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Heute, Sonntag,den31.Jan.:
Zither- un- Gesangs-Produhtimr
des
rühmlichst bekannten Zitherspielcrs
Georg Mayer
mit Gesellschaft,
im Vereine mit dem Comiker B. Poller aus München, im Saale des Gasthofes zum „Badischen Hof".
Anfang Nachmittags halb 4 Uhr. 2)2. Tübingen.
Kapital-Anlehen.
Gegen doppelte Versicherung werden mehrere Tausend Gulden in großem oder kleinern Posten aus- gcliehen.
Tübingens* den 21. Jan. 1858. Oberamts-Sparkafse.
Der Vogelsteller.
(Fortsetzung.)
Während des Meisters Augen freudefunkelnd auf den beiden Vögeln ruhten, schlug die Meisterin erschrocken die Hände zusammen. „Wohinaus soll das noch gehen?!" klagte sie trostlos. „Wo hast Du Hänschens versprochene Stiefel?" fragte sie dann mit Bitterkeit.
„Die laufen uns nicht davon —" versetzte Diesend — „aber ein solches Vögelpaar bekommt man nicht alle Tage zu kaufen, und für ein solches Spottgeld! Sie sollen mir zahllose Kameraden hcrbeilockcn und somit tausendfache Zinsen tragen. Höre doch diesen kräftigen Finkenschlag! Wie laut wird er ans meinen Vogelheerd in den grünen Wald hinein- schmcttern und die mannigfachen Federträger hcrbeisiehen!"
„Aber Meister!" hob der alte Kutscher Kunze an — „ich dächte, Sie hätten der Vögel schon gerade genug. Das Futter muß eine hübsche Ausgabe verursachen, die man wohl zu nützlicheren Dingen anwcnden! könnte."
„Was versteht Ihr davon, Alter?!" rief Diesend entrüstet aus. „Ich rauche nicht, ich schnupfe nicht, ich lasse nicht, wie andere meines Gleichen' täglich einen halben Tha- lcr für bairisches Bier aufgehen, ich rühre kein Kartenspiel an und setze das ganze Jahr keinen Fuß in eine Droschke. Auch bin ich kein Kleidernarr, sondern habe nur einen Rock und einen Hut. Concerte besuche ich mit meiner Familie ebenfalls nicht. Aber Eine Freude will der Mensch doch haben, wenn er nicht ganz verkümmern soll. Und wie unschuldig ist die meinte! Andere Vogelsteller drücken den lieben Lerchen und Finken die Brust ein und verhandeln sie an reiche Leckermäuler. Ich dagegen thue ihnen nichts zu Leide, be-' halte sie entweder selbst, oder verschenke oder verkaufe sie an meine Bekannten, von denen ich weiß, daß sie die Thierchen gut halten. Aus Dankbarkeit, daß meine Vögel das schönste Concert ohne EintritSgeld mir geben, reiche ich ihnen ein gutes Futter und bewahre sie im Winter vor bittrer Kälte."
„Das ist schon gut —" sprach der alte Kutscher — „doch Alles mit Maß und Ziel. Aber wie steht's, Meister! Ist die Pferdehalfter endlich fertig, die ich schon vor einer Woche haben sollte? Mein Herr hat bereits derb gezankt wegen der Verzögerung."
„Heda!" rief Diesend in seine Werkstatt hinaus, wo ein Geselle und ein Lehrbursche arbeiteten — „ist die Halfter mit den gelben Rosetten fertig?"
„Nein Meister!" antwortete der Geselle — „Sie selbst wollten ja die Halfter vollends fertig machen."
„Da haben wir die Beschecrung!" sprach der alte Kutscher unwillig. „Leicht dürften Sie die Halfter nun selbst ans dem Halse behalten, wenn ich heute wieder ohne sie nach Hause komme. Ist das Maß und Ziel gehalten, Meister Diesend? Alles hat seine Zeit!" und er entfernte sich kopfschüttelnd.
Kaum hatte dieser das Zimmer
igirt, gedruckt und verlegst von A. Oelschlä
verlassen, alsein neuer Dränger sich ihm nahte. Der Geselle staiid vor ihm und sagte: „Meister, heut sind eS nun neun Wochen, daß ich den letzten Lohn empfangen. Ich brauche nothwendig Geld, und wenn Sie mich heute nicht auSzablen können, so muß ich eine andere Condition annehmen und gegen Sie bei Gerichte klagen."
Der Meister, den jetzt der Zorn überwallen wollte, erwog noch im rechten Augenblick, daß der Geselle in seinem Recht sei und daß er den braven und anstelligen Arbeiter nicht verlieren dürfe. Er vertröstete ihn auf die nächste Woche, und es gelang ihn zu beschwichtigen und zum Bleiben zu vermögen; Frau und Kinder aber, welche einen Ausbruch gefürchtet, batten schweigend sich aus dem Zimmer fortgeschlichen.
Alle diese Ereignisse waren nicht ganz ohne Eindruck auf Diesend geblieben: er schwankte, ob er heute auf den Vogelheerd hinausgehen sollte; allein die Leidenschaft war mächtiger und er vermochte nicht den herbci- gesehnten Tag, anwelchcm der Vogelfang im Walde seinen Anfang nehmen sollte, unbenützt vorübergehen zu lassen. Er traf alle Vorbereitungen, sorgte für Speise und Trank, wobei er Rücksicht nahm auf die schon eingetretene herbstliche Witterung, bei der ein Gläschen Rum äußerst erquicklich sein mußte, und als noch die Käfige mit den Lockvögeln, die Stellnetze und alles, was sonst noch nothwendig erschien, den Fang ergiebig und den Aufenthalt im Walde behaglich zu machen, in Ordnung gebracht war, machte sich der Meister noch in der Nachmittagstunde auf, um dicsesmal noch vor Sonnenuntergang den Vogelheerd zu erreichen und sich für den dicßjährigen Herbst häuslich einrichten zu können.
(Forts, folgt.)
Sonntag, den 31. Januar, wird predigen: Herr Helfer Rieg er.
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