedraglia's Geburt mit eiuer vornehmen Französin vermählt und Bucke war der einzige Sohn dieser Dame. Auf dem Sterbebette gedachte der Engländer des verstoßenen Sohnes und empfahl ihn dem jüngeren Bruder. Deßwegen war Bürge nach Waldenau gekommen, aber Pedraglia hatte mit dem Sohne des verhaßten Vaters keinen Umgang haben wollen, obgleich er den milden edlen Bruder wider Willen liebte. — Pedraglia glaubte es dem Andenken seiner Mutter schuldig zu sein, seinen Halbbruder zu meiden.
Burke war ein unglücklicher Mensch, er hatte auf dem Gipfel des Glücks, den Tag vor seiner Vermählung ein Gewehr abgeschossen und seine hinter einem Rosenbusche stehende geliebte Braut getroffen.
„Da ist dem Armen das stille Grab zu gönnen, Vater," sagte das Mädchen, „er ruhe sanft!"
Das Volk ist, welche Fehler eS auch haben mag, stets bereit, Gerechtigkeit zu üben, wenn es nicht mißleitet wird durch Phrasendreher nnd Poltrons. Jeder schämte sich seines Unrechtes gegen Pe- draglia, ein junger Bürger schlug vor, daß sich sofort eine Deputation zu ihm begebe, welche ihm das Ehrenbürgerrecht überbringe. Dazu gehörte jedoch die Zustimmung des Magistrates, vor Allem die des Oberbürgermeisters, und zu ihm begab sich Alt und Jung. Der Oberbürgermeister sagte Nichts gegen diesen Vorschlag, im Ge- gentheil, er lobte ihn, lächelnd hinzusügend: „Ich habe auch eine Satisfaktion für den edlen Künstler, der so würdig einen ungegrün- detcn Verdacht ertragen und nicht feige der Stadt den Rücken gekehrt hat!"
'Noch saßen Vater und Tochter unter ihren Blumen, als lautes Vivatrufen sie aus ihren Träumen aufweckte, der Garten füllte sich mit Menschen, der Oberbürgermeister, Ernst an der Hand führend, nahm das Wort: „Freund Pedraglia, hier ist mein einziger Sohn, willst Du ihm Deine Tochter zum Weibe geben? Cr wird ihren Glauben nicht antasten und sie lieben nnd ehren sein Leben lang!" Pedraglia sprach kein Wort, aber er schloß Ernst in seine Arme nnd führte ihm die erröthende glückselige Braut zu. Die Bürger von Waldenau aber sagten: „Unser Oberbürgermeister ist ein Mann, mö ge unsere Sta dt stets einen Haller an der Spitze haben!"_
Redigirt, gedruckt und verlegt von Ä. Öelschläger.