34i

Unterhaltendes.

Des Tobten Ehre.

Novelle von Aug. Kchradcr.

(AuS denFrankfurter Fami len - Blättern.")

1 .

Gegen ein Uhr in einer bitter kalten Dezcmbernacht war die Familie des Rechtsanwalts Brander noch in dem Wohnzimmer versammelt. Mutter und Tochter saßen bleich und bestürzt in dem Sopha, Ernst, der Sohn, ein stattlicher junger Mann von sieben­undzwanzig Jahren, ging erregt aus und ab. Bon Zeit zu Zeit blieb er stehen, um au einer Thür zu lauschen, welche in das an­grenzende Zimmer führte. Dann war es still, man hörte nur das leise Weinen der beiden Frauen, den Pendelschlag einer auf dem Secretair stehenden Pendule und das Murmeln des Feuers in dem Ofen.

Eine peinliche Viertelstunde war so verflossen.

Ta öffnete sich leise die Thür des Nebenzimmers und ein bejahrter Herr trat ein.

Toktor, wie befindet sich der Kranke? fragte flüsternd, aber dringend der junge Mann.

Mutter und Tochter traten dem Arzte näher, dessen ernste Mienen nichts Gutes verkündeten. Er sah traurig den kleinen Kreis der Familie an.

Ich halte es für meine Pflicht, murmelte er, Ihnen den Zustand des Herrn Advokaten als hoffnungslos zu bezeichnen.

Tie Mutter brach in lautes Weinen aus. Veronika, die Tochter, verhüllte ihr Gesicht mit dem weißen Tuche, welches be­reits von Thränen durchnäßt war.

Fügen Sie sich in das Unvermeidliche, fuhr der greise Arzt mit bewegter Stimme fort. Bereiten Sie sich vor aus den herben Schlag, der Sie vielleicht schon in einigen Stunden treffen kann. Und Lie, mein junger Freund, benutzen Sie die kurze Frist, die der Himmel Ihrem Vater noch schenkt, um die letzten Angelegenheiten zu ordnen. Der Kranke selbst verlangt darnach; gehen Sie zu ihm, er will Sie allein sprechen.

Madame Brander sank leise wimmernd auf einem Stuhle nieder. Der unerbittliche Tod sollte eine der glücklichsten Ehen trennen, die aus dieser Welt voll Mängeln Wohl je geschlossen wor­den. Veronika vermochte nicht die Mutter zu trösten, sie selbst war des Trostes im hohen Grade bedürftig.

Ernst rang nach Fassung; er wußte, daß daS plötzliche Hin­scheiden des Vaters ein folgenschweres Ereigniß für die advvkato- rische Praxis und namentlich für ihn war, da er der Nachfolger des gesuchten und geachteten Rechtsanwalts werden sollte. Er wußte, daß er nicht nur die Pflichten des Sohnes, sondern auch des Geschäftsmannes zu erfüllen hatte.

Toktor, sagte er, bleiben Sie bei der Mutter und der Schwester. Sie waren unserer Familie nicht nur Arzt, Sie waren ja auch ein Freund in der edelsten Bedeutung des Wortes. Ver­lassen Sie uns nichtl bat er instäudigst.

Gehen Sie mit Gott; ich bleibeI

Der Arzt näherte sich den Damen.

Ernst schöpfte tief Athem, als ob er die Brust vor dem Zer­springen wahren wollte. Dann öffnete er die Thür und trat in das Nebenzimmer. Ter Sohn stand an dem Sterbebette des Va­ters. Eine Lampe unter grünem Glase schuf eine Art matter Dämmerung in dem traulichen Gemache, das durch alle Vorkeh­rungen, welche Wohlhabenheit gestattet, vor den Einflüssen der Witterung geschützt war.

Tie dunklen Vorhänge des Bettes waren halb zurückgeschlagen. Tas greise, halb kahle Haupt des Sterbenden ließ sich deutlich erkennen in den weißen Kissen.

Vater, begann Ernst leise, indem er sich auf dem Stuhle niederließ, den der Arzt verlassen hatte, Vater, wie befinden Sie sich?

Den Augen des Kranken entströmte ein seltsamer Glanz; sein sonst volles Gesicht war eingefallen und mit der Bleifarbe über­zogen, welche die Nähe des Todes ankündigt.

Mein Sohn, sagte er langsam und mit matter Stimme, ich fühle, daß ich sterben muß.

Das wolle Gott verhüten I

Hoffe Nichts mehr von Gott! rief der Kranke mit An­strengung. Er ruft mich ab zu einer Zeit ... ich möchte nur noch einen Monat leben ... Es ist mir nicht gestattet ... da­rum höre mich ... Du wirst meine Praxis übernehmen ... die Welt kennt mich als einen rechtlichen Mann ... laß Dich nie verblenden, Ernst I der Stand eines Sachwalters ist wichtig, heilig . . . Vergiß Das nicht!

Das schwöre ich Ihnen, mein Vater!

In großer Angst sprach der Kranke weiter:

Mein Sohn, ich habe nach Kräften Gutes gewirkt; es gibt wohl manchen armen Menschen, der mein Andenken segnet . . . aber es lebt eine Familie, die mir fluchen wird. Und doch bin ich unschuldig an Dem, was geschehen . . . Gott, der ewige Richter, ist mein Zeuge! Im Angesichte des Todes schwöreich Dir, der Du die Folgen zu tragen hast: ich habe vorsätzlich und wissentlich nie Böses gethan!

Tie Kraft des Sterbenden erlosch immer mehr. Schwer wie Blei sank sein Haupt in das Kissen zurück. Er athmete tief und mit Anstrengung.

Um des Himmels willen, Vater, was ist geschehen? fragte bebend der Sohn. Sagen Sie mir Alles, Alles. Ich bürge dafür, daß Ihre Ehre nicht befleckt werde. Sie haben keine Feinde . . .

Der Rechtsanwalt deutete mit der todesmatten Hand an, daß er sprechen wolle.

Ernst, zitternd am ganzen Körper, neigte sein Ohr auf das Bett hinab. Nun hörte er folgende leise geflüsterte Worte:

Man hat ein Verbrechen an mir verübt . . . eimwichtiges Dokument fehlt mir seit gestern.

Was für ein Dokument« fragte Ernst.

Tie Wittwe Junk ... Du kennst die Angelegenheit . . . eine Schuldverschreibung über fünszigtausend Thaler ... ich ver­misse sie seit gestern.

Der junge Mann bebte zurück.

Vater, das Dokument wird sich finden! tröstete er. Wo habe» Sie es aufbewahrt?

In dem Sckranke ... bei meinen anderen Werthpapieren . . . Nichts fehlt als diese Schuldverschreibung.

Wissen Sie genau, daß Sie das Papier nicht an einem anderen Orte ausbewahrt haben?

Ich weiß es . . . genau! Ernst, ich fahre mit Schanden in die Grube I Ein langes fleckenloses Leben schützt mich nicht . . .

Aber ich werde Sie schützen!

Der Amtsrath Gruber ... er ist der Schuldner ... ich war diesen Nachmittag bei ihm ... der falsche Freund . . . mein ehrlicher Name! Sohn, rette meinen ehrlichen Namen! Alle meine Sachen sind wohl geordnet . . . nur diese eine . . . rette meinen ehrlieben Namen!

Die letzten Worte hatte der Kranke mit übermenschlicher An­strengung gesprochen. Nun lag er regungslos. Als Ernst, der einige Augenblicke bestürzt neben dem Bette gesessen, sich zu dem Kranken neigte, sah er, daß dem Munde ein Blutstrom entquoll.

Vater, Vater! rief er schmerzlich.

Aber der sterbende Vater aniwortete nur durch ein dumpfes Röcheln. Der Blutstrom verbreitete sich über die Decke des Betts. Ernst riß die Thür auf und rief den Arzt. Er und die beiden Frauen eilten in das Gemach. Während der Doctor sich mit dem Sterbenden beschäftigte, lagen Mutter und Tochter betend aus den Knien.

Die Pendule in dem Wohnzimmer zeigte die erste Stunde nach Mitternacht an. Tie Uhr der nahen Pfarrkirche folgte mit dumpfem Schlage. In dem Bette war es still geworden. Der greise Arzt stand daneben, die Hände gefaltet.

Sprechen Sie, Doctor! flüsterte Ernst. Wir müssen c» ja.doch einmal wissen.

Es ist ein braver Mann gestorben! murmelte der Arzt.

Die beiden Frauen stießen einen lauten Schmerzensschrei auS. Veronika hielt die ohnmächtige Mutter in den Armen, sie, die selbst fast die Besinnung verlor. (Forts, folgt.)

Gottesdienste.

Sonntag, den 2. November. Vorm. (Predigtl: Herr Dekan Heberte. Kindeilebre mit den Söhnen 1. Ul affe.Nachm. (MiffSstd.): Hr. Helfer R i e g e e. Uedigirt, gedruckt und verlegHoDA.Oel schlilscr. ' -E