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Vorfall, der viele Menschenleben hätte kosten können. Anlaß dazu gab ein von dem Kaiser gegebenes Signal, das den Aviso Daim im Augenblick, wo sich die ganze Flotte zur Ausführung der Manöver in Bewegung setzte, in die Nähe des Aigle berief. Ungeachtet der augenscheinlichen Gefahr besetzte der Kommandant des Daim den gegebenen Befehl, konnte aber nicht verhindern, daß die gepanzerte Fregatte Conronne gegen ihn anfuhr. Glücklicherweise hatte der Kapitän des Daim die Geistesgegenwart, im Augenblick der Gefahr mit ganzer Tampfkrafl zu fahren und! so einen, gänzlichen Untergang zn entgehen. Der Daim litt aber große« Schaden. Ei» Theil des Schisses und seine drei Boote wurden zertrümmert und es gelang ihm nur mit Mühe und vermittelst eines Privatdampfschiffes, den Hafen zu erreichen. Auf dem Daim befanden sich eine große Anzahl Marseiller Damen, der Tivisionsgeneral dieser Statt mit seinem Stabe, der Ma- rinekonimissär und der Maire von Marseille mit seiner ältesten Tochter, welche im Gesicht verwundet wurde. Der Tumult auf dem Daim war im Augenblick, wo rer Zusammenstoß stattfand, ein fürchterlicher. Glücklicherweise aber bewahrte die Mannschaft ihren Gleicbmnth und fast Niemand verunglückte; nur der Lieutenant des Daim erhielt einige Kontusionen, ein Matrose wurde verwundet und ein anderer gelödtet. — Der Kaiser hat der Kaiserin geschrieben, daß er zwar ermüdet von der Seereise, aber gesund in Afrika angekommcn sei.
Spanien. Nach Briefen der Köln. Ztg. aus Madrid erwartet man dort in kürzester Zeit eine allgemeine Erhebung, die höchst wahrscheinlich ohne alles Blutvergießen vorübergehen, mit der Abreise der Königin nach Paris beginnen und mir der Pro klamation des Königs von Portugal zum König von Spanien enden wird. Die Unterhandlungen, die schon seit längerer Zeit zwischen den Führern des spanischen Volkes und dem König von Portugal (?) ftattgesunden haben, sind nämlich jetzt zu Ende geführt worden. Die einzige Schwierigkeit, welche noch Vortag, war die, welche Stadt, Lissabon oder Madrid, die Hauptstadt der Halbinsel werden sollte. Tie Spanier wollten' natürlich Madrid den Vorrang geben, und der König, der lange zögerte, hat endlich seine Zustimmung dazu gegeben, Madrid zur Hauptstadt der Halbinsel zu machen. Nach obigen Briefen könne man die Königin in 14 Tagen in Paris erwarten. Das rheinische Blatt gibt diesen Brief als Zeichen der Stimmung, ohne für die Mittheilung cinstehen zu wollen
Amerika. Wilkes Booth, der Mörder des Präsidenten Lincoln, soll nach einem Telegramm, welches dem „Sun" aus Qneenstown zugegangen ist, dort mit dem Dampfer Edinburgh angekommen und verhaftet worden sein. Tie Bestätigung dieser Nachricht bleibt abzuwarten. (Nach der „Jndep. beige" ist ein Amerikaner Namens O'Neil wegen seiner Aehnlichkeik mit Booth verhaftet und wieder losgelaffen worden. Merkwürdigerweise wurde derselbe vor 10 Tagen schon ans demselben Grunde in Boston verhaftet. Booth selbst ist vermuthlich in Amerika noch irgendwo verborgen und ist der Preis auf seine Habhastwerdung jetzt auf 140,000 Toll, gesteigert worden.) — Herr Seward ist auf dem Wege der Genesung. Das gestrige Bulletin des Gene- rakchirurgus berichtet, daß der Minister nach ruhiger Nacht frei von Fieber gewesen und daß die Wunden in der Heilung begriffen seien. Auch seines Sohnes Friedrich Befinden ist zufriedenstellender.
Mit in das Grab.
(Erz-'chliing oen Friedrich Friedrich.)
(Fortsetzuni,.)
Es gibt Frauenherzen, von denen der Schmerz über einen solchen Verlust nicht eber weicht, bis sie ihn langsam in sich selbst verzehrt haben. Sie glauben eine Pflicht gegen den Todten damit zu erfüllen, daß ifie sich keine Thräne, nicht den geringsten Theil des Grames ersparen und vergessen nur zu oft darüber, Wie sie des Todten wegen ungerecht gegen sich selbst und ihre lebende Umgebung werden. Sie machen sich selbst zu schonungslosen Märtyrinnen des Schmerzes.
Mit keinem Worte hatte Burkart ihr die Vermuthungen des
Cnminalrichters erzählt und doch erschien cs ihm ost, als ob in ihr selbst eine Ahnung, ein Verdacht tobte, daß Auguste um den Mord ihres Bruders wisse. Sie sprach sich nicht darüber aus.
Wieder traf er sie in einer tief gebeugten Stimmung, als er nach mehreren Lagen zu ihr kam. Sie eilte ihm entgegn, als er in das Zimmer trat; über ihr Gesicht glitt ein Lächeln, aber gerade in diesem Lächeln lag so unendlich viel Schmer; und Trauer.
„Marie," sprach er, „Du hast wieder geweint."
Sie konnte es nicht leugne».
„Siehst Du nicht ein, daß Du durch all' Deine Thränen, durch allen Schmerz nichts änderst?" fuhr er fort. „Marie, Du hast mir Dein Herz und Deine Hand geschenkt, damit habe ich ein Anrecht auf Dein Leben. Du bist ungerecht gegen Dich selbst."
Sie erwiederte nichts. Sie fühlte, daß er Recht habe, und dennoch konnte sie ihren Empfindungen nicht wehren. Mit aller Innigkeit schlang sie die Arme um seinen Nacken, sie lrebte ihn, so sehr nur ein Weib einen Mann zu lieben vermag und dennoch stürzten die Thränen aus ihren Augen.
„Sei ruhig," bar er. „Komm, laß uns hinaustreten in den Garten. Die frische Luft wird Dir wohlthun und sicherlich hast Du heute das Haus noch nicht verlassen."
Ohne Weigern ließ sie sich durch ihn in den Garten führen. Er war nicht groß. An drei Seiten von hohen Waldbäu- men umgeben, lag er wie cin stilles Versteck da. Noch standen die Herbstblumen in ihm sin voller Blüthe und jedes Blumenbeet, fast jede einzelne Blume verrieth eine besondere Pflege.
Dieser kleine Garten war Hugo's Lieblingsort gewesen. Fast jede freie Stunde hatte er in ihm zugebracht So wild sein Sinn sein konnte, so verrieth er doch durch die sorgsame Pflege seiner Blumen, daß auch zartere Empfindungen seine Brust erfüllten.
Tie Luft war mild und still, der Himmel .-eflttau und rein. Die scheinende Sonne warf durch die Bäume ihren goldenen Schein. Dann und wann löste in den hohen Wipfeln sich ein gelbes Herbstblatt und-fiel langsam, halb von der Luft getragen und gleichsam noch in ihr spielend, nieder.
Las Rufen einzelner Vögel, welche hoch über den^Bäumen vorüberzogen oder durch das Gebüsch hinflogen, störte Stille ringsum nicht. Es lag in dieser Ruhe etwas Feierliches, Ergreifendes. Es war einer jener anbrechenden Herbstabende, die das Herz mit einem, wunderbaren, unsagbaren Gefühle erfüllen. Halb ist cs eine unerklärbare, fast nur leise geahnte Wehmuth, halb ein Gefühl der Ruhe wie nach vollbrachtem Tagewerke, das sich still auf die Brust legt.
Schweigend schritten Burkart und Marie eine Zeit lang neben einander in dem kleinen Garten aus und ab. Der Eindruck des schönen Herbsttages hatte für kurze Zeit das Uebergewicht über die Empfindungen ihrer Herzen erlangt. Das ist ja die wunderbare Allmacht der Natur, daß sie den Menschen sich"selbst und all' seine kleinen Erdensorgen und Schmerzen vergessen läßt.
„Hat Roth noch immer keine näheren Beweise gefunden?" fragte Marie endlich ihren Begleiter. Sie wußte, daß er am Tage zuvor bei dem Criminalrichter gewesen war.
„Nein," erwiederte Burkart.
„Karsten hat noch nichts gestanden?" fragte sie weiter.
„Nichts. Er läugnet Alles mit jener thörichten Hartnäckigkeit, die glaubt, es könne ihm nichts bewiefin werden, so lange er längne."
„Und die Beweise gegen ihn sind noch nicht ausreichend?"
„Das Reh hat er geschossen und der Strafe dafür wird er nickt entgehen, an Hugo's Tode trägt er nach Roth's Ueberzeu- gung keine Schuld."
Er theiltc ihr Alles mit, was für des Burschen Unschuld an dem Morde sprach.
„Und wer — wer kann ihn dann ermordet haben?" rief Marie.
„Ich weiß es nicht", erwiederte Burkart, der den Verdacht und die Vermuthungen des Richters ihr nicht mittheilen durste.
(Foruetzunq folgt.)
Ncdizirl, gevruckt und verlest v«n A. Vels-dlägcr.